Geläuterter Straftäter:Kriminelle Karriere als Erfahrungsschatz

Er hat ein ellenlanges Sündenregister, saß sechs Jahre im Knast und ist für den Brucker Verein Sprint gerade deshalb "eine Idealbesetzung": Ein geläuterter Straftäter kümmert sich um Jugendliche, die als Alternative zum Freizeitarrest ein Wochenende lang für den Naturschutz arbeiten

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Er hat ordentlich was auf dem Kerbholz, saß insgesamt sechseinhalb Jahre wegen Delikten wie Betrug, Körperverletzung und Vergehen im Straßenverkehr in Bernau, Stadelheim und anderen Justizvollzugsanstalten. Doch trotz der 26 Vorstrafen sagt Sprint-Geschäftsführer Manfred Focke über den 46 Jahre alten Thomas Jakob Renner: "Als Mitarbeiter für uns ist er eine Idealbesetzung."

Sprint ist ein in Fürstenfeldbruck ansässiger "Verein für Sozialpädagogische Resozialisierungs- und Integrationsangebote". Und Renner ist deshalb der richtige Mann, weil der gebürtige Österreicher, der lange in München gelebt hat, längst einen eindrucksvollen Schlussstrich unter seine kriminelle Karriere gezogen hat. Der einstige Alkoholiker legte eine 180-Grad-Wende hin, wurde buchstäblich vom Saulus zum Paulus und gründete gemeinsam mit seinem früheren Strafverteidiger Adam Ahmed den Verein Subsidium, der ehemaligen Straftätern bei der Arbeits- und Wohnungssuche sowie der Wiedereingliederung in die Gesellschaft hilft.

Für den Brucker Verein ist Renner deshalb so wertvoll, weil er mit seinem Background einen sehr guten Zugang zu straffällig gewordenen Jugendlichen hat. Und den brauchen die Mitarbeiter von Sprint auch für eines ihrer Angebote, das im ganzen Bundesgebiet ziemlich einmalig sein dürfte. Sprint ermöglicht es den 16- bis 24-Jährigen, alternativ zum üblichen Arrest bei Naturschutzprojekten mitzuarbeiten. Bei jährlich vier sogenannten Ökowochenenden helfen jeweils zehn bis zwölf Personen bei Projekten wie dem des Landesbundes für Vogelschutz im Fußbergmoos oder des Bundes Naturschutz im Maisach, Puchheim oder Hohenzell. Dann wird beispielsweise auf schwer zugänglichen Naturschutzflächen gemäht, ausgelichtet oder artfremde Pflanzen wie das Springkraut werden entfernt. Es ist harte körperliche Arbeit, nach dem Motto "Schwitzen statt sitzen". Voraussetzung dafür, dass ein Delinquent nicht von Samstag, neun Uhr, bis Montag, sechs Uhr, einen Freizeitarrest absitzen muss, um damit etwa Schlägereien oder wiederholte Ladendiebstähle zu sühnen, ist eine richterliche Weisung nach Paragraf zehn des Jugendgerichtsgesetzes. Mittlerweile gibt es das Ökowochenende seit 18 Jahren, 761 Jugendliche wählten diese Alternative. Das nächste Wochenende ist vom 22. bis 24. Juli und wird vom BN in Puchheim betreut.

Fussbergmoos: Oeko-Wochenende für straffaellig gewordene Jugendliche

Ein Jugendlicher hilft im Fußbergmoos.

(Foto: Johannes Simon)

Üblich ist ein Einführungsabend am Freitag im Jugendhaus Gelbenholzen, wo auch übernachtet wird. Renner hat bereits vier Ökowochenenden im Jahr 2015 hinter sich und die wenig überraschende Erfahrung gemacht, dass er einen guten Draht zu den Jugendlichen hat. Die Kunst ist allerdings, nicht wegen der kriminellen Karriere als "cooler Ansprechpartner" akzeptiert zu werden, sondern deshalb, weil man die Kurve gekratzt hat und nun ein selbstbestimmtes Leben mit Frau und Kind führt. Renner will vermitteln, dass "anderen auf die Fresse hauen ganz und gar uncool und schwach ist", ein Leben in der Legalität als Teil der Gesellschaft hingegen viel cooler. Dazu gehören Selbstwertgefühl sowie der Respekt vor dem Nächsten. "Die, die anfangs am härtesten wirken, sind oft die Zerbrechlichsten", sagt Renner. In einem Fragebogen lotet er immer erst einmal aus, wie sich die Jugendlichen selbst sehen, wie sie leben und welche Wünsche sie haben.

"Für mich war es faszinierend, wie sehr sich die Jungs dem Herrn Renner geöffnet haben", sagt die Sozialpädagogin und Wildnispädagogin Lena Scheitzenhammer, 30, die gemeinsam mit dem Landschaftsökologen Sebastian Morbach das Betreuerteam des Ökowochenendes komplettiert. Es reicht, dass Renner von seinen eigenen Verfehlungen berichtet und von seinen Jahren im Knast - schnell wird dann klar, dass das nicht das ist, was jugendliche Wiederholungstäter sonst schon mal als "Sozpädgedöns von Weltverbesserern" abtun. Auf Renner war Fock eher zufällig gestoßen: im Mai 2015 war er im Bayern-2-Talk "Eins zu Eins" interviewt worden.

Geläuterter Straftäter: Karen Adomeit, Sprint-Chef Manfred Fock und die neuen Betreuer des Ökowochenendes, Lena Scheitzenhammer und Thomas Jakob Renner.

Karen Adomeit, Sprint-Chef Manfred Fock und die neuen Betreuer des Ökowochenendes, Lena Scheitzenhammer und Thomas Jakob Renner.

(Foto: Salger)

Insgesamt ist die Zahl der richterlichen Weisungen in den zurückliegenden Jahren etwas rückläufig. Das könnte an der Zahl der verschiedenen Angebote liegen, zu denen auch Sozialstunden oder etwa Leseweisungen zählen. Zudem nimmt die Zahl der Jugendlichen im Zuge des demographischen Wandels ab. Das Angebot des Ökowochenendes will der Verein Sprint aber aufrecht erhalten.

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