Fürstenfeldbruck:Ludwig Thomas dunkle Seite

Das Amperland beschäftigt sich kritisch mit dem Schriftsteller

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Die Auseinandersetzung mit Wegbereitern des Nationalsozialismus ist bis heute oft ein Tabu. Die Methoden der Abwehr sind vielfältig. Das Spektrum reicht von der schlichten Leugnung bis zur wortreichen Relativierung. Die letzte Verteidigungslinie ist oft der Verweis auf die Zeitumstände. Das ist so trivial richtig wie irreführend und verlogen. Denn alles, was Menschen tun, findet in Raum und Zeit statt, hat also einen historischen Kontext und dennoch besteht kein hermetischer Verblendungszusammenhang.

In diesem Spannungsfeld ist die Debatte um Ludwig Thoma zu sehen, seit dessen antisemitische Beiträge aus dem Miesbacher Anzeiger thematisiert wurden. Nachdem an der Urheberschaft dieser Hetzartikel nicht zu rütteln war, folgte die Verklärung zum quasi einmaligen, unverständlichen Ausrutscher. Diese Position wird immer unhaltbarer, je weiter die Recherche fortschreitet. Dazu beigetragen hat der Brucker Wirtschaftshistoriker Klaus Wollenberg mit seinem Zufallsfund im Bayerischen Kriegsarchiv. Die Briefe des Schriftstellers an die Armeeführung stützen das Bild vom unbelehrbaren Kriegspropagandisten. Wollenberg präsentiert dazu weitere spannende Details in der Zeitschrift Amperland, deren aktuelle Ausgabe mit insgesamt fünf Beiträgen ein richtiges Ludwig-Thoma-Sonderheft ist, das kräftig am Image des gemütlichen Heimatschriftstellers aus dem Dachau Moos mit seinen Lausbubengeschichten kratzt.

Vergleichsweise harmlos, aber gleichwohl interessant sind die Beiträge über seine Sammlung von Zeitzeugenberichten über die Kriege von 1866 und 1870 sowie eine längere Reise durch Nordafrika. Das Porträt eines Emporkömmlings entwirft Gertrud Maria Rösch. Der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Thoma suchte nach Anerkennung und gierte nach einem großbürgerlichen Lebensstil, machte sich zu diesem Zweck an potenzielle Mentoren heran und ging auf Distanz zu seinen Geschwistern, seinem Herkunftsmilieu. Auch die peinlichen Umstände seiner kurzen Ehe spart Rösch nicht aus, während sie seine unerfüllte Obsession für eine verheiratete Frau jüdischer Herkunft am Ende zu der Fehldeutung nutzt, er könne schon deshalb gar kein Antisemit gewesen sein.

Den Umstand, dass fast alle Antisemiten ihren Lieblingsjuden haben, sogar Adolf Hitler, missachtet sie dabei. Dagegen macht Franz-Josef Rigo in seinem hervorragenden und materialreichen Beitrag deutlich, dass sich Thomas' Judenhass durch das gesamte Leben und Werk zieht, alles andere als unerklärlich ist, nicht bloß eine Art Altersschwäche war und die Beziehung zu Maria Liebermann stark belastete. Rigo zeigt, wie Thoma von antisemitischen Milieus geprägt wurde.

Er verweist wie der Journalist Martin A. Klaus in seiner Thoma-Biografie darauf, dass Simplizissimus-Redaktionsleiter Korfiz Holm selbst Thoma zunächst gar nicht als Mitarbeiter haben wollte, eben weil er ihn als Antisemiten einstufte. Rigo zitiert Seitenhiebe gegen das "galizische Gesindel" oder die sexistischen Ausfälle gegen Rosa Luxemburg, für Thoma eine "giftige, kleine polnische Jüdin". Im Simplizissimus konnte Thoma unter Pseudonym 1899 folgende Zeilen über politisch engagierte und emanzipierte Frauen unterbringen: "Sie taugen nichts im Hause, nichts im Bett/Mag Fräulein Luxemburg die Nase rümpfen,/ Auch sie hat sicherlich, was gilt die Wette? - / Mehr als ein Loch in ihren woll'nen Strümpfen."

Aufschlussreich ist auch, dass Thoma im Kontext der Dreyfusaffäre in Frankreich als Anti-Dreyfusard galt. Die jahrelange Auseinandersetzung um den französischen Offizier, der zu Unrecht als Spion verurteilt und zur Hassfigur der Antisemiten wurde, sei wie ein Lackmustest für die Haltung von Thoma, urteilt Rigo. Nicht nur für ihn. Für Heinrich Mann war genau diese Affäre der Anlass, sich vom Judenhass zu verabschieden. Zeitbedingt hat der Mensch eben immer eine Wahl. In dem Roman vom Untertanen hat Mann vor dem Ersten Weltkrieg jenen autoritären Charakter porträtiert, wie Thoma einer war.

Zeitschrift Amperland, Heimatkundliche Vierteljahresschrift für die Landkreise Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck, erhältlich in den Museen von Stadt und Landkreis Dachau sowie: www.zeitschrift-amperland.de.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: