Germering:Blick in das Auge des Drachens

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Zeit-Reporterin erzählt von ihren Erfahrungen in China

Von Felix Reuß, Germering

Sie wurde schon von Ai Wei Wei beschimpft und in China von der Regierung verhört. Da macht es nichts, dass Angela Köckritz zur Lesung ihres Buches "Wolkenläufer" in der Stadtbibliothek Germering einige Minuten zu spät erschien. Ginge es nach den knapp 30 Zuhörern, hätte die Zeit-Journalistin sowieso viel früher anfangen müssen, um ihre packenden Geschichten erzählen und alle offenen Fragen beantworten zu können.

In Auszügen schilderte die in Olching aufgewachsene Köckritz ihren fünfjährigen Aufenthalt in China und stellte die Menschen vor, denen sie dort begegnet ist - von ihrem Nachbarn über eine Mätresse bis zu einem in den Bergen lebenden Eremiten. Der Eindruck des Zuhörers ist stets der gleiche: Die anfangs als fremd empfundenen Personen werden in Köckritz' Erzählungen immer liebenswerter. Gleichzeitig steckt eine gewisse Tragik hinter jedem Schicksal, sei es wegen Chinas unaufhaltsamer Modernisierung oder einem gesellschaftlich akzeptierten Phänomen wie Polygamie. So trifft Angela Köckritz unter anderem einen Privatdetektiv, der für betrogene Ehefrauen die Mätressen ihrer Männer aufspürt. Begrifflich ist nicht genau geklärt, ob es jetzt Mätressen oder Konkubinen sind, die sich (neu-)reiche Männer angeln wollen und sich davon Geld- und Sachgeschenke erhoffen. Allerdings entdeckt man durch die Mätressen eine völlig neue, schwer zu verstehende Welt.

Um diese treffend zu beschreiben, wendete Angela Köckritz jede Menge Zeit und Mühe auf. Sie stand schon als Schülerin immer unter Strom und hatte "gefühlt 50 000 Schülerjobs". Mit Konzertkritiken oder Comics für eine eigene Ausgabe verbrachte sie die Schulzeit am Olchinger Gymnasium, wo sie auch ihr Abitur ablegte. Schnell war sie sich sicher, dass das Schreiben ihre Berufung ist. Diverse Praktika, unter anderem bei der Süddeutschen Zeitung, halfen ihr bei der Orientierung weiter. Trotzdem führte sie erst ein Trip nach Asien zum Journalismus. Ein thailändisches Mädchen "adoptierte" Angela Köckritz beim Besuch in deren Heimat und zeigte ihr die Welt jenseits des Tourismus. Über einen Besuch in Kuala Lumpur, ihr Studium in Taiwan und ein Praktikum in Peking konnte Köckritz dann weitere Erfahrungen sammeln, bis sie schließlich als Auslandskorrespondentin für die Zeit in China arbeiten durfte.

Doch Journalisten stehen im Reich der Mitte bisweilen unter Generalverdacht, das Regime weiß um die Macht der Medien, weswegen diese streng reguliert werden. Die Zensur gilt zwar offiziell nicht für ausländische Medien, beobachtet wurde Angela Köckritz trotzdem ständig. Und schließlich wurde sie sogar von den Behörden verhört, nachdem sie sich gemeinsam mit ihren Nachbarn aus dem Stadtviertel gegen den Abriss des selbigen einsetzte. Die meisten Chinesen hätten sich mit der Kontrolle durch die Regierung abgefunden, erzählt Köckritz. Allerdings gebe es auch gut organisierte Netzwerke von Regimekritikern und -gegnern. China, das sei der Prototyp für dunkle Zukunftsaussichten wie den totalitären Staat, aber auch für moderne Phänomene, wie den gläsernen Menschen - und gleichzeitig für die Macht des Konventionellen. Rachsüchtige Ehefrauen inklusive.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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