Fußball-WM:Im Abseits

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Alle Welt blickt gebannt nach Russland, wo in knapp einer Woche das Turnier angepfiffen wird. Was aber sollen Menschen machen, deren Land sich gar nicht erst qualifiziert hat? Einfach Augen zu und durch? Oder einer anderen Mannschaft die Daumen drücken?

Während sich viele deutsche Fußballfans auf die Weltmeisterschaft und spannende Spiele der DFB-Elf freuen, ist die Vorfreude auf das Turnier in Russland bei Italienern, Türken, Niederländern, Österreichern, Schotten oder Griechen sehr gedämpft. Denn ihre Mannschaften sind in der Qualifikation ausgeschieden. Was tun sie in den nächsten Wochen? Wem drücken sie die Daumen? Der SZ haben sie es erzählt.

Konzert am Spieltag

Auch während der WM spielt die Musik die erste Geige im Alltag des Puchheimers Peter Michielsen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wenn das erste Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland angepfiffen wird, befinden sich die meisten niederländischen Kicker wohl im Urlaub. Die Zuschauer des Weltturniers müssen auf bekannte Spieler wie Arjen Robben, Bas Dost oder Robin van Persie verzichten. Ein wenig schmerzt das auch Peter Michielsen aus Puchheim, geboren in den Niederlanden. Der Geigenlehrer und Dirigent des Puchheimer Jugendkammerorchesters (PJKO) hätte den Stars der Elftal - so heißt die Nationalmannschaft in den Niederlanden - schon gerne zugeschaut. Auch wenn er betont, dass er früher, als die Söhne mit ihm Fußball geschaut haben, viel mehr mitgefiebert habe als heute. Inzwischen möchte er vor allem schönen Fußball sehen, egal von welcher Mannschaft. Auch wegen des aufkeimenden Nationalismus und der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit will Michielsen vor dem Fernseher möglichst unparteiisch bleiben. Ob er häufig zum WM-Schauen kommt, ist allerdings nicht sicher. Denn Juni und Juli sind für den Orchesterleiter arbeitsreiche Monate. In denen gibt er nicht nur seinen Schülern Stunden, es gilt auch, eine Konzertreise nach Griechenland vorzubereiten, die am Ende der Sommerferien stattfinden soll. Und dann feiert das Orchester in diesem Jahr auch sein 25-jähriges Bestehen. Höhepunkt ist das Jubiläumskonzert im Puc. Der Termin steht schon lange fest. Es ist Samstag, 23. Juni, um 20 Uhr, wenn die deutsche Fußballmannschaft gegen Schweden spielt. Michielsen hofft, dass er nicht der einzige ist, der an diesem Abend aufs Fernsehen verzichten kann.

Mit Schiedsrichter dabei

Erstmals in seinem Leben fährt Italien nicht zu einer WM. Antonio di Gorga lässt sich die WM dennoch nicht verleiden. (Foto: Carmen Voxbrunner)

"Wann spielt Italien?", ist ein Satz, den Antonio di Gorga derzeit häufiger hört. Die Deutschen würden ihn das fragen, sagt er und lacht - wohl wissend, dass sich die Fragesteller damit einen Scherz auf seine Kosten erlauben. Denn, so bedauerlich das ist für di Gorga, den Süditaliener: Italien ist nicht dabei. "Das ist für uns als Fußballnation eine traurige Nachricht." Über Fußball reden, das macht di Gorga trotzdem gerne. Er ist jetzt 47 und muss zum ersten Mal erleben, dass Italien bei einem Fußball-Großereignis fehlt: "Das ist ein komisches Gefühl." Die italienische Nationalmannschaft leide daran, dass die namhaften Vereine ihr Personal im Ausland suchten und die eigenen Talente weniger Chancen bekämen, lautet seine Analyse des Misserfolgs der Azzurri. Italien werde jetzt ein paar Jahre brauchen, um wieder eine schlagkräftige Mannschaft aufzubauen.

Die WM wird Antonio di Gorga natürlich trotzdem schauen, sie auch in seinem Ristorante "Brunello" im Brucker Brunnenhof auf TV-Bildschirmen zeigen. "Wir lieben Fußball", sagt der Neapolitaner, der Juve-Fan ist. Und wie schätzt er die Chancen der Deutschen ein? Sie spielten immer hervorragende Weltmeisterschaften, obwohl ihre Vorbereitung meistens nicht so gut sei, erinnert er sich. Aber er sieht Argentinien und Frankreich vorne: "Die haben gute Karten." Für die Deutschen, die ihn necken wollen, hat er mittlerweile eine Antwort parat: "Wir sind nämlich schon dabei bei der WM - mit einem Schiedsrichter."

Fußball als Nebensache

Die Finanzkrise in Griechenland beschäftigt Faras Theodoros viel mehr als die Weltmeisterschaft in Russland. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Ein freundliches Lächeln und einen festen Händedruck hat Faras Theodoros. Der 28 Jahre alte Mann ist 2013 nach Deutschland gekommen, um sich hier ein Leben aufzubauen. Anfang 2014 übernahm er in Fürstenfeldbruck das Restaurant "Panthenon". Theodoros ist ein patriotischer Grieche, seine Heimatliebe bringt er durch die bunte Speisekarte seines griechischen Lokals zum Ausdruck. Sein Beruf füllt ihn aus, da kümmert es ihn weniger, dass sein Heimatland in diesem Jahr nicht Teil hat an der Fußballweltmeisterschaft. "Klar, es wär' schon schöner, wenn sie drin wären", sagt er. Aber begeistern kann er sich nicht für Fußball. Die griechische Finanzkrise, die seit 2010 andauert, beschäftigt ihn viel mehr. Einen Favoriten hat er auch nicht. "Ich interessiere mich eben nicht sehr für Fußball", sagt er, während er den Blick über den Außenbereich seines Restaurants schweifen lässt. Nun muss er sich wieder um seine Gäste kümmern, denn es ist bereits Mittagszeit, Stoßzeit in der Gastronomie. Ein Public Viewing bietet er trotzdem in der Taverne an. Jedoch nicht im Freien, um Anwohner nicht mit lautem Fangegröle zu belästigen. Außerdem, so sagt er weiter, ist so etwas mehr für einen Biergarten, weniger für ein familiäres Restaurant.

Seelenverwandt

Fan des FC Bayern und der DFB-Mannschaft: Der Wiener Horst Jirgl vor seiner Gaststätte in Germering. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Österreicher und Bayern sollen ja seelenverwandt sein. Von Horst Jirgl erfährt man, dass es noch viel weiter gehen kann. Den Dialekt seines Mutterlandes kann und will der langjährige Wirtesprecher, Gewerbeverbandschef von Fürstenfeldbruck und amtierende Kreisvorsitzende der Senioren-Union gar nicht verbergen. Die konsequenterweise gestellt Frage, ob der Chef des Wiener Hendlhauses in Germering denn ein Österreicher sei, antwortet der 77-Jährige: "Naa, a Wiener!" Um sich prompt zu korrigieren. "I bin seit dreißg Jahr a Deitscher." Die Alpenrepublik hat er bereits 1970 hinter sich gelassen, und mit ihr all die österreichischen Fußball-Ikonen wie Schneckerl Prohaska, Hans Krankl oder Toni Polster. Nur bei David Alaba macht Jirgl eine Ausnahme. Der ist gut. Spielt ja auch beim Club seines Herzens. Ah naa, nicht bei der Austria Wien, sondern beim FC Bayern. Schafft man es wirklich, vom Österreicher zum Deutschen zu konvertieren? Man schafft es. Jirgl lässt es dementsprechend eher kalt, dass sich Österreich gar nicht erst für die WM qualifiziert hat. Spielen ja die Deutschen mit. Und die werden Weltmeister. Basta. Für die Gäste lässt Jirgl deshalb im Hendlhaus noch fristgerecht einen großen Fernseher aufstellen. Ganz uneigennützig. Dass er und die Mitarbeiter dann während der Arbeit auch selbst mitschauen können? Ja mei.

Auch die grottenschlechte zweite Halbzeit der Deutschen vor einer Woche im Testspiel gegen Österreich konnte nichts am gefestigten Charakter des aufrechten Fußballfans ändern. Das werde sich schon noch ändern, Deutschland sei ja bekanntermaßen eine Turniermannschaft. Verbunden fühlt sich Jirgl dem Bayern-Spieler Thomas Müller. Vielleicht deshalb, weil Jirgl und Müller den gleichen Schmäh haben. Figurtechnisch kann es Jirgl mit dessen Namensvetter aufnehmen: dem Gerd Müller. Der war ebenso wie Franz Beckenbauer und Sepp Meier mitverantwortlich dafür, dass Jirgl erst zum FC Bayern und dann gleich auch noch zur deutschen Nationalmannschaft übergelaufen ist. Das zahlt sich nächste Woche wieder aus. Es dürfte leiwand werden im Hendlhaus.

Ungewöhnliche Leidenschaft

Leidgeprüfter Anhänger der englischen Fußballer: Der Schotte Martin Adams hat früher selbst gekickt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Martin Adams ist in Dumfries im Süden Schottlands geboren. Er lebt seit 16 Jahren in Gröbenzell und ist Geschäftsführer einer US-Firma in Greifenberg. Außerdem ist er ein leidenschaftlicher und kenntnisreicher Fußballfan, der früher selbst gespielt hat. Adams bedauert es sehr, dass die schottische Nationalmannschaft wieder nicht um den Weltmeistertitel mitspielt. Adams beklagt allgemein den Niedergang des schottischen Fußballs. Auch die ehemals international erfolgreichen Vereine Celtic Glasgow und Glasgow Rangers spielten nicht mehr ganz oben mit. Der 60-Jährige führt das darauf zurück, dass der Fußball bei den schottischen Kinder keine so große Rolle mehr spiele wie früher. Bei der WM wird Adams zu den Engländern halten. Ungewöhnlich für einen Schotten. Traditionell gelten die Schotten nicht als Fans irgendwelcher englischen Mannschaften. Wäre er in Großbritannien geblieben, empfände er wohl Schadenfreude, wenn die Engländer verlören, sagt er. "Seit ich in Europa bin, sehe ich das aber anders." Damit meint Adams, seit er nicht mehr auf der Insel lebt. "Ich wünsche jeder britischen Mannschaft alles Gute, wenn die irgendwo kickt." Allerdings werde er auch von den Engländern immer wieder enttäuscht. Denn England habe zwar exzellente Spieler, die aber nicht zu einer Mannschaft zusammenfänden. Zudem fehle es an Beständigkeit. "Die Deutschen sind eine Turniermannschaft, England nicht." Daher traut Adams England auch diesmal nicht allzu viel zu.

Zum Public Viewing wird er nicht gehen. Das mache er nicht mehr, seit er 2010 das Achtelfinalspiel Deutschland gegen England gesehen hat. Damals verlor England 1:4 nach einem nicht gegebenen, wenngleich klaren Tor. Die Atmosphäre hat Adams als unangenehm in Erinnerung. Denn die deutschen Fans feierten die Ungerechtigkeit als "Rache für Wembley". Im WM-Finale von 1966 im Londoner Wembley-Stadion hatte der Schiedsrichter ein Tor für England gegeben, obwohl der Ball nicht ganz hinter der Linie war. Deutschland verlor 4:2. Diesmal wird Adams die Spiele zusammen mit englischen Freunden auf der Terrasse verfolgen. Sein Tipp für den Weltmeister ganz klar: Frankreich.

Daumen drücken für DFB-Elf

Kritiker der Leistung der türkischen Mannschaft: Sezer Yildiz vom Brucker Café Myra. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Im Brucker Café Myra, benannt nach einem Ort in Lykien, ist gerade Nachmittagstief. Das Geschäft ist bis auf zwei Tische, an denen gegessen wird, leer. In der sommerlichen Hitze erzählt Sezer Yildiz, gebürtiger Türke und Kellner in dem kleinen Restaurant, was er davon hält, dass die Türkei es nicht mit zur Fußball-WM nach Russland geschafft hat. "Na ja," sagt der 45 Jahre alte Mann kopfschüttelnd, "das ist schon verdient, dass sie nicht dabei sind. Wer so schlecht spielt, kann einfach nicht erwarten Teil eines sportlichem Events wie der WM zu sein." Ihm komme es so vor, als habe die Mannschaft während der Qualifikationsphase schlicht taktiert, welche Spiele gewonnen werden müssten. Aber guter Fußball sehe anders aus. "Klar bin ich enttäuscht darüber, es ist schließlich mein Heimatland, und ich sehe auch gerne Fußball." Trost für Sezer ist aber, dass sein zweites Heimatland Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft ist. "Ich wünsche mir sehr, dass die deutsche Nationalmannschaft den Pokal nach Hause holt und werde sie natürlich nach Kräften anfeuern." Nach Deutschland kam Sezer im Alter von sechs Jahren. "Mein Vater war der erste, der nach Deutschland ging. Danach folgte beinahe meine ganze Familie nach, bis ich 1979 dann auch nach Fürstenfeldbruck gekommen bin." Im Myra sollen die Spiele der Weltmeisterschaft zu sehen sein, ob draußen oder drinnen steht noch zur Debatte.

© SZ vom 09.06.2018 / ano, baz, homa, slg, ihr, homa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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