Fürstenfeldbruck:Zerstörte Familien

Vor fast 20 Jahren soll ein Mann aus dem Landkreis seine damals neun Jahre alte Nichte sexuell missbraucht haben. Derzeit steht der 58-Jährige deshalb in Fürstenfeldbruck vor Gericht

Von Ariane Lindenbach, Fürstenfeldbruck

Wie der Verdacht eines sexuellen Missbrauchs das Klima in einer Familie vergiftet, war am Montagnachmittag bei einer Verhandlung vor dem Brucker Amtsgericht zu beobachten. Es geht um drei Geschwister, zwei Schwestern und ein Bruder. Zwei ihrer Kinder sollen Ende der 1990er Jahre im Alter von etwa zehn Jahren vom Ehemann der anderen Schwester sexuell missbraucht worden sein. In der Kreisstadt wird nun der Fall der heute 28-Jährigen verhandelt. Sie soll als Neunjährige bei einem Familienurlaub in Italien von ihrem Onkel unsittlich berührt worden sein. Der im Landkreis lebende 58-Jährige bestreitet die Vorwürfe.

Die drei Geschwister stammen aus Italien. Das ist erwähnenswert, weil die Familie dort von großer Bedeutung ist. Vor etwa zwei Jahrzehnten, als alles noch in Ordnung war, fuhren die drei Geschwister in den Sommermonaten mit ihren Ehepartnern und den Kindern oft gemeinsam nach Kalabrien. So war es auch im Sommer 1996. Wie die damals Neunjährige sich am Montag im Gerichtssaal erinnerte, erbot sich ihr Onkel eines Nachmittags nach dem Essen, den Mittagsschlaf der Kinder zu behüten. Die Erwachsenen könnten schon wieder zum Strand vorgehen, er komme später mit den Kleinen nach, schilderte die Zeugin. Sie berichtete, wie sich der Onkel neben ihr in das Ehebett gelegt hatte, während ihre jüngeren Cousins auf einer Matratze am Fußboden schliefen.

Der 28-Jährigen zufolge näherte sich ihr der Angeklagte, während sie schlief, beziehungsweise ihr Onkel das dachte. Ihrer Schilderung zufolge streichelte er sie im Intimbereich, nahm dann ihre Hand in seine und onanierte. Wie sie sich dabei gefühlt habe, wollte der Richter wissen. "Angst, Panik, nicht wissen, was zu tun ist", erwiderte sie. "Ich wollte nicht, dass er weiß, dass ich wach bin", deshalb habe sie getan, als ob sie schliefe. Als alles vorbei war, lief sie schnell aus dem Zimmer, wusch sich die Hände und rannte zu den Erwachsenen an den Strand.

Dass in jenem Sommer etwas Ungeheuerliches geschehen war, erfuhren die Erwachsenen erst viel später, bestätigte die Mutter der 28-Jährigen deren Aussage im Kern. Mit 14 - laut Mutter 16 - Jahren sah sie mit ihrer Cousine einen Bericht über sexuellen Missbrauch, der beide Mädchen dazu brachte, sich der anderen zu offenbaren. Wie sich seinerzeit herausstellte, so die 28-Jährige im Gerichtssaal, hatte sich ihr Onkel auch ihrer Cousine genähert. Gegenseitig gestärkt, wandten sich die Mädchen an ihre Eltern.

Diese konfrontierten den Onkel und seine Frau - ihre Schwester - mit den Vorwürfen. "Ich habe meiner Schwester mitgeteilt, dass unser Kind als Kind von ihrem Mann sexuell belästigt wurde", so die Mutter der 28-Jährigen. Seither, es müsse etwa zwölf Jahre her sein, habe man sich immer seltener gesehen. Immer wieder mit den Tränen kämpfend übersetzte die Zeugin im Gerichtssaal einen Brief ihrer Schwester, den diese kurz nach dem Eklat geschrieben hatte. Darin bittet sie ihre Geschwister, ihrem Mann zu verzeihen. Der habe "alles zugegeben" und bitte um Vergebung. Die Zeugin erwähnte zudem einen Anruf des Angeklagten. "Wir sollen ihm verzeihen", habe der gebeten. Was genau, fragte der Vorsitzende. Die Zeugin schüttelte den Kopf, konkret ausgesprochen habe er nichts, da ohnehin klar gewesen sei, es gehe um ihre Tochter. Der Angeklagte berief sich seinem Verteidiger zufolge nach einer Beratungspause darauf, damit etwas anderes gemeint zu haben.

In Anbetracht der Uhrzeit und der vielen Zeugen, die er noch vernehmen will, beschloss Richter Johann Steigmayer, die Verhandlung zu vertagen. Zum einen müsse er natürlich auch die Cousine hören, erklärte er. Deren Fall liegt zurzeit bei der Staatsanwaltschaft in Hanau. "Davor kann ich die Augen nicht verschließen", betonte der Richter. Darüber hinaus soll ein vereidigter Dolmetscher bis zum nächsten Verhandlungstermin zwei auf Italienisch verfasste Briefe und einen Post auf Facebook von der Frau des Angeklagten an die 28-Jährige übersetzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: