Fürstenfeldbruck:Odyssee der Heimatlosen

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Ein Teil der Gruppe, der es nur durch den Einsatz ehrenamtlicher Helfer gelungen ist, rechtzeitig die BAMF-Außenstelle bei Ingolstadt zu erreichen. (Foto: oh)

Der Befragungstermin ist morgens um 8 Uhr in Manching. Zuvor sei ein zweistündiger Fußmarsch auch mit Neugeborenen zum Bahnhof zumutbar, heißt es

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es gibt eine erste große Hürde für Asylbewerber: Sie werden in einer der Außenstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) "interviewt". Ein Pflichttermin. Wer ihn nicht einhält, riskiert die vorzeitige Ablehnung im Verfahren. Um ein Haar wären vier in Alling untergebrachte Flüchtlingsfamilien aus Afghanistan jüngst an dieser Hürde gescheitert, und das ohne eigenes Verschulden. Astrid Jäger vom Helferkreis Alling schüttelt den Kopf, wenn sie daran denkt. Und sie ist auch enttäuscht über das Verhalten einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde in Fürstenfeldbruck.

Wie üblich, so hatte die zuständige BAMF-Außenstelle in Manching bei Ingolstadt an die afghanischen Familien - 16 Personen, darunter sechs Kleinkinder sowie zwei Säuglinge - einen Termin für diese erste Anhörung im Asylverfahren um 8 Uhr in der Früh vergeben. Ein Termin, der sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht einhalten lässt: Eine S-Bahn fährt zwar um 4.43 Uhr, aber von Alling aus gibt es keine Busverbindung, mit der sich die S-Bahn erreichen ließe.

Astrid Jäger lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Das lässt sich sicher regeln, denkt sie. Doch der Anruf im Landratsamt verläuft für sie überraschend. Sinngemäß heißt es dort: Entweder Sie sind um 8 Uhr in Manching oder der Asylantrag ist nichtig. Man solle eben notfalls ein Anrufsammeltaxi zum Bahnhof nehmen. Als Jäger einwendet, dass die Taxen gar nicht über die erforderliche Anzahl an Kindersitzen verfügen, heißt es, dann müsse die Gruppe eben zu Fuß gehen. Andere schafften so was auch, das sei schon zumutbar.

Jäger ist entsetzt. Alte Leute, Wöchnerinnen, und dann ein zweistündiger Fußmarsch noch vor Tagesanbruch? Sie schlägt vor, einen Bus anzumieten, doch die Kostenübernahme dafür wird im Gegensatz zum regulären MVV-Ticket abgelehnt. Und dann, so erinnert sich die pensionierte Lehrerin, habe ihr die Mitarbeiterin im Ausländeramt zu verstehen gegeben, dass sie ja, wenn sie so engagiert sei, die Leute selbst zum Bahnhof bringen könne. "Es gibt Momente, in denen man sich als Ehrenamtlicher ausgenützt fühlt", sagt Jäger. Unter den anderen Helfern, die sich um die 60 in Alling lebenden Flüchtlinge kümmern, herrscht ebenfalls großes Unverständnis. Und die Asylbewerber haben schlicht Angst.

Auf den Fall angesprochen, glaubt Andreas Buchner, Asylkoordinator des Landratsamts, an ein großes Missverständnis. Richtig sei, dass man in der Kreisstadt keinen Einfluss auf die Terminvergabe in Manching habe. Das BAMF vergebe standardmäßig Termine um 8 Uhr, auch wenn die Menschen dort dann manchmal stundenlang warten müssen, bis sie an die Reihe kommen. Buchner lässt durchblicken, dass die Welt auch nicht zusammenbricht, wenn Flüchtlinge mit weiter Anreise erst um 9 oder 10 Uhr erscheinen. Verlassen kann man sich darauf aber wohl eher nicht. Vor allem irrt Buchner in einem zentralen Punkt: Er glaubt, dass es in Manching, ebenso wie in vergleichbaren Einrichtungen, Übernachtungsmöglichkeiten gibt, so dass Asylbewerber bereits am Vortag anreisen können. Darauf habe, so seine Vermutung, die Mitarbeiterin gewiss hingewiesen.

"Stimmt nicht", widerspricht Jäger. Vielmehr habe sie auf die Frage nach eben einer solchen Übernachtungsmöglichkeit die Antwort bekommen: "Nein, so was gibt es nicht, wo kämen wir denn da hin?" Peter Fürnrohr, Sprecher der Regierung von Oberbayern, bestätigt, dass es eine solche Möglichkeit in der Tat nicht gibt: "Schon aus organisatorischen Gründen" sei eine einmalige Übernachtung vor einem Anhörungstermin in Manching nicht möglich. Sofern es einzelnen Asylbewerbern nicht möglich sei, den in der Ladung genannten Zeitpunkt einzuhalten, empfehle es sich, "mit der ladenden BAMF-Außenstelle Kontakt aufzunehmen". Eine Information, die die Allinger Asylbewerber und ihre Helfer freilich nicht erreicht. In ihrer Not organisieren sie privat einen Kleinbus, zwei Betreuerinnen fahren mit eigenen Autos und organisieren acht Kindersitze.

Ernüchternd geht es weiter an diesem Tag. Astrid Jäger berichtet von stundenlanger Wartezeit in Manching, einem barschen Ton des Sicherheitspersonals, von unbeschreiblichen sanitären Anlagen und wundert sich darüber, dass in der ehemaligen Kaserne nicht einmal genügend Dolmetscher vorhanden sind, so dass teils Flüchtlinge für andere Flüchtlinge übersetzen müssen - "so viel zu den angeblich vereidigten Dolmetschern".

Nach der abendlichen Rückkehr habe sich kein einziger der Flüchtlinge beschwert, so Jäger. Sie aber habe sich wegen der rüden Behandlung "an diesem Tag geschämt".

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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