Jahresrückblick (1):Krisenfeste Willkommenskultur

Mit der Zunahme der Flüchtlinge wachsen die Zweifel von Landrat Thomas Karmasin, so viele Menschen im Landkreis unterbringen zu können. Der Ton wird härter. Obwohl das Landratsamt im Krisenmodus arbeitet und Turnhallen belegt werden, kippt die Stimmung jedoch nicht

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Ist die Willkommenskultur noch mit einer Flüchtlingskrise zu vereinbaren, die das Landratsamt zwingt im Krisenmodus zu arbeiten? Diese Frage zeigt die beiden Pole auf, mit der Kommunalpolitiker, Asylhelfer und Bürger im Jahr 2015 konfrontiert werden. Auf der einen Seite stehen bewundernswerte Bemühungen, die kontinuierlich steigende Zahl von Flüchtlingen menschenwürdig zu behandeln. Dazu, dass das gelingt, tragen viele bei. Sowohl ehrenamtliche Helfer in Asylkreisen, als auch die Mitarbeiter des Landratsamts einschließlich Landrat Thomas Karmasin (CSU). Allerdings wird Karmasin zunehmend janusköpfig.

Als sich im Februar abzeichnet, dass die Notfallplanung in Kraft treten und 250 Flüchtlinge kurzfristig untergebracht werden müssten, kontrastieren die Aussagen des Landrats zur bisher auch von ihm praktizierten Willkommenskultur und damit zum politischen Konsens im Landkreis. Hatte der Landrat im Herbst zuvor noch, ohne zu murren, ein Notfallquartier in einer Brucker Schule eingerichtet und dafür Anerkennung erfahren, bezeichnet er nun Asylberber aus dem Kosovo pauschal als "Winterurlauber". Damit ist der Landrat nicht mehr länger nur ein Kommunalpolitiker, der staatliche Vorgaben, wie es seine Pflicht ist, brav umsetzt. Er bezieht politisch Position und konterkariert damit die eigenen Anstrengungen. Sein Tonfall wird in der Flüchtlingsfrage im Laufe der Monate härter werden. Schon im Frühjahr steht für den Chef des Landratsamts fest, dass der Landkreis bis zum Jahresende rund 3000 Flüchtlinge aufnehmen muss. Mit dieser Prognose liegt Karmasin richtig, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch niemand daran denkt, dass die Bundeskanzlerin im Sommer die Grenzen öffnen und an einem einzigen Wochenende Zehntausende nach Bayern und München strömen werden. Im Dezember wird der Landrat gar von einer "gesellschaftlichen Katastrophe" und Herausforderung sprechen, die das Land nachhaltig verändere, ohne dass es dafür eine politische Legitimation gebe.

Thema Asyl

Sprache integriert: Inge Ammon lernt mit David Chakhto, der bei ihr im Haus lebt, Deutsch.

(Foto: Reger)

In einem Punkt bekommt Karmasin allerdings nicht Recht. Seine Befürchtungen, die Flüchtlinge seien in den 23 Kommunen im Landkreis nicht mehr unterzubringen, treten nicht ein. Dazu trägt bei, dass die Dependance der Erstaufnahme der Regierung von Oberbayern im Fliegerhorst stark ausgebaut wird. Anstelle von ursprünglich 400 bis 600 Menschen werden in ihr bis zum Jahresende 1200 bis 1600 wohnen. Dazu trägt aber auch bei, dass von den Sommerferien an Schulturnhallen mit Flüchtlingen belegt werden. Damit werden die Folgen des Zustroms für eine größere Zahl von Landkreisbewohner spürbar. Es gibt zwar einige wenige Proteste, aber an der Willkommenskultur wird nicht gerüttelt. Um die Turnhallen frei zubekommen, schlägt der Brucker Bürgermeister Klaus Pleil vor, für Asylbewerber winterfeste Zelthallen zu errichten. Zudem wird überlegt, in Germering eine Traglufthalle zu errichten. Diese Alternativen werden jedoch wieder verworfen.

Als im Juli Unbekannte auf die Unterbringung von Flüchtlingen in Puchheimer Turnhallen mit rassistischen Parolen reagieren, kommt es zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung. Solche Vorfälle bleiben die Ausnahme. Dafür werden die Gäste umso herzlicher von Helfern aufgenommen. Anfang August schlägt Karmasin Alarm. Er kündigt an, nun nur noch nach dem "Notfallmodus" vorzugehen und erklärt, dass die bisherigen Ziele einer Willkommenskultur und menschenwürdigen Unterbringung nicht mehr einzuhalten sind. Auch an die vereinbarte Unterbringungsquote mit den 23 Bürgermeistern fühlt er sich nicht mehr gebunden. Bei den Mitarbeitern im Landratamt ist die Grenze der Belastung längst erreicht. Der Landkreischef kündigt an, auch öffentliche Gebäude und Tiefgaragen zu beschlagnahmen, damit Betten in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden können. Dazu kommt es jedoch nicht.

Bruck: ALTSTADTFEST / Fest der Kulturen

Bruck ist bunt. Nicht nur beim Fest der Kulturen im Juli, sondern im Alltag. Menschen aus vielen Nationen leben hier zusammen.

(Foto: Johannes Simon)

Dafür nehmen die Kommunikationsprobleme der überlasteten Kreisbehörde mit den Kommunen und Bürgermeistern zu. Das alles spricht Karmasin bei der Verabschiedung des Haushaltes an. Weil nicht mehr alles zu schaffen sei, liege sein Amt darnieder, die kommunalpolitische Kultur liege im Argen, klagt er. Und er äußert die Hoffnung, dass nur noch so viele Zuwanderer ins Land gelassen werden, wie zu versorgen sind. Wo die Obergrenze liegt, lässt er offen. Vom dauernden Krisenmanagement hat der Landrat genug, er wünscht sich Zeit für die eigentlichen Aufgaben. Karmasins Ärger bekommt der Gröbenzeller Bürgermeister Martin Schäfer (UWG) ab, dessen Gröbenzeller Weg der Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen und überschaubaren Quartieren der Landrat für gescheitert hält. Er erhöht dem Druck auf Schäfer und droht, diesem 150 Asylbewerber zuzuweisen. Im Herbst kann Karmasin Kanzlerin Angela Merkel in einem Gespräch mit Vertretern kommunaler Spitzenverbände seine Sicht erläutern.

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