Germering:Konfrontationskurs

Kabarett

"Vergessen, vergaßen, wir haben vergast": Für diese Konjugation erntet Tausendschön betroffenes Raunen. Ihr Begleiter ist William Mackenzie.

(Foto: Günther Reger)

Nessi Tausendschön enttäuscht das Germeringer Publikum mit veraltetem Programm und Besucherattacken

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Die Publikumsbeschimpfung gehört zum Kabarettprogramm von Nessi Tausendschön dazu. Es ist Teil der Belustigungsbandbreite der Künstlerin. Angesichts des halb leeren kleinen Saals in der Stadthalle saß ihr Frust offenbar so tief, dass Tausendschön ihre Verbalattacken noch vehementer ritt als sonst. Das Publikum ahnte das wohl und hatte sich nur vereinzelt in die erste Reihe getraut. "Fängt sich die erste Reihe schon an zu langweilen?", fragte sie bereits nach fünf Minuten. Dafür gab es dann gleich "eine Bestrafung durch Jazz" mit verqueren Tönen. "Dafür haben sie bezahlt", höhnte sie danach. Eine Attacke auf die Wahlabo-Besitzer folgte: "70 Prozent von Ihnen haben auch noch für andere Künstler bezahlt."

Tausendschön bestrafte die etwa 50 Besucher dann auch noch mit ihrem fünf Jahre alten Programm "Die wunderbare Welt der Amnesie", in dem noch ehemalige Politiker wie Roland Koch und Guttenberg auftauchen. Motto des Abends sollte sein: "Glücklich sind die ohne Hirn." Doch daran arbeitete sich Tausendschön nicht weiter ab. Obwohl "Verdrängen und Vergessen ein deutsches Thema" sei. Bei ihrer anschließenden Konjugation von Vergessen ging ein betroffenes Raunen durchs Publikum. "Vergessen, vergaßen, wir haben vergast", trug sie vor und rief in den Saal: "Kabarett muss auch mal weh tun."

Annette Maria Marx hat einst eine Ausbildung als Zierpflanzengärtnerin absolviert und sich anlehnend an das Gänseblümchen ihren Künstlernamen gegeben. Seit gut 20 Jahren zieht Tausendschön als Kabarettistin mit Gesang, Komödiantin und "Kaschper oder Kaschpöse", wie die 52-jährige Hannoveranerin gerne sagt, durch die Lande. Seit einigen Jahren ist der Gitarrist William Mackenzie auf der Bühne an ihrer Seite. Sie hat sich der Aufgabe verschrieben, ihrem Publikum zu verdeutlichen, wie Kabarett funktioniert. "Schenkelklopferwitze" und "Menstruationskabarett" seien unpassend, aber "wie zwingt man das Publikum zum Lachen?", fragt sie als "Lustigkeitshure" und singt anschließend das Liebeslied "Sei einfach da". Singen kann Tausendschön in allen Facetten ganz wunderbar, auch Max Raabe glänzend imitieren. Nichts anfangen konnte man jedoch mit dem Schimpflied auf ihre Freundin "Fahr zur Hölle Ariane", bei dem sie das Publikum nur mühsam dazu bewegen konnte, mitzusingen.

Ihr Markenzeichen ist das Spielen mit der singenden Säge geworden, die durch den Saal heult und schaudern lässt, garniert mit einem eigenwilligen "Ausdruckstanz". Aber stärker sind ihre Texte oder ihre "bodenständige Zerknirschungslyrik", wie sie formuliert, wenn diese Texte aktuell oder zeitlos sind. "Nur freiwillig sind wir Frauen willig", ist so ein Satz, der hängen bleibt. Genauso wie die kokette Feststellung als Teenager an die Eltern: "Solange der Tisch über meinen Füßen steht, müsst ihr machen, was ich sage." Auch ihr Witz über Politiker geriet dann doch zum Schenkelklopfer: "Politik ist eine riesige Orgel mit den dazu gehörenden Pfeifen." Sehr gewagt, aber bedenkenswert, ist die Behauptung: "Kriege entstehen aus dem Menstruationsneid der Männer." Witzig präsentiert werden von Tausendschön Figuren wie Ludmilla aus Kasachstan, die sich in einem Katalog deutsche Bauern ausgesucht hat oder Parodien auf Lena Meyer-Landrut, Nena oder Nina Hagen. Trotzdem: Künstlerpreise, die Tausendschön mehrfach einheimste, machen zuweilen übermütig. Diesem Eindruck konnte sich auch der wohl geneigte Zuschauer nicht erwehren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: