Fürstenfeldbruck:Immer mehr Reichsbürger im Landkreis

Dem Polizeipräsidium zufolge ist die Zahl der Personen, die der Bundesrepublik und ihren Behörden die Anerkennung verweigern, stark gestiegen. Gleiches gilt offenbar für den Kreis der Unterstützer

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Im Landkreis Fürstenfeldbruck leben zurzeit nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums Ingolstadt insgesamt 45 Personen, die der staatsfeindlichen, heterogenen "Reichsbürger"-Szene zugeordnet werden. Dieser Kreis ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte ermittelt worden, weshalb die ihm zugerechneten Menschen als "identifizierte Reichsbürger" bezeichnet werden. Einer von ihnen verfügt sogar über eine Waffenbesitzkarte. Dazu kommen weitere 42 nur vom Landratsamt gemeldete, aber noch nicht überprüfte Verdachtsfälle. Im Herbst 2016 hatte die Zahl der identifizierten "Reichsbürger" noch bei acht gelegen.

In den Verdacht, der Ideologie der "Reichsbürger" oder der sogenannten Selbstverwalter nahezustehen, gerät laut Ines Roellecke, der Sprecherin des Landratsamts, automatisch, wer bei der Kreisbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis nach dem Reichs- und Staatsangehörigengesetz aus dem Jahr 1913 beantragt. Solche Fälle werden der Polizei gemeldet. Sogenannte Reichsbürger stehen bisweilen der rechten Szene nahe. Sie sind eine heterogene Gruppe, die verbindet, dass sie der Bundesrepublik Deutschland als eigenständigem, souveränem Staat die Legitimität absprechen, ebenso wie seinen Organen und Behörden. Der Weigerung, bundesdeutsche Rechtsnormen anzuerkennen, folgen manchmal Rechtsverstöße. Laut dem bayerischen Verfassungsschutz, der seit Oktober 2016 die "Reichsbürger" beobachtet, nehmen finanzielle Motive in der Szene einen breiten Raum ein - erklären die sogenannten Selbstverwalter unter den "Reichsbürgern" mit dem Austritt aus der Bundesrepublik doch oft ihr Privatgrundstück zu einem souveränen Staatsgebiet und lehnen es ab, Abgaben, Steuern oder Ordnungsgelder zu bezahlen. Die Auseinandersetzungen werden mit den zuständigen Behörden und deren Mitarbeitern ausgetragen, denen angeblich rechtswidrige Verwaltungsakte vorgeworfen werden. Anerkannt wird dagegen beispielsweise die Kaiserliche Verfassung von 1871 oder die Bayerische Verfassung von 1818.

Unter anderem mit dem aggressiven Auftreten solcher "Reichsbürger" ist im Fürstenfeldbrucker Landratsamt kürzlich die Einführung eines Sicherheitsdienstes am Haupteingang und eines neuen Sicherheitskonzepts begründet worden. Laut Polizei wird gegen einen der "Reichsbürger" im Landkreis nach einer Auseinandersetzung im Landratsamt wegen versuchter Erpressung ermittelt. An diesem Montag erhielt ein "Reichsbürger" aus Mittelfranken nach tödlichen Schüssen auf Polizisten eine lebenslange Haftstrafe.

Mit der Preisgabe von Einzelheiten zu konkreten Vorfällen hält sich das Landratsamt zurück. Es ist nur allgemein von "bösen Briefen" die Rede, die oft standardisiert sind, und aggressiven Auftritten, bei denen einzelne Mitarbeiter, die die angeblichen Rechte von "Reichsbürgern" missachten, schadenersatzpflichtig gemacht werden. In solchen als Urkunde deklarierten Schriftstücken sind dann Sätze zu lesen wie: "Da ich ... der alleinige und unanfechtbare Administrator meiner Namensrechte bin, teile ich ... mit, dass jeder, der gegen meinen Willen, ohne meine Zustimmung meine Namensrechte benutzt oder missbraucht, oder wegen Unzuständigkeit falsches Recht gegen mich anwendet, sofort und unverzüglich, unverjährbar nach ... Völkerstrafrecht ... schadenersatzpflichtig wird. Für jeden angeblich "illegalen, unrichtigen, nichtigen oder sonstigen Verwaltungsakt" kann schon mal vorsorglich die Forderung einer Zahlung von 50 000 Euro in Gold zuzüglich des daraus resultierenden Schadens angekündigt werden, wofür der zuständige Behördenmitarbeiter persönlich in die Haftung genommen werden soll. In einem der im Landkreis den Behörden vorgelegten Briefen steht: "Bei Vergehen gegen meine Naturrechte sind pauschal 500 000,00 Euro in Gold, unverjährbar und selbstschuldnerisch bis in die dritte Generation, an mich zu zahlen." Ermittelt wird laut Polizei gegen "Reichsbürger" auch wegen Amtsanmaßung und Urkundenfälschung. Die Rede ist von Auftritten wie von "Administratoren eines Staates".

Laut Hans-Peter Kammerer, dem Sprecher des Polizeipräsidiums Ingolstadt, ist das Staatsschutzkommissariat der Kriminalpolizei in Fürstenfeldbruck mit sogenannten Reichsbürgern und deren "abstruser" Ideologie "gut beschäftigt". Gegen diese Leute werde strafrechtlich vorgegangen. Bei Razzien in Bayern, Baden Württemberg und Rheinland-Pfalz gegen "Reichsbürger" und illegale Machenschaften des "Bundesstaates Bayern" war am 29. September auch ein Objekt in Fürstenfeldbruck durchsucht worden. Da es immer wieder neue Erkenntnisse gebe, bezeichnet Kammerer die Ermittlungen als "dynamischen Prozess". Für eine Bilanz oder Einschätzung der weiteren Entwicklung oder der genauen Zahl der "Reichsbürger" im Landkreis sei es noch zu früh. Das für Fürstenfeldbruck zuständige Präsidium weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei "Reichsbürgern" um keine "verbotene Vereinigung" handelt. Im Fokus der Ermittlungen im Landkreis stehen einzelne, identifizierte Personen.

Der Zuständigkeitsbereich der Fürstenfeldbrucker Kripo umfasst die vier Landkreise Fürstenfeldbruck, Dachau, Starnberg und Landsberg. Hier leben 135 bisher identifizierte "Reichsbürger", von denen vier Waffen tragen dürfen. Über diese Berechtigung entscheidet die Waffenbehörde des jeweiligen Landratamts neu, sofern es Erkenntnisse gibt, dass der Inhaber ein "Reichsbürger" ist. Das Polizeipräsidium Nord ist für insgesamt zehn Landkreise zuständig, in denen bisher 750 Personen überprüft wurden, von denen wiederum 338 als identifizierte "Reichsbürger" gelten. In Bayern wurden bisher etwa 3000 Personen dieser Ideologie zugeordnet.

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