Fürstenfeldbruck:Tribüne im Wirtshaus

Lesezeit: 3 min

Das BR-Fernsehen überträgt seine Livesendung "Jetzt red i" erstmals aus der Brucker Marthabräuhalle. Die Bürger beklagen darin eine mangelnde Präsenz der Polizei vor Ort. Innenminister Herrmann begegnet den Vorwürfen politisch-abgeklärt

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Bayerisches Wirtshaus war gestern. Auch im Fernsehen. Die Marthabräuhalle war nicht wiederzuerkennen am Mittwochabend, nachdem der Bayerische Rundfunk (BR) sie für seine bekannte Bürgersendung "Jetzt red i" neu möbliert hatte. Eine im Halbrund aufgestellte Zuschauertribüne mit drei Sitzebenen bildet neuerdings die Kulisse für eine Sendung, die man nach 45 Jahren entstauben möchte. Die Dekoration im Fernsehprogramm müsse man renovieren wie eine Wohnung, wird Moderator Tilman Schöberl später dazu sagen. In Fürstenfeldbruck feierte das neue Ambiente Premiere.

Die Marthabräuhalle war nicht wiederzuerkennen am Mittwochabend. (Foto: Günther Reger)

Um halb acht sind am Mittwochabend alle Plätze besetzt. Unter den etwa 80 Anwesenden sind auch aus der Kommunalpolitik bekannte Gesichter wie der amtierende Brucker Bürgermeister Erich Raff (CSU) samt Stadtrats- und Parteikollegen Lohde, Roiger und Bahner, der ehemalige Stadt- und Kreisrat Ludwig Lösch (CSU) und die Bürgermeister von Emmering und Alling, Michael Schanderl (FW) und Frederik Röder (CSU). Auf die normalen Bürger freilich kommt es an in dieser Sendung, die sollen vor der Kamera sagen, wo sie der Schuh drückt. Eine BR-Mitarbeiterin achtet darauf, dass keine Lücken zwischen den Gästen entstehen. Es soll alles ordentlich und geordnet wirken im Fernsehen. Deswegen muss auch der Mantel weg, den da jemand in Reihe eins abgelegt hat.

Drinnen diskutieren die Brucker in der Live-Sendung "Jetzt red i", draußen demonstrieren die Milchbauern. (Foto: Günther Reger)

Und damit es auch argumentativ nicht wild durcheinandergeht in einer Live-Sendung, gab es tags zuvor ein erstes Briefing mit jenen, die sich für den Abend angemeldet hatten und dort ihre Meinung vorbringen wollten. Eine Dreiviertelstunde vor Beginn stimmt Tilman Schöberl, der "Jetzt red i" seit zehn Jahren moderiert, die Besucher beim "Warm-up" ein. Das Wichtigste schon mal für die FC-Bayern-Fans: Bis zur zweiten Halbzeit würden sie zu Hause sein, verspricht der Moderator. Dann noch ein paar Verhaltensregeln: Man sende live und könne im Nachhinein nichts ändern, deshalb sollten die Besucher "nicht schlafen, nicht ratschen, auch nicht in der Nase bohren, sondern aufmerksam der Diskussion folgen". Und, ganz wichtig: Zum Einstieg in die Sendung um 20.15 Uhr erwarten die TV-Macher "großen Applaus des Publikums".

Eine Zuschauertribüne mit drei Sitzebenen bildet neuerdings die Kulisse für eine Sendung, die man nach 45 Jahren entstauben möchte. (Foto: Günther Reger)

Derart aufgewärmt warten die Zuschauer die letzten Minuten mucksmäuschenstill darauf, dass es los geht. Im Hintergrund ist die Wettervorhersage der Tagesschau zu hören, nur noch wenige Sekunden, bis der Abend aus der Marthabräuhalle auf Sendung geht und der Kameramann und sein Assistent auf der Fläche vor der Tribüne dicht um den Moderator kreisen. Es ist hell und heiß unter den großen Scheinwerfern, auch für einen Profi wie den Kameramann, der ein Tuch aus der Hosentasche zieht und sich den Schweiß von der Stirn wischt. Er darf das, er wird ja nicht im Bild zu sehen sein.

Die folgende Diskussion dreht sich um die Frage: "Wie sicher ist der Freistaat?" Auch der monothematische Ansatz übrigens ist ebenso neu wie Co-Moderatorin Franziska Storz, die einen Blick in die Welt der sozialen Medien wirft. Ein kurzer Einspieler, der auf zwei größeren Bildschirmen zu sehen ist, führt ins Thema ein, zeigt Aufnahmen aus einem Selbstverteidigungskurs in Fürstenfeldbruck. So dann eröffnet eine der Frauen aus dem Kurs die Fragestunde. Sie sei zuletzt beim Joggen öfter angequatscht oder mit obszönen Gesten bedacht worden. Eine andere Rednerin, die in der Nähe der Erstaufnahmestelle wohnt, bestätigt den Eindruck, auch sie sei "negativ angeredet" worden, "leider auch von Flüchtlingen". Selbstverteidigung zu erlernen, gebe Sicherheit, ebenso das Mitführen eines Pfeffersprays. Später äußert jemand Sicherheitsbedenken auch wegen rechter Straftaten. Applaus des Auditoriums gibt es für die Forderung nach mehr "Sichtbarkeit der Polizei".

Dass die gerne mehr Präsenz zeigen würde, dass "die Kollegen draußen aber am Limit sind", sagt Alexander Weggartner, Kreisvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Im November hatte er einen Brandbrief verfasst und den Personalmangel bei der Polizei beklagt. Joachim Herrmann (CSU), der bayerische Innenminister, federt die Kritik routiniert ab: In den vergangenen sieben Jahren habe man deutlich mehr Stellen geschaffen als zuvor gekürzt worden seien. Noch nie habe die Polizei so viel Personal gehabt. Das aber käme in den Dienstgruppen nicht an, bemängelt Stefan Kemptner, Personalratsvorsitzender im auch für Fürstenfeldbruck zuständigen Polizeipräsidium Oberbayern-Nord. Zudem steige die Rate langjährig erkrankter oder eingeschränkt dienstfähiger Beamten. "Wir brauchen Köpfe, die tatsächlich Dienst leisten", so Kemptner. Die Landtagsabgeordnete Katharina Schulze (Grüne), die neben Herrmann auf dem Podium sitzt, findet, man dürfe sich beim Thema nicht von Emotionen treiben lassen. Ihr Vorschlag: Polizisten von Aufgaben zu entlasten, etwa von der Begleitung von Schwertransporten. Minister und Abgeordnete fordern sich gegenseitig auf, die Ideen der anderen Seite anzunehmen. Ein politisches Spielchen - ohne Nutzen für die Bürger. Ein paar von ihnen, die Milchbauern aus dem Landkreis nämlich, die den Ministerbesuch nutzen und draußen mit ihren Traktoren gegen den niedrigen Milchpreis demonstrieren, bringen ihr Anliegen direkt an den Mann - und übergeben Joachim Herrmann einen Forderungskatalog. Da war die Sendung schon vorüber.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: