Germering:Eine Nummer als Mahnmal

Eva Umlauf

Begrüßung: Eva Knobel-Spina (von links), Fachbetreuerin Geschichte, und Schulleiter Robert Christoph heißen Eva Umlauf am Germeringer Max-Born-Gymnasium willkommen.

(Foto: Günther Reger)

Die 74-jährige ehemalige Kinderärztin Eva Umlauf hat als Kleinkind Auschwitz überlebt. Den Schülern des Max-Born-Gymnasiums erzählt sie von den Recherchen und Mühen für ihre Autobiografie

Von Raphael Knipping, Germering

"Vergessen Sie das Kind, es wird nicht überleben!" Diese Worte eines russischen Rotkreuz-Arztes schockieren Anfang 1945 Eva Umlaufs Mutter im Konzentrationslager Auschwitz. Schließlich leidet die zu diesem Zeitpunkt knapp dreijährige Eva laut Krankenblatt an offener Tuberkulose, Diphtherie und einer Lungenentzündung. Eine Diagnose, die wie ein sicheres Todesurteil klingt. Doch wie durch ein Wunder überlebt sie Krankheit und Strapazen der Nachkriegszeit. 72 Jahre später sitzt Eva Umlauf an einem kleinen Tisch auf der Bühne der "Halle 4" im Germeringer Max-Born-Gymnasium und liest Passagen aus ihrem Buch mit dem Titel vor: "Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen".

75 Schüler der elften Klassen lauschen gebannt den Ausführungen der Zeitzeugin. Ein Wort, an dem Umlauf sich stört. Sie fühle sich eher als "Zeiten-Zeugin", da sie schlichtweg zu klein gewesen sei, um sich an die NS-Zeit zu erinnern. Stattdessen berichte sie über die Zeiten von damals bis heute. Ausgiebige Recherchen und zahlreiche Gespräche mit der vor 22 Jahren verstorbenen Mutter ermöglichen es ihr trotzdem, ihren Lebensweg von Anfang an zu erzählen.

Ihr Vortrag beginnt mit einem Vergleich. Etwa 1200 Häftlinge hatte das Arbeitslager Nováky, in welchem ihre Mutter sie am 19. Dezember 1942 unter widrigsten Bedingungen zur Welt brachte. Ebenso viele Schüler besuchen das Max-Born-Gymnasium. Nováky war ein slowakisches Durchgangslager, aus dem Menschen jüdischer Herkunft in Vernichtungslager im besetzten Polen deportiert wurden. Nach einem etwa zweijährigen Aufenthalt wurde sie mit ihrer zu diesem Zeitpunkt im vierten Monat schwangeren Mutter nach Auschwitz deportiert und kam dort nach einigen Verzögerungen am 2. November 1944 an. Diese Verspätung spiele in ihrem Leben eine "wesentliche Rolle", denn sonst hätte sie nicht überlebt, berichtet die 74-Jährige.

Angesichts der vorrückenden Roten Armee wurden nämlich die Vergasungen eingestellt und mit Vertuschungsversuchen begonnen. Noch am 30. Oktober 1944 wurden einige Tausend Mütter mit ihren Kindern, die aus Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden waren, ermordet. Trotz der näher rückenden Front und des beginnenden Rückzugschaos' wurde ihr als einer der jüngsten Häftlinge eine KZ-Nummer tätowiert. A 26959. Eine Nummer, die "wie ein Muttermal" zu ihr gehöre. Eine Art "persönliches Mahnmal", erzählt Umlauf.

Ihr Vater, Imricht Hecht, wurde schon bei der Selektion vom Rest der Familie getrennt. Lange ging man davon aus, dass er bei einem der Todesmärsche erschossen worden sei. Erst die Recherchen zu Eva Umlaufs 2016 erschienenen Buchs brachten die Erkenntnis, dass er als 33-Jähriger in das KZ Melk, ein Außenlager des KZ Mauthausen, deportiert wurde und dort am 20. März 1945 an einer Sepsis starb.

Ihre Mutter kehrte im Juli 1945 in die Heimatstadt Trenčín in der damaligen Tschechoslowakei zurück. Neben ihren zwei Töchtern nahm die damals 21-Jährige auch einen sechsjährigen Jungen mit. "Tomi", der in Auschwitz seine Eltern verloren hatte, sollte eigentlich nach Russland gebracht werden und hätte dort laut Umlauf "mit ziemlicher Sicherheit seine Identität verloren". Nur durch einen Zufall wurde "Tomi" später von einem Onkel gefunden und die Wege trennten sich. Erst mit Hilfe intensiver Recherchen konnte ihn Eva Umlauf in Portland ausfindig machen und vor einigen Jahren treffen und kennen lernen.

Die Familie lebte in den Nachkriegsjahren weiterhin in der Kleinstadt Trenčín, in der beide Töchter das Abitur machten. Eva Umlauf studierte in Bratislava Medizin und heiratete 1966 einen polnischen Schoah-Überlebenden. Doch auch im Kommunismus musste sie als Jüdin weiter Angst haben und fühlte sich, als hätten "die Wände Ohren". 1967 folgte sie ihrem Mann nach München in "das Land der Täter", in dem sie paradoxerweise erstmals "ein freies religiöses Leben" führen konnte. Später leitete sie 21 Jahre lang eine Kinderarztpraxis direkt gegenüber dem Max-Born-Gymnasium und ist seit 1996 als Psychotherapeutin in München tätig.

Den Gymnasiasten ist anzumerken, dass sie Umlauf noch ewig zuhören könnten. Doch ihr Vortrag ist auf eine Doppelstunde begrenzt, die Schüler dürfen schließlich noch Fragen stellen.

Zum Beispiel, warum sie das alles erzähle. Ihre Erinnerungen seien wie "ein Abszess, der sich mit Eiter füllt", sagt Umlauf, und irgendwann müsse man ihn öffnen. Trotzdem sei die Recherche zu ihrem Buch emotional "sehr anstrengend" gewesen. 2014 erlitt sie einen Herzinfarkt und spürte dadurch "den letzten Druck", das Buch fertig zu schreiben. Schuldzuweisungen will sie freilich nicht abgeben. Es gehe vielmehr darum, Verantwortung an folgende Generationen weiterzugeben. "Ihr jungen Menschen habt die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass das nie wieder passiert", sagt sie zu den Schülern. Eine Ansicht, die Schülerin Fiona Fischer teilt. Schon heute seien Parallelen zur Vergangenheit erkennbar, denn "wir machen Fehler" die vermeidbar wären. Deshalb "dürfen wir die Geschichte nicht vergessen!"

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