Fürstenfeldbruck:Im Rausch der Sprache

Gelungenes Gastspiel "Unter dem Milchwald" des Münchner Molopoltheaters in Fürstenfeld

Weich und fließend wie die fischerbootschaukelnde See bewegen sich die Schauspieler zu Beginn des Theaterstückes "Unter dem Milchwald". Sie spülen die Zuschauer geradewegs in ein Festival der Sprache und Wortschöpfungen, die der Autor Dylan Thomas voller Inbrunst in sein Werk gepackt hat. Einerseits weich, sanft und wohlklingend wie die mondlose Nacht des Frühlings in der kleinen sternenlosen und bibelschwarzen walisischen Kleinstadt Llareggub, andererseits derb, grob und schrill, wie die verschrobenen Typen, die durch den geduckten Liebespärchenwald zur krähenschwarzen See humpeln. Diese lautmalerischen Bilder sind ein Symbol für die Sehnsüchte des mit 39 Jahren an seiner Alkoholsucht verstorbenen walisischen Dichters.

Es ist die emotionale und geistige Flucht aus dem kleinbürgerlichen Leben, es sind Träume vom Anderssein und Ausbrechen. Die Regisseurin Ulrike Arnold hat das ursprüngliche Hörspiel mit raffinierten Kniffen bühnentauglich gemacht. Statt der ursprünglich 60 Charaktere sind es "nur" noch 30, die sich auf fünf Schauspieler aufteilen. Immer noch genug um zumindest in der ersten Viertelstunde beim Zuhörer eine gewisse Verwirrung auszulösen. Arnold hat zudem die Kulisse auf ein Haus reduziert, die Räume sind unterschiedliche Spielorte mit minimaler Ausstattung. Die Akteure bewegen selbst die Drehbühne und kurbeln so das Geschehen an, eine Metapher für den fortwährenden Szenenwechsel zwischen Traum und Wirklichkeit, dem Heute und Gestern. Sie tun es mit solcher Wucht und geballter Spielfreude der sich das begeisterte Publikum letztendlich nicht entziehen kann und auch gar nicht will. Ein beeindruckender und intensiver Theaterabend, auch wenn das Stück selbst einigermaßen gewöhnungsbedürftig bleibt.

Gerd Lohmeyer, der die Brucker Theaterfreunde beim vergangenen Gastspiel des Metropoltheaters noch als Lucie Cabrol begeisterte, konnte wegen einer Schulterverletzung dieses Mal nicht spielen. Das ist eine wunderbare Gelegenheit für die groß gewachsene Viola van den Burg in den für Lohmeyer vorgesehenen Männerrollen zu glänzen. Hinreißend wie sie als alte Schrulle ihre sexistischen Wünsche äußert, mit ihrem Luftorgelspiel ihre Partnerin nervt, den Voyeur oder geschwätzigen Postboten spielt. Im Wechsel von einer Rolle zur anderen, und seien sie noch so unterschiedlich, überzeugen die Darsteller restlos. Thomas Meinhardt wacht als Witwe im Krinolinennachthemd wie ein Zerberus über ihr keimfreies Haus. Sie kommandiert ihre verstorbenen Männer herum, denen es im muffigen Grab weitaus wohler wäre. Dann ist er der liebestolle Schankwirt, der, als es endlich ans Eingemachte gehen könnte, kollabiert. Dann wiederum tippelt er als Stubenmädchen im Kasack über die Bühne.

Lena Dörrie hat ähnlich wie van den Burg Comedy-Erfahrung. Egal ob als Leichenbestatter, Inhaberin des Süßwarenladens oder als Liebesdienerin ist sie hinreißend authentisch. Ähnlich liebestoll agiert die Tochter des Metzgers, gespielt von Eli Wasserscheid, die kürzlich erst im Fernsehen im ersten Frankentatort zu sehen war. Allerdings färben die Familienbande und die Metzgerei auf ihre erotischen Phantasien deutlich ab. Als sie als bigotter Pfarrer versucht der jugendlichen Verführung zu widerstehen verheddert sie sich im Gebet und stolpert in einen herrlichen Dialog mit Lena Dörrie, der Versuchung schlechthin.

Markus Fennert ist schon von seiner Statur her der ideale Typ für den Captain, den blutrünstigen Metzger mit dem finsteren Warenangebot, wie Maulwurfsbraten oder Fledermaus, den brunftigen Macho, den milchmädchenlüsternen Fischer, oder den Biedermann, der sich heimlich das große Buch der Giftmörder bestellt.

Als am Schluss die Nacht zum zweiten Male an einem Frühlingstag erwacht, Kinder und alte Männer ins Bett der kleinen Finsternis gelockt werden und der Tanzabend des Mütterverbandes im Cha-Cha-Cha verklungen ist, lehnen die Schauspieler an der Brüstung des Fensters und beobachten entspannt die blaubauchige Bucht des Meeres. Die Wogen des Geschehens schwappen über in den donnernden Applaus des Publikums für die grandiose Leistung des Ensembles unter der preisgekrönten Regie von Ulrike Arnold.

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