Flüchtlingspolitik:"Karmasin weckt die niederen Instinkte"

Der Landtagsabgeordnete Herbert Kränzlein kritisiert im SZ-Interview den Vergleich des Landrats von Flüchtlingen aus Kosovo mit Winterurlaubern. Er erinnert daran, dass jedem Asylbewerber eine Prüfung seines Antrags zusteht

Interview von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Landrat Thomas Karmasin (CSU) ist ein Politiker, der gerne scherzt und ebenso gerne provoziert. Ernst gemeint war jedoch sein Vergleich von Kosovo-Flüchtlingen mit "Winterurlaubern auf Kosten der Steuerzahler". Karmasins Worte fanden Befürworter, sie stießen aber auch auf heftige Ablehnung. Im SZ-Interview erläutert der Landtagsabgeordnete Herbert Kränzlein (SPD), warum ihn dieser Vergleich stört. Der Sozialdemokrat findet, dass jeder Asylbewerber ein Recht auf individuelle Prüfung seines Antrags hat.

SZ: Landrat Thomas Karmasin (CSU) hat Asylbewerber aus Kosovo mit Winterurlaubern auf Staatskosten verglichen. Was stört Sie an diesem Vergleich?

Herbert Kränzlein: Wer so komfortabel lebt wie viele von uns und bestimmt auch Landrat Karmasin, soll nicht in so diffamierender Weise über Menschen urteilen, von denen sich die Allermeisten aus purer Not auf den Weg nach Deutschland gemacht haben. Karmasin und andere CSU-Politiker sind leider wieder dabei, auf Stimmenfang zu gehen, indem sie Ressentiments anheizen. Da fischt die CSU in ganz trüben Gewässern.

Wie polemisch dürfen Politiker sein?

Bei Ausländerfeindlichkeit, Abgrenzung und Abschottung hört die Polemik auf. Hier wird eine Meinung bedient, die in Deutschland keinen Platz haben darf. Karmasin weckt die niederen Instinkte. Er zielt ja überhaupt nicht auf eine Verbesserung, noch deutet er eine Lösung an.

Noch haben wir im Landkreis den Konsens aller im Kreistag vertretenen Parteien, Flüchtlinge menschenwürdig zu behandeln. Wer gefährdet diese Willkommenskultur: der Landrat oder der Missbrauch des Asylrechts?

Ich würde nicht von einem Missbrauch des Asylrechts sprechen. Jeder, der kommt und um Asyl nachsucht, hat einen Rechtsweg zu durchlaufen, der sicher für einige Herkunftsländer beschleunigt werden muss. Man muss sich die individuelle Situation anschauen, Pauschalabweisungen wären rechtswidrig.

Mal abgesehen von der Wortwahl, enthält Karmasins Aussage nicht doch einen wahren Kern? Schließlich haben die wenigsten Flüchtlinge vom Balkan eine Chance, als Asylbewerber anerkannt zu werden.

Deutschland ist keine Insel der Seligen, die Exportweltmeister ist und dazu alle Vorteile der Freizügigkeit für sich nutzt, die aber gleichzeitig Menschen aus all den Ländern, in denen elende wirtschaftliche, soziale und politische Zustände herrschen, von uns fernhalten könnte. Wir und alle Länder der EU werden in besonders armen Ländern gezielt wirtschaftliche Hilfe leisten müssen. Ferner gilt es, unser Zuwanderungsrecht zu verbessern; damit ist uns und manchen Ausreisewilligen geholfen. Leute kommen nicht hierher, um auf Kosten der deutschen Steuerzahler Urlaub zu machen, sondern weil sie jeder Lebensgrundlage beraubt sind und in ihrer Heimat jede Hoffnung auf ein vernünftiges Leben aufgegeben haben.

Wahl

Der ehemalige Richter Herbert Kränzlein, 64, war 24 Jahre lang Bürgermeister von Puchheim. Er verzichtete auf eine fünfte Bürgermeisterkandidatur.

(Foto: Günther Reger)

Letztlich unterscheidet Karmasin zwischen Wirtschafts- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Halten Sie das für unzulässig?

Asyl bekommt man nicht nur, wenn man Bürgerkriegsflüchtling ist, sondern wenn man in seinem Land politisch verfolgt wird. Sicher haben wir ein Abgrenzungsproblem. Nicht immer verfolgt ein Staat seine Bürger. Er schaut nur zu, wie Minderheiten in einer menschenverachtenden Weise geschunden werden. Ein Beispiel ist das Schicksal der Roma. Wer mag den Stab über Menschen brechen, die aus Hunger, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und in Verantwortung für ihre Kinder eine Lösung suchen, indem sie dahin gehen, wo sie meinen, überleben zu können.

Das ist ein ehrenwerter Standpunkt. Aber irgendwann ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht.

Momentan haben wir insgesamt noch deutlich weniger, die um Asyl nachsuchen, als in den Hochzeiten vor etwa zwanzig Jahren. Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele zurückgeschickt werden müssen. Das sollte jedoch nicht als heldenhafte staatliche Aktion dargestellt werden. Sondern uns sollte bewusst sein, dass wir die Probleme nie lösen werden, wenn Teile der Welt in Diktatur, Bürgerkrieg und Misswirtschaft versinken und wir nur zuschauen.

Wie würden Sie an Karmasins Stelle mit den Kosovaren umgehen?

Es gibt mehrere Ansätze. Wir müssen unser Zuwanderungsrecht in Angriff nehmen, weil wir einen Teil derer, die kommen, in unser Arbeitssystem integrieren können. Zudem können dann deren Transferleistungen in ihre Heimat durchaus einen Staat von außen stabilisieren. Das ist ein ganz probates Mittel, das Überleben eines armen Volkes zu sichern. Ganz sicher müssen wir über die EU versuchen, Kosovo wirtschaftlich zu fördern und eine Aufbauhilfe auf die Beine zu stellen. Hier stehen auch andere Länder in der EU in der Verantwortung. Außerdem müssen die Asylverfahren deutlich beschleunigt werden, das heißt, die entsprechenden Stellen müssen personell aufgestockt werden.

Halten Sie es für gerechtfertigt, in Olching eine Schulturnhalle zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlinge unterzubringen, die kaum eine Chance haben, hier zu bleiben?

Ich glaube, dass man in außergewöhnlichen Situationen gar nicht anders verfahren kann. Die Einhaltung unserer Gesetze erlaubt es uns gar nicht, die Leute ohne Verfahren zurückzuschicken. Wir können sie auch nicht auf der Straße verhungern und verkommen lassen. Ich würde mir übrigens ein klares und deutliches Wort von den Kirchenoberen in dieser Debatte wünschen.

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