Fürstenfeldbruck:Gut gepflegt

Hopkins

Ausgezeichnet: In monatelanger Arbeit hat Henriette Hopkins ihre Pflege-App entwickelt.

(Foto: Günther Reger)

Henriette Hopkins hat ihre Berufserfahrung verarbeitet und mit einer App den Branchen-Award gewonnen. Sie soll Angehörigen Hilfestellung im Alltag bieten

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Henriette Hopkins lässt sich auf den Boden plumpsen. "Stellen Sie sich vor, ich bin hingefallen", sagt die adrett gekleidete Frau. "Der erste Impuls, zu der Person zu gehen und an den Händen zu ziehen oder unter die Arme zu greifen, um ihr aufzuhelfen, ist falsch." Vielmehr müsse man natürliche Bewegungsabläufe unterstützen. Henriette Hopkins macht es vor. "Sehen Sie, so stehe ich normalerweise auf", sagt sie. Wie man eben so aufsteht. Aber so banal wie sich die Sache darstellt, ist sie nicht. Viel zu oft blenden pflegende Angehörige die natürlichen Bewegungsabläufe aus und wuchten die Person, die auf ihre Unterstützung angewiesen ist, mit einem kräftigen Hauruck in den Rollstuhl, aus dem Bett oder zurück in die Diagonale. Damit das nicht so bleibt, hat die Fürstenfeldbruckerin eine Pflege-App mit dem Namen Kinaesthetics Care erfunden. Nach monatelanger Arbeit wurde sie dafür mit dem Branchen-Award Health:Angel, dem Oskar der Gesundheitskommunikation, ausgezeichnet.

"Es gibt Apps für alles, nur nicht zum Thema Pflege," erklärt sie. Als pflegender Angehöriger fühlt man sich weitestgehend allein gelassen. Die Ironie darin offenbart sich, wenn man sich die Zahlen pflegender Angehöriger in Deutschland anschaut. 1,3 Millionen Menschen kümmern sich um pflegebedürftige Familienmitglieder oder Freunde, weltweit sind es 280 Millionen Menschen. Deshalb wollte Hopkins mit ihrer Pflege-App ein niederschwelliges Angebot bieten. "Wenn ein Angehöriger zum Pflegefall wird, ist das außerdem auch eine enorme psychische Belastung", sagt sie. Zusätzlich konfrontiert mit finanziellen Sorgen und der Frage nach Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist guter Rat teuer. Hopkins weiß, wovon sie spricht. Sie ist nicht nur gelernte Krankenschwester und war als Pflegedienst- und Heimleitung tätig, auch ihr Großvater wurde zum Pflegefall. Bis zu seinem Tod hat Hopkins sich um ihn gekümmert.

Auf ihrer neu geschaffenen Plattform bietet sie pflegenden Angehörigen zur Unterstützung kurze Videos an, die etwa zeigen, wie man einem Menschen vom Bett in den Rollstuhl hilft oder wie man ihn im Bett zum Essen in die richtige Position rücken kann. Dabei greift sie das Konzept von Kinaesthetics Care auf. "Es ist kein Hexenwerk und auch keine Technik", sagt Hopkins. Man versuche lediglich, zu unterstützen. "Ich schaue, was die Person noch alleine machen kann und baue darauf auf", erklärt sie. "Ich gebe ihm, etwa wenn er gefallen ist, Impulse in Richtung Vierfüßerstand, um das Aufstehen zu erleichtern." Einerseits könne man die Ressourcen, die der Angehörige noch hat, so fördern, andererseits entlaste man sich damit auch selbst. Das Tragen und Heben der Angehörigen verursache schließlich nicht selten Rückenprobleme.

Der zweite wichtige Aspekt, den die App beinhaltet, sind die Regelungen zur Pflegeversicherung. Der Gesetzestext sei für Laien oft unverständlich. In der App habe sie gemeinsam mit der Unterstützung von Experten alle Punkte leicht verständlich ausgearbeitet, geklärt, welche Leistungen dem Angehörigen bei welcher Pflegestufe zustehen, wann diese verfallen und wie man sie beantragt. Veranschaulicht wird das mit gut verständlichen Fallbeispielen. Unter den Texten werden Links zu wichtige Formularen angegeben. In einer weiteren Kategorie werden Hilfsmittel, sortiert nach Produktgruppen, aufgelistet. In der Kategorie Service und Produkte finden sich außerdem Verknüpfungen zu Portalen wie "Wer pflegt wie?". Eine Internetseite, auf der Pflegeeinrichtungen von Angehörigen bewertet werden. Die Oberfläche der App ist selbsterklärend gestaltet, die einzelnen Funktionen sind leicht zu handhaben.

Die Arbeit an der App sei aber noch lange nicht abgeschlossen. Neben Aktualisierungen und der Übersetzung des Inhalts in andere Sprachen, würde Hopkins gerne eine Art Forum in die App integrieren, in dem sich pflegende Angehörige untereinander austauschen können. "Ich habe das Gefühl, das Thema ist ein Tabu. Man redet zu wenig darüber. Aber es ist wichtig, ein Netzwerk aufzubauen und sich auszutauschen. Das erleichtert", sagt Hopkins.

Die App Kinaesthetics Care ist kostenlos im App-Store und im Google Play Store erhältlich. Mit der Erweiterung auf die Premium-Mitgliedschaft für 4,99 Euro werden umfangreichere Inhalte freigeschaltet.

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