Fürstenfeldbruck:Erinnern als Aufgabe

Gedenkfeier Olympia

Gegen das Vergessen: Das Ehepaar Fliegerbauer und die stellvertretende Landrätin Martina Drechsler an der Gedenkstätte.

(Foto: Günther Reger)

Beim Gedenken an die Opfer des Olympiaattentats im Fliegerhorst legen Politiker, Vertreter des israelischen Konsulats und der Kultusgemeinde Steine nieder. Der Bruder des damals getöten Polizisten ist sehr gerührt

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Alfred Fliegerbauer aus Dingolfing und seine Familie sind die ersten, die am Donnerstag an der Gedenkstätte für die Opfer des Attentats bei den Olympischen Spiele 1972 vor dem Fliegerhorst-Haupttor eintreffen. Für den Rentner und seine Angehörigen ist es ein schwerer, aber wichtiger Tag. Er muss sich mehrmals Tränen aus den Augenwinkeln wischen. Schließlich starb sein Bruder Anton Fliegerbauer am 6. September auf dem Flugfeld der Kaserne mit neun israelischen Sportlern im Kugelhagel eines gescheiterten Befreiungsversuchs von Geiseln palästinensischer Terroristen. Der Familie kommt bei dem Gedenken eine Sonderrolle zu. Sie sind die einzigen Angehörigen eines der Toten, deren Erinnerung mit Reden und dem Niederlegen von Steinen nach jüdischem Brauch an diesem Tag wach gehalten werden soll.

Als einzige haben die Fliegerbauers Blumen mitgebracht, wunderschöne rote Rosen. Und man kennt sich, vor allem die Fliegerbauers. Landtagsabgeordnete, die Landtagsstellvertreterin Martina Drechsler, Bürgermeister und auch Israelis begrüßen die Familie warmherzig. Schließlich kommen die Niederbayern regelmäßig seit 1999, also seit es den offiziellen Gedenkakt vor der Kaserne gibt, jedes Jahr nach Fürstenfeldbruck. Besonders für den Bruder des getöteten Polizisten ist das einer der wichtigsten Termine im Jahr. Als der Abgeordnete Thomas Goppel mit Alfred Fliegerbauer und der wiederverheirateten Witwe seines ermordeten Bruders plaudert, lächelt der Rentner. Die mit der kleinen Aufmerksamkeit verbundene Anerkennung tut ihm gut.

Den Rednern geht es um mehr, als einfach nur die Namen der Getöteten aufzuzählen. Die jung Verstorbenen, die vor oder in einem ausgebrannten Hubschrauber auf dem Flugfeld verbluteten, hatten Gesichter. Sie hatten Familien, Kinder, Freunde, Träume. Darauf spielt Staatssekretär Georg Eisenreich aus dem Kultusministerium an, als er erwähnt, dass zwei der bereits im Olympiadorf erschossenen Geiseln Geschenke für ihre Kinder besorgt hatten, darunter das Olympiamaskottchen. Geschenke, die nach dem Terroranschlag in den Zimmern der Sportler im Olympiadorf gefunden worden waren. "Es heißt, die Toten sterben ein zweites Mal, wenn wir sie vergessen." Mit diesem Satz verbindet der Staatssekretär seinen Dank an den Landkreis und die Stadt Fürstenfeldbruck für deren vorbildliche Pflege der Erinnerungskultur.

Aber auch Zuhörer verbinden eigene Erinnerungen mit diesem schrecklichen Geschehen. Zum Beispiel der Puchheimer Bürgermeisterstellvertreter Rainer Zöller. Er hatte vor 43 Jahren als junger Polizist den Befreiungsversuch auf dem Fliegerhorst miterlebte - und in diesem Jahr erhielt er erstmals in offizieller Funktion eine Einladung zu dem Gedenken. Zöller musste damals den unverletzten der beiden überlebenden Palästinenser ins Gefängnis Stadelheim bringen. "So etwas vergisst man sein ganzes Leben nicht", bekennt der Puchheimer sichtlich gerührt.

Die 30 Jahre alte Sybil Schmücker wuchs in Deutschland auf. Sie arbeitet als Pressereferentin am israelischen Konsulat in München. Schmücker hat Generalkonsul Dan Shaham dazu auserkoren, stellvertretend für ihn offiziell zu sprechen. Die junge blonde Frau bekennt, während ihrer Kindheit und Schulzeit nie etwas von dem Attentat und den Ereignissen in Fürstenfeldbruck gehört zu haben. Erst als sie als Studentin in Israel eine Arbeit über den Terrorismus in Deutschland schrieb, habe sie zum ersten Mal etwas von der Katastrophe im Fliegerhorst erfahren. Ihre erste Aufgabe im Generalkonsulat sei die Vorbereitung des Gedenkens gewesen. Schmücker sagt, beeindruckt zu sein von dem Engagement des Teams im Landratsamt, eine Kultur des Gedenkens in Fürstenfeldbruck zu schaffen. Das sei zutiefst bewegend. Die Botschaft lautet, Mord und Terrorismus würden nicht akzeptiert. Die Rede von Yehoshua Chmiel, Vizepräsident a. D. der israelitischen Kultusgemeinde München klingt versöhnlich. Chmiel prangert den "abartigen" Terroranschlag an, um dann zu sagen: "Vergeben werden wir müssen, wenn wir eine bessere Zukunft schaffen wollen." Einen Beitrag zur Gestaltung dieser Zukunft will der Landkreis leisten. Martina Drechsler weist darauf hin, dass die Erinnerungsarbeit in drei Wochen bei einer Fachtagung thematisiert werde. Dabei soll über den künftigen Erinnerungsort diskutiert werden, der nach dem Abzug der Luftwaffe in der aufgelassenen Kaserne entsteht.

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