SZ-Serie: Aus Liebe zum Verein (Teil1):Zwischen Orks und Untoten

Die Mitglieder des Live-Rollenspielvereins "Der Schildbrecher" tauchen regelmäßigin eine fremde Welt ein. So hat sich in zwölf Jahren Vereinsgeschichte allerhand Skurriles angehäuft. Dazu gehören ein Pranger, ein mittelalterlicher Badezuber und ein Sarg

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Es gibt Wochenenden, an denen Florian Weiss nicht der 33-jährige Maschinenbauer aus Fürstenfeldbruck ist, sondern ein cyridischer Mönch namens Waldemar oder ein Söldner namens Berk. Wobei sich die Sache mit Waldemar schon vor ein paar Jahren erledigt hat. Der ist nämlich damals von einer hinterhältigen Gruppe Untoter gemeuchelt worden. Und wenn ein Charakter einmal das Zeitliche gesegnet hat, war's das, man spielt ihn nicht mehr. Alles andere wäre nicht authentisch. Weiss ist Gründungsmitglied des Fürstenfeldbrucker Vereins "Der Schildbrecher", der sich dem Live-Action-Roleplaying (Larp) verschrieben hat - einer Art Fantasy-Rollenspiel, für das es weltweit eine riesige Szene gibt. "Man kann sich das Ganze wie eine Art Impro-Theater vorstellen", sagt Weiss, der inmitten einer surrealen Szenerie aus altertümlichen Gewändern, Insektenwesen-Panzern, Kettenhemden und Ork-Köpfen steht - auf einem Bauernhof in Eismerszell. Dort befindet sich der Kostüm- und Requisitenfundus des Vereins.

Die Larp-Szene hat sich eine gigantische Parallelwelt aufgebaut. Bei sogenannten Conventions (Cons), also großen Treffen von Larp-Spielern, wird dieser Welt Leben eingehaucht. Es gibt nicht nur erfundene Kontinente und Länder, sondern auch eine eigene Währung. Weiss steckt eine Hand in seine Hosentasche und zieht ein paar fremdartige Münzen in Kupfer, Silber und Gold hervor. "Ein Bier in der Taverne kostet zum Beispiel ein Kupfer", sagt er.

Ein Tag im Mittelalter

Anprobe: Zum Live- Rollenspiel gehört die richtige Garderobe , zum Beispiel ein langes Kleid.

(Foto: Günther Reger)

22 Mitglieder zählt der Verein, der vor zwölf Jahren von einer Hand voll Leuten gegründet wurde. 22 Frauen und Männer, die jeweils einen fiktiven Charakter verkörpern, der gut durchdacht sein will. Für Larp reicht es nicht aus, sich einfach ein paar Elfenohren anzukleben oder einen Umhang zu tragen und einen Abend lang auf ein paar Sofas zu hocken. "Es wäre auch verpönt, über Fußball zu sprechen", sagt Weiss. Die Dimensionen sind viel größer und die Szene und ihr Regelwerk sind komplex. Die Charaktere, die die Vereinsmitglieder spielen, wählen sie selbst. Sie haben aufwendige, ausgedachte Vorgeschichten, wie Berk etwa, der im fiktiven Königreich Beilstein auf dem Kontinent Mittellande aufgewachsen ist. "Ich habe mich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet, als der Krieg mit dem Nachbarland Rabenstein ausgebrochen ist. Im Kampf bin ich schwer verletzt worden und war deshalb für die Armee untauglich", erzählt Weiss alias Berk. So blieb ihm nur eine Option: Sein Dasein fortan als Söldner zu fristen. "Das Kämpfen und Töten ist das einzige, was ich kann", sagt er.

