Germering:Kleiner Lichtblick in der Finsternis

Germering: EHRENZEICHEN

Gemischte Gefühlte: Christine Stoppel-Schulze (links) sowie Marion und Tobias Getz freuen sich über die Ehrung, vermissen aber Unterstützung bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit.

(Foto: Johannes Simon)

Christine Stoppel-Schulze und das Ehepaar Marion und Tobias Getz mussten den frühen Tod ihres eigenen Kindes verkraften. Sie gründeten den Verein Buss-Kinder, um Hilfe für sich und andere betroffene Familien zu organisieren

Von Ariane Lindenbach, Germering

Mit dem Thema Tod und Sterben setzt sich niemand gerne auseinander, obwohl doch jeder weiß, dass das Leben endlich ist. Noch weniger in der Vorstellungskraft der meisten Menschen steht der Tod des eigenen Sohnes oder der eigenen Tochter. Der Tod des eigenen Kindes ist ein Tabu in unserer Gesellschaft, das insbesondere Familien mit todkranken Kindern ins Abseits stellt, die um das nahe Ende ihrer Kinder wissen und damit umgehen müssen.

3500 Kinder sterben jedes Jahr an unheilbaren Krankheiten in ganz Deutschland und hinterlassen ihre Eltern. Auch Marion und Tobias Getz sowie Christine Stoppel-Schulze haben erleben müssen, wie ihre Kinder von ihnen gegangen sind. Das Ehepaar und die Kinderpflegerin - alle drei kommen aus Germering - haben ihre Kinder überlebt, weil die unheilbar krank waren. Um dieses Schicksal ertragen zu können und auch um andere Familien mit einer ähnlichen Biografie zu unterstützen, sie aus ihrer Isolation zu holen, haben die Germeringer damals eine Art Selbsthilfegruppe gegründet: den Familienkreis behinderter und schwerkranker, sterbender Kinder, besser bekannt als Buss-Kinder. Mit dem 2003 gegründeten, gleichnamigen Verein sowie dem 2015 ins Leben gerufenen Nachfolgeverein Joma-Projekt haben die drei in den vergangenen 16 Jahren vielen betroffenen Familien geholfen. Dafür erhalten Marion und Tobias Getz und Christine Stoppel-Schulze nun das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten.

Die Auszeichnung ist für die drei Geehrten "mit sehr gemischten Gefühlen verbunden", wie Marion Getz unterstreicht. Die 44 Jahre alte Sozialpädagogin spricht in diesem Fall auch für ihre beiden Mitstreiter. Und sie bemängelt, dass "wir als Familie damals keinerlei Unterstützung bekommen haben". Auch der von ihnen gegründete Verein, der diese Lücke auffing, erhielt kaum staatliche Hilfe; lediglich zwei Räume stellte die Stadt Germering den Buss-Kindern zur Verfügung. Seit sie den Verein 2015 wegen notwendiger Umstrukturierungen auflösen mussten, ist auch diese Förderung entfallen. "Statt dieser Nadel wären Unterstützung, weiter ein Raum oder Fördergelder schön", sagt die 44-Jährige, die inzwischen auch als Referentin für den deutschen Kinderhospizverein Vorträge in ganz Deutschland hält und nach dem Tod ihres Sohnes zwei Bücher darüber geschrieben hat ("Joshua" und "Leben dazwischen"). Wie Marion Getz unterstreicht, finanziert sich das Joma-Projekt ausschließlich aus Spenden.

Damals, vor 16 Jahren, als sie und ihr Mann von den Ärzten gesagt bekamen, dass ihr gerade ein Jahr alter Sohn an einer unheilbaren, tödlichen Erkrankung leidet, gab es der Sozialpädagogin zufolge noch keinerlei Hilfen für Familien mit todkranken Kindern. Kein Kinderhospiz, keine Palliativmedizin und auch keine ergänzenden Angebote wie Selbsthilfegruppen. "Joshua konnte keine Inklusionsklasse besuchen", bedauert die 44-Jährige für ihren schließlich im Alter von 13 Jahren verstorbenen Sohn.

Weil es seinerzeit keine Angebote für Familien mit todkranken Kindern gab, haben das Ehepaar Getz und Christine Stoppel-Schulze, damals noch mit Tanja Hohlweg, den Gesprächskreis und später den Verein Buss-Kinder gegründet. Neben dem regelmäßigem Austausch der Eltern, geleitet von Marion Getz, und dem Treffen der Kinder in der Bastelgruppen unter Stoppel-Schulzes Verantwortung organisierte der Verein auch ein bis zwei Ausflüge im Jahr. Ergänzend dazu gab es jedes Jahr drei Seminare: eines nur für Mütter, eines für die ganze Familie und eines für trauernde Familien. "Das ist für Familien ein ganz nachhaltiges, wichtiges Angebot, weil die Familien sehr isoliert leben", unterstreicht die Sozialpädagogin, die inzwischen eine Zusatzausbildung in Traumapädagogik gemacht hat.

Nach dem Aus für den Buss-Kinder-Verein beschränkten sie im Verein Joma-Projekt ihr Angebot weitgehend auf die Seminare. Dabei fungieren Sozialpädagogin Getz und Kinderpflegerin Stoppel-Schulze, die derzeit soziale Arbeit studiert, erneut als Referentinnen. Tobias Getz, hauptberuflicher Produktmanager, hilft als Vereinsvorsitzender zum einen bei der Organisation der Seminare. Ferner ist er als betroffener Vater während der meist ein Wochenende dauernden Zusammenkünfte für die männlichen Teilnehmer ein beliebter Ansprechpartner. "Es ist oft so, dass die Väter das Gespräch suchen", sagt Tobias Getz. Im Vorstand des Joma-Projekts sind ferner ein Psychotherapeut, eine Kinder- und Jugendärztin, eine in Intensivmedizin erfahrene Krankenschwester und Erzieherin, eine Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin sowie ein Kinder- und Jugendcoach. "Wir sind alles Fachkräfte", betont Marion Getz. "Ehrenamtliche Arbeit ist super. Aber eigentlich würden wir mit unserer Arbeit gern unseren Lebensunterhalt verdienen können."

Etwa 60 Familien aus ganz Süddeutschland sind laut Getz und Stoppel-Schulze derzeit über das Joma-Projekt in Verbindung. Insgesamt habe man im Lauf der Zeit etwa 80 bis 100 Familien geholfen, überschlägt Stoppel-Schulze. "Die Begleitung ist meistens sehr langfristig", schließlich ende sie ja nicht mit dem Tod des Kindes, erläutert der Vorsitzende. Ganz im Gegenteil: "Es geht darum, während der Phase, in der die Kinder noch leben, ein Netz aufzubauen, das die Familien auch nach dem Tod der Kinder trägt."

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