Fürstenfeldbruck:Lieber Haustiere als Kinder

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Familien mit Nachwuchs finden kaum noch eine Mietwohnung. Der Stelle zur Vermeindung von Obdachlosigkeit bringt dies einen neuen Arbeitsschwerpunkt, eröffnet aber auch Einblicke in die Schattenseite des Marktes

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Seit dem vergangenen Jahr hat die Fachstelle der Caritas zur Vermeidung von Obdachlosigkeit einen neuen Arbeitsschwerpunkt: Immer mehr Familien mit Kindern droht der Verlust ihrer Wohnung, weshalb sie betreut werden müssen. Laut dem Jahresbericht 2014 von Tanja Fees, der Leiterin der von der Caritas in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt betriebenen Einrichtung, verdreifachte sich innerhalb von nur zwölf Monaten im Landkreis die Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Kinder von 118 auf 351. Für diese Entwicklung gibt es laut der Sozialarbeiterin neben steigenden Mieten noch weitere Gründe. Beispielsweise den, dass die Zahl der Eigenbedarfskündigungen ungewöhnlich stark zugenommen hat. Zudem lehnen es Vermieter zunehmend ab, ihre Wohnung noch Familien mit Kindern anzubieten. Bevorzugt werden stattdessen Ehepaare mit einem doppelten Einkommen. Immer häufiger bekommen Fees und ihre Mitarbeiterinnen deshalb zu hören: "lieber Haustiere oder einen Hund als Mieter mit Kindern".

Die Arbeit der vom Landkreis mitfinanzierten Fachstelle gilt als äußerst erfolgreich. Rund 600 Personen haben sich 2014 an die in der Dachauer Straße in Fürstenfeldbruck untergebrachte Einrichtung gewandt. In 388 Fällen gelang es, den Verlust der Wohnung zu verhindern. 66 Mal halfen die Berater dabei, eine neue Wohnung zu finden, in 312 Fällen gelang es sogar, die alte Wohnung trotz einer Kündigung oder Räumungsklage zu erhalten. Deshalb mussten letztlich nur noch zwei der insgesamt 90 von einer Räumungsklage betroffene Personen ein Bett in einem Obdachlosenquartier beziehen. "Ein Kind in einer Obdachlosenunterkunft ist das Allerschlimmste, was passieren kann", sagt Fees. Zusammen mit Obdachlosen zu leben, keine Privatsphäre und kein Einzelzimmer zu haben, treibe viele Familien in die Scheidung. Wohl auch wegen des Erfolges - nur die Unterbringung in einem Obdachlosenquartier kostet die hierfür zuständige Kommune rund 600 Euro pro Person im Monat - hat der Kreisausschuss am Donnerstagnachmittag die Fördermittel für die Fachstelle vom Jahr 2016 an ohne Diskussion um 30 000 Euro auf 180 000 Euro aufgestockt.

Der Arbeitsbericht von Tanja Fees gewährt Einblicke in die Schattenseite des Wohnungs- und Mietmarktes im Landkreis. Auf SZ-Anfrage berichtete Fees am Freitag von "absurden Fällen". So müssen viele Rentner oder Arbeitnehmer fast ihr gesamtes Einkommen für die Miete ausgeben. In diesen Fällen bleiben von einem verfügbaren Einkommen von 1000 oder 1300 Euro gerade mal noch 200 bis 300 Euro zum Leben. In eine solche Lage geraten häufig solche Landkreisbewohner, die nicht wissen, dass sie in einer solchen Situation ihr Einkommen beim Jobcenter aufstocken können, oder die es ablehnen, sich vom Staat alimentieren zu lassen. Betroffen sind aber auch in einem zunehmenden Maß Rentner und junge Berufseinsteiger, die sich eigentlich eine kleine Wohnung leisten könnten. "Es findet sich immer ein Grund, nicht zu vermieten", sagt Fees. Entweder sei der Mietinteressent zu jung oder eben zu alt.

Für die stark steigende Zahl von Eigenbedarfskündigungen führt die Fachstelle drei Gründe an: Viele Vermieter wollen ihr Haus abreißen und neu bauen, andere wollen sich im Landkreis niederlassen und ihre Wohnung selbst nutzen, wieder andere machen geltend, die Wohnung für pflegebedürftige Angehörige zu benötigen. Für die Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bleiben aber Familien mit zwei Kindern und mehr das Hauptproblem. Für diesen Personenkreis gebe es kaum noch ein Angebot auf dem Markt. Zudem hätten es Alleinstehende leichter, vorübergehend mal bei Freunden oder der eigenen Familie unterzukommen. Ebenfalls prekär ist die Situation im Landkreis für wohnungslose junge Erwachsene, zu deren Unterstützung zurzeit ein Konzept erarbeitet wird.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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