Fürstenfeldbruck:Schusterlehrgang

Im Stadtmuseum steht plötzlich ein paar historischer Kinderschuhe, Spender unbekannt. Der Versuch, das Geschenk richtig zu bewerten, wird zum Unterricht in Schuhmacherei

Von Viktoria Großmann, Fürstenfeldbruck

Manchmal braucht man einfach einen Schuhmacher. Nicht einen, der Absätze anleimt und nebenher noch ein Klingelschild graviert. Einen, der wirklich Schuhe macht und ihre Machart erkennt. Ob sie rahmengenäht sind, wie ihr Leder behandelt wurde. Dann wird der Handwerker zum Experten, der einem Archivar oder Historiker helfen kann. In diesem Fall half die Werkstatt von Oberbürgermeister Klaus Pleil dem Stadtmuseum Fürstenfeldbruck, ein neues Ausstellungsstück zu begutachten.

Das Paar brauner Kinderschuhe hatte plötzlich in der nachgebauten Schusterwerkstatt im Stadtmuseum gestanden. Eingeschlagen in Zeitungspapier. Ohne Absender. Eine anonymes Paket, das zunächst mal skeptisch beäugt und dann sehr vorsichtig ausgepackt wurde, wie Museumsleiter Eva von Seckendorff erzählt. Die Vorsicht war berechtigt, denn das Geschenk ist offensichtlich wertvoll. Sofort war von Seckendorff das feine Leder aufgefallen und dass die Schuhe, auch wenn sie alt sind, wenig getragen aussehen. Auf etwa einhundert Jahre alt schätzten die Museumsmitarbeiter die Schuhe, nach genauerer Untersuchung haben sie sich nun auf 1910 festgelegt. Getragen haben soll die Schuhe ein etwa drei- bis vierjähriges Kind. Eher ein Bub als ein Mädchen, schätzt Seckendorff.

Mit Schätzungen gibt sich eine Historikerin aber nicht gern zufrieden. Was für ein Glück, dass der Mann, dem das Stadtmuseum formal unterstellt ist, ein Fachmann ist. Seckendorff trug also die Kinderschuhe ins Bürgermeisterbüro von Klaus Pleil. Der stellte vor dem ersten Amtstermin am Morgen eine schusterliche Analyse: Die Schuhe sind aus Kalbsleder gemacht, innen mit Leinen ausgekleidet und mit einer Filzsohle ausgelegt. Der Absatz ist mit Messingnägeln angebracht. Eine Besonderheit und ein Kennzeichen mehr für einen teuren Schuh. Das Kind, das ihn getragen hat, kannte wohl keine finanzielle Not. Die Schuhe seien nie überarbeitet worden, sagt Seckendorff. Nicht neu besohlt, nicht geflickt. Um 1910 herum war es noch üblich, dass arme Kinder keine Schuhe trugen oder nur im Winter, und diese wurden dann von einem Geschwisterkind ans nächste weitergereicht, egal ob Bub oder Mädchen.

Bruck: STADTMUSEUM - Anonyme Schuh-Spende

Die Schuhe hat vor mehr als hundert Jahren ein drei- bis vierjähriger Junge getragen. Die Schuhe sind aus feinem Kalbsleder gearbeitet.

(Foto: Johannes Simon)

So ganz festlegen, wollte sich der Bürgermeister mit seinen Erkenntnissen aber dann doch nicht und schickte Seckendorff weiter in seine Werkstatt. Tatsächlich entdeckte einer der Handwerksmeister noch mehr und durfte sogar seinen Chef korrigieren. Nein, sagte der Fachmann, die Schuhe sind nicht rahmengenäht. Diese Machart findet man heute normalerweise bei teuren und eleganten Herrenschuhen. Der Rahmen ist ein schmales Lederstück, etwa einen Zentimeter breit, der zwischen Oberschuh und Laufsohle eingefügt wird. Durch diese Machart hält der Schuh länger und ist leichter zu reparieren. Für zarte Kinderschuhe wird sie dennoch eher nicht verwendet. So nahm denn der Schustermeister die Aussage seines Chefs Klaus Pleil zurück und stellte stattdessen fest: Oberschuh und Sohle sind durchgenäht, also direkt miteinander vernäht. So werden zum Beispiel auch heute noch die Loafer genannten englischen Halbschuhe gearbeitet.

Die Museumsmitarbeiter hatten die Schuhe natürlich auch ausgemessen, der Schustermeister hingegen fand sogar eine Schuhnummer: Größe 21. Ein Hinweis darauf, dass der Schuh nicht aus einer Werkstatt, sondern aus einer Manufaktur stammt. Also Konfektionsware ist, wenn auch teure.

Wohin nun mit dem Geschenk. Im Museum zerbricht man sich noch den Kopf darüber, wie die Schuhe gut und dennoch möglichst unsichtbar gesichert werden können. Denn ausgestellt werden sollen sie auf jeden Fall. Das passiert nicht mit jedem Stück, das im Museum abgegeben wird. "Wir bekommen immer mal wieder Geschenke", sagt von Seckendorff. Üblicherweise jedoch nicht anonym. Und meist Dinge, die großen dokumentarischen Wert haben und zunächst archiviert werden. Fotografien etwa, Briefe oder Feldpost. Oder auch mal ein Kaffeeservice aus der Keramikwerkstatt Reuss in Schöngeising. Das Museum bleibt durch solche Geschenke lebendig.

Deshalb widmet das Stadtmuseum dem Thema Schenken von Oktober an auch eine eigene Ausstellung. Darin wird es um den Sinn des Schenkens, den Akt der Übergabe, die üblichen Anlässe und auch um die Ursprünge dieser Form der Kommunikation und Wertschätzung unter Menschen gehen. Ein Geschenk wie dieses kommt da wie gerufen.

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