Die Vorgeschichte muss bis ins Detail sitzen, wenn man während einer Con von einem Mitspieler in der Taverne danach gefragt wird. Genauso wichtig ist, dass die Gewandung und die Requisiten zum Charakter passen. Jeder sollte einen Charakter wählen, der zur eigenen Person passt. Weiss, eher stämmig, tätowierte Oberarme und kurzrasiertes Haar deutet auf sich: "Ich könnte zum Beispiel keine Elfe spielen." Der Söldner Berk sei da schon das Passende. Den spiele er schon seit zehn Jahren. "Sollte er mal sterben, wäre das schon komisch", sagt er. Wenn so etwas passiert, ist es üblich, sich in einer Art Zeremonie vom Alter Ego zu verabschieden, inklusive Scheiterhaufen, auf dem seine Kleidung und Hab und Gut verbrannt werden. Das hat viel mit Trauer und ein bisschen mit Respekt vor dem Charakter zu tun. Immerhin 300 Tage seines Lebens hat er als Berk verbracht. Aber wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass man im Spiel stirbt? "Während einer Schlacht gibt es immer wieder Situationen, die brenzlig werden", sagt Weiss. Jeder Charakter hat drei Lebenspunkte. Wird man zum ersten Mal getroffen - mit gepolsterten Waffen versteht sich -, ist man verwundet, beim zweiten Treffer ist die Verletzung schwer und beim dritten verblutet der Charakter. "Man zählt dann im Kopf bis 300 und wenn bis dahin kein Heiler kommt, stirbt man."

SZ-Serie: Aus Liebe zum Verein (Teil1): Die Vielfalt der verkörperten Charaktere lässt sich auch auf einem Foto der Schildbrecher erkennen.

Die Vielfalt der verkörperten Charaktere lässt sich auch auf einem Foto der Schildbrecher erkennen.

(Foto: Homepage Schildbrecher)

Überhaupt, die Heiler. Mit denen hat der 33-Jährige schon tolle Sachen erlebt. Beim Larp ist es extrem wichtig, dass die Spieler ihre fiktiven Fähigkeiten realistisch verkörpern. Und unter den Heilern gibt es ganz Kreative. Wie den, der einmal mit packungsweise Speckstreifen und Kunstblut angerückt ist, um den Heilungsprozess im Spiel realistisch rüberzubringen. Auch als Magier müsse man kreativ werden. "Jemand, der einen Windzauber beherrscht, muss das auch darstellen können. Zum Beispiel, indem er Sand rieseln lässt oder eine Tasche voll Federn dabei hat, die er fliegen lassen kann", sagt Weiss. Und der Verzauberte muss dementsprechend reagieren: sich vom Windstoß mitreißen lassen und sich auf der Erde herumkugeln. Erst dann macht es richtig Spaß. Szenen wie diese spielen sich innerhalb festgeschriebener Rahmenhandlungen auf den Cons ab, die der Verein entweder selbst veranstaltet oder besucht. Bis zu 250 Personen sind schon zu den Veranstaltungen der Schildbrecher angereist. Teilweise werden als würdige Kulisse für mittelalterliche Schlachten, fantastische Abenteuer und nervenaufreibende Expeditionen alte Burgen angemietet. Wobei es noch größer geht. Es gibt Cons, wie die Mythodea auf dem Rittergut Brokeloh bei Hannover, wo bis zu 6000 Elfen, Orks, Söldner, Untote und Heiler zusammenkommen.

Auf solchen Veranstaltungen ist Perfektion ein Muss. In mühevoller Kleinarbeit werden Kulissen wie Tavernen und Tempel gebaut, die Kostüme sind aufwendig und kunstvoll gestaltet, Teller aus Keramik gibt es nicht, sie müssen aus Holz oder Ton sein und es herrscht Flaschenverbot. "Man trinkt aus Hörnern oder Krügen", sagt Weiß. Und die Smartphones? Bleiben im Auto oder im Zelt. "Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn mitten in der Schlacht ein Handy läutet", sagt er und verdreht die Augen. Dass jemand bei einer Con nach Hause geschickt wird, weil sein Kostüm zu lieblos ist, oder weil er ein schnödes T-Shirt unter der Rüstung trägt, komme übrigens auch schon mal vor. Man trägt Leinenhemden. Modernes wird als "extrem störend" empfunden.

Teurer Charakter

Früher konnte Florian Weiss rein gar nichts mit dem Live-Action Roleplaying (Larp) anfangen. Freunde von ihm haben bereits vor zwölf Jahren an Conventions, sogenannten Cons, teilgenommen. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem er sich breitschlagen ließ, einmal mitzukommen. Die Begeisterung war sofort da. "Wenn eine Con richtig gut gemacht ist, vergisst du alles um dich herum", erzählt Weiss. Damals habe er schnell Gleichgesinnte gefunden. Gemeinsam haben sie den Verein "Die Schildbrecher" gegründet. Von fünf Mitgliedern ist die Gruppe mittlerweile auf 22 gewachsen. Und gerne dürfen es noch mehr werden, sagt Weiss. "Wer Lust hat, kann sich jederzeit über unser Forum bei uns melden", sagt er. Auch weitere Informationen über den Verein findet man auf der Homepage www.der-schildbrecher.de.

Um Kostüme und eine ordentliche Ausstattung muss sich erst einmal kein Interessent Gedanken machen. Der Verein besitzt mittlerweile einen großen Fundus und kann Neumitglieder bei Bedarf einkleiden. Eine Komplettausstattung für einen Charakter kann aber teuer werden, preislich gibt es nach oben kaum Grenzen. Die Mitglieder der Schildbrecher fahren regelmäßig zu Cons, die bis zu einer Woche dauern können, und planen alle zwei Jahre eine eigene. Innerhalb der Cons gibt eine Spielleitung die Handlung vor. Die Spieler-Charaktere müssen bestimmte Aufgaben erfüllen, etwa ein Gebiet von einer Gruppe Orks befreien oder einen begehrten Schatz finden. Einige der Cons haben Altersbeschränkungen, immerhin könne man mutierte Insektenwesen und Untote nicht jedem zumuten. Und wem es innerhalb des Spiels einmal zu brenzlig werden sollte, hat die Möglichkeit, "Stopp" zu rufen und somit aus dem Geschehen auszusteigen. Abgesehen davon gilt: Wer teilnimmt, bleibt für die Dauer der Con ununterbrochen in seiner Rolle. Während der restlichen Zeit werkeln die Vereinsmitglieder an Requisiten und Gewändern. Einmal im Monat gibt es ein Treffen aller Mitglieder, bei dem Veranstaltungen wie Conventions oder Sommer- und Winterfest des Vereins geplant oder nachbesprochen werden. BERJ

Gewandung und Requisiten stellt der Verein selbst her. Weiss zieht ein kiloschweres Kettenhemd aus einem der Regale hervor. Die einzelnen Glieder sind perfekt miteinander verbunden, kein Makel ist zu erkennen. "Wenn man jeden Abend mehrere Stunden daran arbeitet, dauert es etwa drei Monate", sagt er. Auch Ledertaschen, Waffen und die Masken der Orks und Untoten stellt der Verein selbst her. Auf einem Styroporkopf werden die Gesichtszüge mit Gips modelliert, mit Latex bezogen und angemalt. Kein Aufwand ist zu groß, kein Requisit zu skurril. Das letzte, was Weiss gebaut hat, war ein Pranger. Oben links auf einem Regal steht ein schwarzer Holzsarg. "Da ist während der Con ein Untoter rausgesprungen", sagt er. Und vor dem Lager steht ein enormer Badezuber. "Der gute Krieger muss sich ja auch mal waschen."

Obwohl es mittlerweile riesige Online-Händler für Larp-Bedarf gibt, gilt bei den Schildbrechern: selbst gemacht ist besser. "Sonst hast du Massenware", sagt Weiss. Wer trotzdem das ein oder andere Utensil kaufen möchte, dem sei der Internet-Fachhandel empfohlen, die Google-Suche führt zum Ziel. Dort gibt es Dinge, von denen man in seinen kühnsten Träumen nicht geahnt hat, dass es sie für Geld zu kaufen gibt. Zombie-Füße oder künstliche Wunden zum Aufkleben, etwa Pestbeulen. Im Lieferumfang enthalten: Eine große und zwei kleine Pestbeulen aus Latex, Metamorph-Filmblut, zwei Milliliter Mastix-Hautkleber und eine ausführlich bebilderte Gebrauchsanweisung für 12,99 Euro.

Es ist skurril, was Weiss erzählt, und deshalb so fesselnd. Die Faszination am Larp besteht für ihn darin, kurze Zeit der Realität entfliehen zu können. Und dann ist da noch der Adrenalin-Kick während der Cons. Weiss erzählt von Orks, denen winzige Knicklichter unter die Augenöffnungen der Masken geklebt werden. "Wenn du am Lagerfeuer sitzt und plötzlich 50 von denen mit leuchtenden Augen aus dem Wald kommen, ist das schon ein ziemlicher Schock", sagt er. "Es ist wie ein Gegenentwurf zum Computerspiel. Man geht raus und ist selbst aktiv. Es gibt so viele Möglichkeiten", sagt Weiss, die Mistgabel eines wütenden Mobs in seinen Händen.

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