Germering:Europa am Scheideweg

Germering: VORTRAG SPD - Europa, wie geht's weiter?

Die SPD diskutiert in der Germeringer Stadthalle über Europa: Johano Strasser (von links), Claudia Tausend und Michael Schrodi.

(Foto: Johannes Simon)

Eine Podiumsdiskussion der Germeringer SPD kann für die EU nur wenig Optimismus wecken

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Kein Zweifel: Die Strahlkraft der europäischen Idee hat unter der Praxis der Europäischen Union erheblich gelitten. Verlässliche neue Perspektiven konnte die Germeringer SPD bei ihrer Veranstaltung "Europa - wie geht es weiter?" in der Stadthalle auch nicht aufzeigen. Das wäre auch zu viel verlangt gewesen. "Welche Schritte werden sie in den nächsten vier Jahre unternehmen, die die europäischen Institutionen voranbringt?", wollte ein Besucher, der extra aus München-Ost gekommen war, von der SPD-Bundestagsabgeordneten Claudia Tausend wissen, die dem Europaausschuss des Bundestages angehört.

Tausend konnte dem Europa-Enthusiasten kaum Hoffnung auf Besserung machen. "Ich hoffe, dass sich die Re-Nationalisierungstendenzen stoppen lassen", meinte die SPD-Politikerin, die auch Vorsitzende der Münchner SPD ist. Johano Strasser, inzwischen 78 Jahre alt und schon seit 1975 Mitglied der SPD-Grundwertekommission, konnte den 50 Besuchern alle Probleme aufzeigen, woran die EU krankt. Lösungen konnte Strasser, zusammen mit Julian Nida-Rümelin einer der wenigen ideologisch-theoretischen Köpfe in der SPD, auch nicht anbieten. Ein Erfolg sei, dass in Europa seit 72 Jahren Frieden herrsche und offene Grenzen existierten. "Was ist der Mehrwert von Europa für die Arbeitnehmer?", fragte Moderator Michael Schrodi und der SPD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Dachau-Fürstenfeldbruck legte damit den Finger in die Wunde. Der Befund fiel dann auch negativ aus. Tausend sicher: "Die soziale Säule hat bis heute gefehlt." Strasser sah das genauso und machte in der Konstruktion der EU-Institutionen den Europäischen Rat der Regierungschefs, der letztlich alles entscheidet, als "Störfaktor" aus. "Der spielt ein falsches Spiel", meinte der Politologe und Schriftsteller. Wenn der Mehrwert der EU für die abhängig Beschäftigten nicht da ist, erstaunte es, dass sich Strasser über den Brexit der Briten wunderte: "Die Nationalisten dort sind Traumtänzer."

Strasser führte aus, dass das exportorientierte Deutschland von den Verhältnissen in der EU "wahnsinnig profitiert hat". Der SPD-Politiker überzeugt: "Das wurde durch Sozial- und Lohndumping bei uns erreicht." Deutschland habe Griechenland im Stich gelassen. "Statt Investitionshilfen zu leisten, wurde das Land zum Verkauf von Staatseigentum gezwungen", so Strasser. "Bei der Flüchtlingspolitik wird nun Deutschland von der EU im Stich gelassen." Tausend schob die Verantwortung für das EU-Desaster auf Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble ab, obwohl natürlich jedem im Saal bewusst sein musste, dass auch die SPD an der Bundesregierung beteiligt ist. Dann wechselte das Thema zu den Fluchtursachen und Afrika. Dort sah Strasser vor allem Europa für zuständig. Es gelte, die Handelsbeziehungen mit Afrika zu ändern, forderte er. "Afrika schaffen wir nicht", warf ein Besucher ein, "die Korruption ist dort das größte Problem." Dem widersprach Strasser nicht. "Es macht nur Sinn, den Frauen dort das Geld zu geben", antwortete er und die Frauen im Saal freuten sich.

Kleinkredite an Frauen - eine Lösung für die Probleme in Afrika? Tausend zeigte Sympathie für die Marschall-Plan-Idee für Afrika von CSU-Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Gestreift wurde noch das brachliegende Handelsabkommen TTIP der EU mit den USA. "Warum ist die SPD dabei?", wollte Jürgen Knöckelmann wissen. Tausend bekannte sich dazu, weil TTIP und CETA mit den USA und Kanada "den Binnenmarkt vergrößern", um gegenüber China wettbewerbsfähiger zu werden. Strasser widersprach und nahm das Thema zum Anlass, um den "neoliberalen Sündenfall" der SPD unter der Schröder-Regierung mit den Grünen als Mehrheitsbeschaffer heftig zu kritisieren. "Der Markt regelt alles, das ist Schwachsinn", wetterte er. "Es wurden unter der SPD Gesundheitsgesetze von Lobbyisten geschrieben." Strasser laut werdend: "Das darf uns nie wieder passieren." Schrodi bekannte sich ausdrücklich dazu, dass er diese Kritik teilt.

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