Symposium zu Amokläufen an Schulen:Furcht vor Nachahmern

An der Polizeifachschule versuchen Experten, Lehren zu ziehen aus vergangenen Vorfällen.

Von Erich C. Setzwein

Wie können sich Menschen auf eine solche Situation einstellen, wie reagieren Menschen auf einen Amoklauf an einer Schule? Mitglieder von Kriseninterventionsteams oder Wissenschaftler würden mit den Städtenamen Erfurt, Emsdetten, Memmingen oder Winnenden antworten, und bei jedem würde es zumindest bei ein oder zwei Namen klingeln. Diese Assoziationen hatten auch die 300 Teilnehmer eines Symposiums an der Polizeifachschule in Fürstenfeldbruck, bei dem es um "schwere zielgerichtete Gewaltlagen an Schulen" ging. Ein heikles, ein sehr schwieriges Thema, wie sich aus den Vorträgen und einer Diskussionsrunde ergab, und das lang anhaltende Bilder in den Köpfen produzierte. Keine schönen Bilder.

Angesprochen waren in erster Linie Polizeibeamte, Lehrer und Schulpsychologen, die sich von Berufs wegen mit der gemeinhin - aber fälschlich - als Amoklauf bezeichneten Tat auseinandersetzen wollten. Erfurt, 2002, mit 17 Toten oder Winnenden, 2009, mit 15 getöteten Menschen, waren den Referenten zufolge keine Amokläufe. Sie waren keine spontanen Taten, sondern lange vorher geplante, durchdachte, gut organisierte bewaffnete Angriffe auf Schulen mit der Absicht, Schüler und Lehrer umzubringen. Tim K. etwa, damals 17 Jahre alt, hatte sich Waffe und Munition aus dem Waffenschrank seines Vaters besorgt, um in der Albertville-Realschule von Winnenden erst neun Schüler und drei Lehrer und bei seiner anschließenden Flucht drei weitere Menschen zu erschießen. Zwei Polizeibeamte verletzte er schwer, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete und sich tötete. Als die Polizei in ein Autohaus in Wendlingen, 40 Kilometer von der Schule entfernt, eindrang, fand sie bei dem toten Täter noch 170 Schuss Munition, 130 mal hatte K. vorher schon geschossen. Im Waffenschrank des Vaters fanden sich 4900 Patronen.

Mit diesen zunächst nackten Zahlen wollte Carsten Höfler, Referent im baden-württembergischen Innenministerium, den Teilnehmern des Symposiums Dimensionen vermitteln. Dimensionen, in denen der Gewalttäter vielleicht noch mehr Menschen hätte töten können, in denen sich die Gesellschaft bewegt, die den Besitz von einer solchen Menge an todbringenden Waffen zulässt. Höflers Vortrag war auch deshalb so eindrucksvoll, weil sich der Referent während seines Studiums an der Hochschule der Polizei mit dem Nachahmungseffekt solcher Gewalttaten wissenschaftlich befasst hatte. Die Schlüsse, die Höfler in seiner Diplomarbeit zog, sind zum einen, dass "Amokläufe" wie in den USA in Deutschland exakt kopiert worden sind - bis hin zur Kleidung und den Gesten. Zum anderen aber hat Höfler eine klare Meinung davon, wie und in welchem Umfang während und nach einer solchen Gewalttat darüber berichtet werden sollte: nämlich eigentlich gar nicht. Über die mediale Fokussierung auf Tim K. sagte der Polizeioberrat: "Er ist es nicht wert, um über ihn zu schreiben, es spielt keine Rolle." Viel wichtiger sei es, sich auf die Opfer zu konzentrieren. Denn es dürfe keine "Anschlussmöglichkeiten für künftige Täter" geben, keine Rekonstruktion und keine Details des Tathergangs: "Es gibt keinen Informationswert."

Täter wie der von Winnenden würden romantisiert und zu Helden, ja zu Märtyrern stilisiert und damit für potenzielle Nachahmer zu Vorbildern. Ziel der Polizei müsse es deshalb sein, weniger Details an die Öffentlichkeit zu geben. "Wir können Informationen steuern", sagte Höfler und meinte damit, dass die Polizei den Berichterstattern Abläufe und Informationen vorenthalten sollte.

Aus den Diskussionen war herauszuhören, dass sich die Polizei nach mehr als zehn Attacken auf Schulen in Deutschland seit 1999 gut vorbereitet fühlt. Technisch und organisatorisch scheinen sich auch die Schulen, so weit das überhaupt möglich ist, vorzubereiten. Aber es zeigte sich am Ende dieses Symposiums in Fürstenfeldbruck auch, dass die Lehrer viel zu wenige Stunden dafür zur Verfügung haben, um auffällige Schüler als potenzielle Gewalttäter frühzeitig genug erkennen zu können.

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