Germering:Abschied von der Leitkultur

Puchheim: Fussball-Turnier mit Flüchtlingen

Bei Fußballspielen mit Asylbewerbern wie hier in Puchheim kommt es nicht auf die ethnische Zugehörigkeit an.

(Foto: Johannes Simon)

Pater und Migrationsexperte wirbt in Germering für kulturelle Vielfalt und Integration

Von Anna Landefeld-Haamann, Germering

Bernhard Vondrasek wundert sich nicht über die derzeitigen Flüchtlingsströme nach Europa. "Es gab sie schon immer und wird sie immer geben: Menschen die von A nach B wandern." Die drängendere Frage sei doch, wie eine Gesellschaft mit den Herausforderungen umgehe, die Flucht und Asyl mit sich bringen, sagte der Caritas-Pater und Professor für Migrationssozialarbeit an der Stiftungsfachhochschule München und Benediktbeuern. "Wichtig ist, dass wir theologische und ethische Orientierungspunkte für den Umgang mit Flüchtlingen haben. Konkrete Lösungen kann ich aber nicht geben," betonte Vondrasek mehrmals während seines Vortrags in der Pfarrei Sankt Martin, zu dem das Brucker Forum geladen hatte. Dabei äußerte er sich auch kritisch gegenüber der eigenen, der katholischen Kirche, und aktuellen politischen Debatten.

Bereits in den Schriften des Alten Testaments lassen sich für Vondrasek solche "theologischen und ethischen Orientierungspunkte" finden. Denn auch die biblischen Darstellungen setzen sich mit dem Thema Flüchtlinge auseinander: Weshalb sind Menschen geflohen? Welche rechtliche Stellung sollen Flüchtlinge haben? Wie kann man sie in die Gesellschaft integrieren? Jedoch müsse man kritisch sein, wenn man entsprechende Bibelstellen lese. Niemals dürfe man sie wörtlich nehmen, sondern stets ihren historischen Zusammenhang hinterfragen. "Es ist erstaunlich, aber die Gründe für Flucht haben sich über die Jahrtausende nicht geändert.

Die Push-und-Pull-Faktoren sind dieselben", sagte Vondrasek. Zahlreiche Belege finden sich im Alten Testament dafür, dass die Menschen ihr Land verließen aufgrund von Kriegen, aus Angst vor Blutrache oder politischer Verfolgung. Aber auch Belege für wirtschaftliche Motive wie Hungersnöte, Arbeitslosigkeit oder ausgetrocknete Weidegründe lassen sich als Ursachen für Fluchtbewegungen feststellen. "Wenn man so will, war Stammvater Abraham einer der ersten Wirtschaftsflüchtlinge der Geschichte", so Vondrasek. Solche Menschen hießen im Alten Testament "ger". Man meinte damit Menschen, die fremd, wirtschaftlich schwach und sozial abhängig und somit auf Hilfe angewiesen sind. Heute würde man sie als Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten bezeichnen.

Für diese alttestamentarischen Flüchtlinge entwickelte man bereits vor rund 2700 Jahren eigene rechtliche und soziale Konzepte. Laut Vondrasek wird im Fünften Buch Mose eine Art institutionalisierte kommunale Armenfürsorge beschrieben. Alle drei Jahre soll ein Zehnt der Ernte und des Viehs nicht als Tempelabgabe den Priestern, sondern den bedürftigen Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden. Auf den Feldern und Weinbergen wurde die Nachlese verboten. Diese war ebenfalls für die Armen bestimmt.

"Das israelitische Volk hat auf die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen reagiert, indem sie religiös aufgeladenen Formen dafür auflöste und anpasste." Dabei merkte Vondrasek kritisch an, dass auch das heutige "kirchliche Finanzgebaren" überdacht und verändert werden müsse. Rechtlich wurden die Flüchtlinge dem Schutz eines Patron unterstellt. Im Gegenzug arbeiteten sie für ihn. "Das war keinesfalls ausbeuterisch, sondern im beidseitigen Interesse." Für den Flüchtling galten die gleichen arbeitsschutzrechtlichen Regelungen wie für einheimische Arbeiter, beispielsweise der Sabbat, die Sonntagsruhe.

"Dahinter steckt der zentrale Gedanke, dass wir alle Teil derselben Schöpfung sind und die Welt jedem gleichermaßen gehört, egal aus welchem Staat man kommt oder welcher Ethnie man angehört." So ist die rechtliche Gleichbehandlung von Flüchtlingen für Vondrasek zentral. Er sei erleichtert, dass die geforderten Transitzonen von der Regierungskoalition abgelehnt worden sind. Über die verschärfte Residenzpflicht müsse man aber neu diskutieren. Wie weit dürfe sich ein Asylbewerber von den Erstaufnahmezentren wegbewegen - nur im Landkreis, in Oberbayern oder ganz Bayern?

Asylrecht, das ist für Vondrasek ein Notstandsrecht, ohne das "Menschenrechte nicht denkbar" sind. Dabei setzt er große Hoffnungen auf das "Friedensprojekt Europäische Union". Die einzelnen Mitglieder müssten sich nur von ihrem national-staatlichen Denken befreien. Moderne Gesellschaften könnten sich nur weiterentwickeln, wenn sie eine kulturelle Vielfalt zuließen. Deswegen müsse man sich von der Vorstellung einer "Leitkultur" verabschieden, denn sie grenze andere aus. Für die Flüchtlinge bedeute dies, sich in die Gesellschaft einzufügen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben. Die Menschen vor Ort müssen solche Integrations-Angebote schaffen - gleich ob durch Deutschunterricht oder ein nettes Gespräch auf der Straße. "Jeder soll helfen, wie er kann."

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