Fürstenfeldbruck:Soziale Armut

Viele Menschen mit Handicap sind vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen

Thilo Wimmer kennt die Probleme, Sorgen und Nöte von Menschen mit einer Behinderung. Seit 22 Jahren ist er bei der Brucker Caritas Ansprechpartner für diesen Personenkreis. Inzwischen leitete er in drei Landkreisen Bruck, Dachau und Erding drei Dienste oder Kontaktstellen, in denen Behinderte und deren Angehörige beraten werden. Armut bezieht Wimmer nicht nur auf die finanzielle Situation. Er fasst den Begriff weiter und spricht auch von "sozialer Armut". Diese entsteht unter anderem, weil es für Behinderte trotz Inklusion noch immer fast unmöglich ist, auf dem ersten Arbeitsmarkt, also nicht nur in beschützenden Werkstätten, eine Beschäftigung zu finden.

Soziale Armut kann entstehen, wenn Menschen mit einem Handicap die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt ist. Ohne Arbeit, ohne Anschluss an Vereine, ohne Teilnahme am kulturellen Leben fehlen Möglichkeiten, neue Menschen kennenzulernen. Soziale Armut beginnt schon da, wo Nachbarn anonym nebeneinander leben und nicht mehr aufeinander schauen, sagt Wimmer. Da viele Behinderte nicht so mobil sind wie andere, verstärkt das die Einsamkeit. Dazu kommen als weiterer Armutsfaktor finanzielle Probleme. Von Armut bedroht sind vor allem Familien mit einem behinderten Kind oder Angehörigen. Wer sich intensiv um ein Kind kümmern muss, kann meist keiner geregelten Arbeit nachgehen und hat bei höheren finanziellen Belastungen Einbußen beim Einkommen hinzunehmen.

"Aufgrund einer Behinderung muss man nicht arm sein", ist der Caritas-Mitarbeiter überzeugt. Dass Menschen mit einem Handicap arm sind, liege an den Umständen. Würden diese endlich als vollwertige Arbeitnehmer gesehen und bekämen die Chance, ihre Fähigkeiten zu nutzen und ein normales Einkommen zu erzielen, wären viel weniger auf Sozialhilfe angewiesen. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Berufsausbildung. Für Behinderte wird das duale System zum Hindernis, wenn sie zwar über handwerkliches Geschick verfügen, aber an dem zum Erlernen eines Handwerksberufs verpflichtenden Berufsschulbesuch scheitern. Besserung verspricht sich Wimmer von der Inklusion, die mit dem Regelschulbesuch Behinderten beginnt. Positiv stimmt ihn, dass man Behinderten gegenüber aufgeschlossener ist, als es früher der Fall war.

Felix Hechtel ist Sozialjurist und Leiter der Geschäftsstelle des VdK-Sozialverbands in Fürstenfeldbruck. Er hilft Behinderten, die sich mit dem Sozialamt, ihrer Krankenkasse, der Pflegeversicherung, der Agentur für Arbeit, dem Bezirk von Oberbayern oder einer Berufsgenossenschaft über die Zahlung von Leistungen streiten. Da 70 Prozent der etwa 8000 VdK-Mitglieder im Landkreis Senioren sind, von denen viele unter Handicaps leiden, hat Hechtel häufig mit solchen Auseinandersetzungen zu tun. Das Problem beginnt meist bei der Frage der Zuständigkeit. Für Behinderte sind viele Stellen zuständig, weshalb versucht werde, die Kosten für den neuen Rollstuhl, das behindertengerechte Bett, den Treppenlift, den behindertengerechten Umbau von Auto oder Wohnung auf einen anderen Träger umzuwälzen. Wer dabei auf der Strecke bleibt, ist der Antragsteller. Bis der Streit zwischen den Kostenträgern beendet ist, bekommt der Behinderte eine ihm zustehende Leistung nicht. Werden Hilfsmittel dringend gebraucht, kann das fatale Folgen haben. Thilo Wimmer spricht von einem "Behördenkrieg". Die Leistungen aus einer Hand zu gewähren, wäre laut Hechtel die Ideallösung.

Die jetzige Situation nennt der Sozialjurist "skandalös". Als Beispiel erwähnt Felix Hechtel den Fall einer Seniorin, die eine Physiotherapie benötigte und verschrieben bekam. Nur wollte keiner der Kostenträger die Fahrtkosten zum Therapeuten übernehmen. Mit der Folge, dass die ältere Frau ihre Physiotherapie nicht antreten konnte. Solche Zahlungen belasten das knappe Budget von Rentner ebenso wie die Zuzahlungen für Medikamente oder Hilfsmittel. Betroffen sind hiervon wiederum vor allem die nicht oder nur wenig gearbeitet haben und mit einer kleinen eigenen Rente oder einer Witwenrente auskommen müssen. In Bayern ist deshalb die Altersarmut besonders hoch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: