Fürstenfeldbruck:"Ich bin jemand, der vielen auf die Füße tritt"

Nach 15 Jahren legt Axel Lämmle sein Mandat als Fürstenfeldbrucker Stadtrat nieder. An diesem Dienstag wird er verabschiedet. Im SZ-Interview bekennt sich der SPD-Politiker zum gepflegten Streit für die soziale Sache. Er gesteht aber auch eigene Fehler ein und entschuldigt sich

Interview von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Einige Tage vor der Wahl des neuen Brucker Oberbürgermeisters kommt der Fahrlehrer Axel Lämmle, 46, zum Abschiedsinterview in die SZ-Redaktion. Lämmle legt sein Mandat nach 15 Jahren als Stadtrat nieder - dem Kreistag hat er insgesamt vier Jahre lang angehört. An diesem Dienstag soll das Gremium über die formelle Entlassung entscheiden.

Lämmle hat polarisiert. Er war ein gefürchteter, rhetorisch sehr beschlagener Kontrahent. Aber auch einer, der immer gut war für einen Scherz - und damit sogar in der eigenen Partei schon mal angeeckt ist. Zu einer vorweihnachtlichen Sitzung erscheint er mit kleinen Glöckchen, die in seinen langen Vollbart geflochten sind. Ein paar Tage vor dem Interviewtermin erlaubt sich Lämmle mit dem SZ-Reporter, der ihm nun gegenüber sitzt, einen Spaß: Via Facebook verbreitet er eine Fotomontage, die Parallelen suggeriert zwischen dem Reporter, der mit hochgekrempelten Hemdsärmeln ein Gespräch der beiden damaligen OB-Kandidaten Erich Raff und Martin Runge moderiert, und dem tiefenentspannten Al Bundy (Ed O'Neill) aus der US-Sitcom-Serie Eine schrecklich nette Familie. "Das haben Sie mir aber hoffentlich nicht krumm genommen", sagt Lämmle vorsichtig. Nein, haben wir nicht. Wir wissen ja, wie Axel Lämmle tickt und wie's gemeint ist. Lämmle lässt in dem Gespräch auch Selbstkritik und Selbstironie durchscheinen.

SZ: An diesem Dienstag werden sie im Stadtrat verabschiedet. Wehmut, Nervosität, Freude - was trifft es am besten?

Axel Lämmle: Ich kann mir gut vorstellen, dass die Wehmut noch kommt. Momentan überwiegt eindeutig die Freude.

Frust jedenfalls ist es offenbar nicht. Obwohl Sie sich ja zwei Mal vergeblich um das Amt des Oberbürgermeisters beworben haben, 2008 und 2014. Philipp Heimerl ist jüngst ebenfalls gescheitert. Kann man als SPD-Mitglied Brucker OB werden?

Man kann es auf jeden Fall. Das haben Wilhelm Buchauer und Eva-Maria Schumacher hinlänglich bewiesen. Bei aller Kritik an Sepp Kellerer muss man sagen, dass er ein original bayerischer Bürgermeister war. Volksnah und willensstark. Es war schwer, gegen ihn anzutreten. Es ist generell schwer, einen amtierenden Bürgermeister aus dem Amt zu hebeln, solange der keine silbernen Löffel klaut. Je größer eine Stadt ist, desto mehr schlagen außerdem Landes- und Bundestrends durch. Die SPD ist in einer existenziellen Krise.

Macht Politik Ihnen denn in diesen Zeiten überhaupt noch Spaß?

Ja! Sich für sozialdemokratische Inhalte einzusetzen, macht Spaß. Weltweit ist da die Globalisierung, im Land gibt es die Spaltung der Gesellschaft. Und beim solidarischen Miteinander hakt es auch in den Kommunen. Das aber brauchen wir im kleinsten Dorf ebenso wie weltweit.

Was hat all die Mühsal gebracht? Denken wir an den vierten Marktsonntag. Da haben Sie regelmäßig Reden gehalten, um den Arbeitnehmern den freien Tag zu erhalten. Und dann wurden Sie überstimmt.

Fürstenfeldbruck: Lämmle ist ein politischer Mensch. Und ein Genussmensch: Bis 2011 raucht er zwei Schachteln am Tag. Nun ist eine E-Zigarette sein ständiger Begleiter.

Lämmle ist ein politischer Mensch. Und ein Genussmensch: Bis 2011 raucht er zwei Schachteln am Tag. Nun ist eine E-Zigarette sein ständiger Begleiter.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Demokratie ist eben anstrengend. Immer muss man Mehrheiten suchen. Beim Viehmarktplatz war man sogar auf einem gemeinsamen Weg, es gab eine Mehrheit. Aber dann gab es eine gegenteilige Bürgerentscheidung. Trotz alledem: Es macht Spaß, sich zu engagieren, dicke Bretter zu bohren. Auch wenn ich vielleicht nicht der bin, der das Loch hinbringt (lacht).

Sie sind vielleicht der, der im Stadtrat am meisten polarisiert. Die Glöckchen im Bart kamen auch innerhalb der SPD nicht bei allen gut an. Sind das Spaßbremsen?

Manchmal... Mit dem Bart, das war ein Scherz. Der eine lacht, der andere halt nicht. Das ist doch kein kriegsentscheidendes Thema. Ich hatte damals Lust, Quatsch zu machen. Es war eine spontane Idee eine Stunde vor der Stadtratssitzung. Und polarisieren? Ich bin jemand, der vielen Menschen auf die Füße tritt. Das geschieht gar nicht so absichtlich. Insgesamt vermisse ich heute die Leidenschaft in der Politik. Die gibt es leider immer weniger. Denken wir an Strauß, Brandt, Geißler - das waren alles Politiker, die nichts mit Kuschelpädagogik am Hut hatten. Die hatten Positionen und haben die verteidigt bis aufs Messer. Niemand will noch streiten. Weil Streit angeblich was Schreckliches ist. Falsch! Es darf nur nicht destruktiv sein. Wenn mich Ungerechtigkeit nicht wütend macht, dann kann ich doch nicht für Gerechtigkeit glaubwürdig sein.

Sie galten mal als Brucker SPD-Shootingstar. Wie ist es, wenn man die hinteren Reihen durchgereicht wird?

Ich wollte 2008 und 2014 OB werden, der Job würde mich bis heute reizen. Aber ich wurde nicht gewählt, einmal habe ich 20, einmal 15 Prozent der Stimmen bekommen. Solche Niederlagen tun weh, definitiv. Die 15 Prozent waren sogar sehr hart, das war eindeutig desaströs. Das ging damals im Wahlkampf aber auch ins Persönliche. Das tut weh. Der Rückzug in die zweite Reihe, das war mein eigener Wunsch. Als Spitzenkandidat ist man für den Sieg, aber auch für die Niederlage verantwortlich. Im ersten Schock wollte ich auch das Stadtratsmandat nicht annehmen, Wirklich erstaunlich war, wie viele sich gemeldet haben und mir davon abgeraten haben.

Auch SPD-intern gab es Kritik für den Rücktritt vom Rücktritt.

Ja, klar. Ich schätze Streit, wenn er offen ausgetragen wird. Was ich ganz furchtbar finde: wenn das hinten rum passiert.

Wie es damals aber war.

Richtig. Ich bin nicht das große Ratschkathl, ich kriege dennoch relativ viel mit. Aber was soll ich machen? Ich kann ja die Leute nicht zwingen, offen die teils berechtigte Kritik an mich heranzutragen. Aber was schon eine fiese Nummer war: Meine Familiensituation war ja damals durchaus ... schwierig, nenne ich es jetzt mal. Aber das war schon vor meiner Nominierung bekannt, und ich habe das in der Partei selbst thematisiert. Leute, ihr wisst, in welcher Situation ich bin. Sagt ja oder nein. Das Problem ist: wenn was schief geht, wird immer ein Schuldiger gesucht. Es kann schon sein, dass mich manche nicht gewählt haben, weil ich in einer sogenannten liederlichen Beziehung gelebt habe.

Fürstenfeldbruck: Ein Hingucker ist der SPD-Politiker Axel Lämmle beim Auftritt 2016 in einer Sitzung mit Glöckchen im Bart.

Ein Hingucker ist der SPD-Politiker Axel Lämmle beim Auftritt 2016 in einer Sitzung mit Glöckchen im Bart.

(Foto: oh)

Mit Facebook ging der Zoff richtig los.

Als die Flüchtlingskrise begann, da war es wirklich hemmungslos. Aber wenn Foren vernünftig moderiert werden, dann ist es möglich. Die Leute müssen Diskussionskultur auch erst lernen. Ich natürlich auch, so ist es ja nicht. Ich bin nicht immer der netteste Diskutant gewesen.

Sie denken an die Debatte um das Auftrittsverbot im März 2016 für den Zirkus Louis Knie mit seinen Wildtieren?

Das ist ein bisschen eskaliert. Ich fand es anfangs nicht so dramatisch. Ich habe gesehen, dass ein Zirkus kommt. Dann hat mich einer von einer Tierschutzorganisation angerufen und gefragt, warum der denn bei uns trotz eines anders lautenden Stadtratsbeschlusses auftreten darf. Damals war der Herr Raff noch nicht so lange im Amt. Dass in der Verwaltung Fehler passieren, ist okay. Aber man muss sie korrigieren und nicht nachträglich legitimieren. Ich habe selten jemanden erlebt, der in seinem Job so überfordert ist wie der Herr Raff. Eigentlich hätte man ihn davor schützen müssen.

Was war ihr größter Triumph?

Dass mein Antrag auf Einführung der Ganztagsschule West durchgegangen ist. Es gab damals das Investitionsprogramm der Bundesregierung. Als vorletzte bayerischen Stadt sind wir noch reingerutscht. Wir waren unter den 30 ersten Schulen Bayerns, die zur Ganztagsschule wurden. Darüber freue ich mich total. Inzwischen verlassen fast alle Schüler die Schule West mit einem Abschluss - sehr viele davon mit Quali.

Was war Ihr größter Misserfolg?

Wahrscheinlich, dass wir beim Wohnungsbau nicht mehr Gas gegeben haben. Das Thema habe ich schon vor zehn Jahren vertreten. Ein Erfolg ist es immerhin, dass andere Parteien das Thema jetzt aufgreifen.

Wie sehr haben Fahrschule und Familie unter dem Politik-Engagement gelitten?

Zu den Wahlkampfzeiten haben beide gelitten. Fahrstunden geben und gleichzeitig am Grünen Markt am Infostand stehen, das geht halt nicht. Das kostet einen Selbständigen viel Geld. Jeder Wahlkampf hat mich ungefähr 15000 Euro Umsatz gekostet. Viel entscheidender war aber, dass die Familie sehr gelitten hat. Ich fange die erste Fahrstunde um 6 oder 6.30 Uhr an. Wenn ich aus dem Haus gehe, schlafen meine Kinder noch. Wenn ich dann Theorieunterricht habe ist es 20.30 Uhr und wenn ich Stadtrat oder Fraktionssitzungen habe, wird es schon mal 22 Uhr.

SPD Lämmle

Axel Lämmle ist wandlungsfähig - als SPD-Shootingstar trägt der Ortsvereinsvorsitzende 2003 noch ein dünnes Bärtchen.

(Foto: Günther Reger)

Wann ist die Entscheidung gefallen?

Die Weichnachtstage waren entscheidend. Da habe zum ersten Mal richtig Zeit gehabt mit meinem dreijährigen Sohn, der vierjährigen Tochter der achtjährigen Tochter. Ich habe gemerkt, wie die Beziehung in kürzester Zeit so viel enger wurde. Das will ich nicht mehr missen.

Lämmle ohne Politik? Geht das?

Politisch werde ich immer sein, auch noch mit 80 oder 90, sofern ich so alt werde. Wenn die Kinder größer sind, kann ich auch wieder mehr machen. Wenn die SPD mich wieder will, warum nicht?

Haben Sie ein politisches Vorbild? Und warum sind Sie zur SPD gegangen?

Willy Brandt mit seiner Leidenschaft. Und auch wenn er wirklich erzkonservativ war: Helmut Schmidt. Die haben mich schon als Kind beeindruckt. Ich musste früher um 20 Uhr ins Bett. Außer, wenn ich mir die Tageschau mit angeschaut habe. Also habe ich mir die Nachrichten angeschaut. Und da waren Brandt und Schmidt von der SPD. Meine Mama und ich haben das angeschaut, vielleicht waren das ja so was wie Vaterfiguren. Meine Mutter hatte sich 1972 scheiden lassen. In Niederbayern. Das war kein Vergnügen. Im Kindergarten in Passau bin ich in die Problemkindgruppe gesteckt worden, nur weil ich aus einer Scheidungsfamilie kam. Das prägt, wenn man so behandelt wird. Und da kann man nicht bei der CSU landen.

Aus heutiger Sicht im Rückblick: Gibt es etwas, das Sie bereuen?

Es tut mir ernsthaft leid, wenn ich Leute persönlich angemacht habe. Das möchte ich nie. So was passiert im Eifer des Gefechts. Auf den Herrn Raff zum Beispiel war ich oft so richtig sauer. Und da fällt es mir manchmal schwer, sachliche von persönlicher Kritik zu trennen. Ich darf nicht auf den Charakter schließen, wenn jemand sachlich etwas tut, was mir nicht taugt. Ich versuche da an mir zu arbeiten, das ist nicht immer leicht. Wenn ich jemanden verletzt habe, dann tut's mir tierisch leid. Aber wenn sich jemand verletzt fühlt, weil ich ihn in der Sache hart angegangen bin, dann tut's mir nicht leid.

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