Fürstenfeldbruck:Oper im Livestream

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Trotz Kinoleinwand kamen bei der Übertragung von Bellinis "Norma" im Scala-Kino-Center große Operngefühle auf. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Vincenzo Bellinis "Norma" im Scala-Kino-Center

Von Klaus Mohr, Fürstenfeldbruck

Oper und Kino - so unterschiedlich sind die beiden Genres vielleicht gar nicht, wenn man sie in ihre jeweilige Entstehungszeit stellt. Sowohl in der Oper als auch im Film werden Geschichten erzählt, wird mit Gefühlen jongliert und spielt Musik eine nicht unbedeutende Rolle. Zur Entstehungszeit der Oper gab es naturgemäß nur die Möglichkeit, ein Theater zu besuchen und dort eine Aufführung live zu erleben. Immer wieder wurde auch der Versuch unternommen, eine Oper zu verfilmen, sie also aus der Theateratmosphäre an reale Spielorte zu holen. Seit einiger Zeit wird noch ein anderer Weg beschritten: Dabei werden Opernaufführungen live in Kinos übertragen. In dieser Saison sind auf diesem Weg zwölf Aufführungen aus dem Royal Opera House in London im Kino zu sehen. Am ersten Abend konnten die Besucher die Oper "Norma" von Vincenzo Bellini im Scala-Kino-Center in der Buchenau erleben. Im Gegensatz zu manch anderem Werk in dieser Spielzeit handelt es sich bei Norma um eine Oper, die nicht allzu häufig auf den Spielplänen der Opernhäuser steht, womit es auch eine wunderbare Gelegenheit war, dieses Werk nicht nur in Ausschnitten, sondern als Ganzes kennenzulernen.

Das Kino verändert nicht nur das Hören, sondern auch das Sehen: Die Musik wirkte an vielen Stellen nicht nur wesentlich direkter, sondern auch plastischer, was Klangfarben und Mischungen verschiedener Klänge anging. Auch war die Lautstärke oft höher als im Live-Erlebnis, ein Gestaltungsmittel, das für die Intensität des Eindrucks im Kino wesentlich verantwortlich ist. Anders als im Opernhaus sieht der Zuschauer nicht immer die ganze Bühne und kann seine Blicke frei schweifen lassen. Hier übernahm die Kameraführung wesentlich diesen Part, und die Leinwandinszenierung durch Jonathan Haswell gelang ausgezeichnet: Der Zuschauer erhielt sehr detaillierte Einblicke in Mimik und Gestik der Sänger in einer Art und Weise, wie sie kein Opernglas ermöglicht. Die Kameraführung blieb aber stets diskret genug, um jede Art von Peinlichkeit zu vermeiden.

Bellinis "Norma" gehört zu den sogenannten "Belcanto"-Opern. Das aber meint mehr, als dass nur schön gesungen werden soll. In der melodischen Kraft und der Inszenierung der Gefühle liegt das eigentliche Potenzial eines solchen Werks. Dirigent Antonio Pappano, der ohne Taktstock dirigierte, legte die einzelnen Schichten der musikalischen Dramaturgie frei, ohne die suggestive Wirkung des Ganzen zu vernachlässigen - ein Charakteristikum, das die Soundanlage hervorragend zu den Zuhörern transportierte. Mehr als im Opernhaus konnte das Publikum hier hautnah erleben, welch immense technische Souveränität erforderlich ist, um die großen Partien in diesem Werk zu meistern: Joseph Calleja in der Rolle des Pollione, David Junghoon Kim als Flavio, Sonya Yoncheva in der Titelpartie der Norma und Sonia Ganassi als Priesterin Adalgisa.

Von der Inszenierung her war eine Aufführung zu sehen, die äußerst traditionell angelegt war: Der Hintergrund bestand aus einer ungezählten Anzahl von Kruzifixen, die durch die oft mystische Beleuchtung eine Aura des Geheimnisvollen erzeugten. Zentrum des Geschehens war eine Kirche, deren Attribute fast gänzlich dem katholischen Glauben entlehnt waren. Weihrauch, Weihwasser, Monstranzen und klerikale Gewänder suggerierten bekannte liturgische Gewohnheiten. Die einzige "Unstimmigkeit" bestand darin, dass die hier handelnden Personen fast ausschließlich weiblichen Geschlechts waren.

Problematisch für diese Opernübertragung war, dass in den der eigentlichen Aufführung vorausgehenden Gesprächen mit den Verantwortlichen ausschließlich die englische Sprache ohne jegliche Übersetzung Verwendung fand. In der Oper selbst fehlten deutsche Übertitel, wie sie inzwischen in nahezu jedem Opernhaus Standard sind. Auch wenn technische Gründe dafür verantwortlich sind, schmälert dies den an sich sehr positiven Gesamteindruck. Für Opernfans, die für deutlich weniger Geld und mit weniger Aufwand eine beeindruckende Opernaufführung sehen möchten, ist die Idee der Oper im Kino eine höchst interessante Alternative zum Opernhaus.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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