Fürstenfeldbruck:Die Zweikassengesellschaft

Herwig Findeis aus Fürstenfeldbruck ist privat versichert. Dennoch setzt er sich für die Gleichberechtigung der Kassenpatienten ein - mit mäßigem Erfolg

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Mehr als fünf Wochen hätte Herwig Findeis auf den Termin für eine Knochendichtemessung beim Radiologen warten sollen. Fünf Wochen ohne Diagnose - für Findeis nicht hinnehmbar. Dann weist ihn die Sprechstundenhilfe darauf hin, dass er durchaus einen früheren Termin haben könne, wenn er die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen würde.

Für den 70-jährigen Fürstenfeldbrucker kein Problem, da er ohnehin privat versichert ist. Und so muss er statt fünf Wochen nur noch 14 Tage lang auf seinen Termin warten. An diesem Punkt hätte Herwig Findeis sich freuen und die Sache auf sich beruhen lassen können. Aber irgendwie kommt ihm das alles komisch vor. "Ich halte das einfach für ungerecht", erklärt er. Immerhin, seine Frau ist gesetzlich versichert. Und so hat er schon häufig miterlebt, welche Unterschiede Ärzte in der Behandlung von Privat- und Kassenpatienten machen.

Dass sich Kassenpatienten angesichts solcher Erfahrungen ungerecht behandelt fühlen, ist nachvollziehbar. Rechtlich gesehen lasse sich dem Arzt in diesem Fall vermutlich allerdings kein Vorwurf machen, erklärt eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). Sobald ein Arzt eine Kassenzulassung hat, gelten für ihn bestimmte Auflagen. "Er muss eine Mindestzeit von 20 Wochenstunden für Kassenpatienten vorhalten", so die Sprecherin. Darüber hinaus sei er in seiner Sprechstundengestaltung frei. Konkret bedeutet das: Wenn der Arzt sein Stundenkontingent für gesetzlich Versicherte aufgebraucht hat, steht es ihm frei, vorrangig Privatpatienten zu behandeln. Es sei denn, es handelt sich um Schmerz- oder Notfallpatienten. Diese müssen ungeachtet ihrer Versicherung bevorzugt behandelt werden. Geregelt ist das im Bundesmantelvertrag für Ärzte. Zudem geht der stellvertretende Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes, Jakob Nies, davon aus, dass Fälle, in denen Privatpatienten bevorzugt werden, insbesondere im Landkreis, Ausnahmen sind. "Wir haben ein gut funktionierendes System im Landkreis Fürstenfeldbruck", betont er. "Freilich gibt es Ärzte, die Unterschiede machen, aber bei den meisten wird die Frage, wie ein Patient versichert ist, keine Rolle spielen", meint Nies. Auch er selbst achte darauf nicht.

Das Kriterium, das zählt, sei einzig die Dringlichkeit einer Behandlung, betont Nies weiter. Anders, räumt er ein, sehe die Situation bei Vorsorge- und planbaren Untersuchungen aus, wenn also kein akutes medizinisches Problem oder Schmerzen vorliegen. In diese Kategorie fällt vermutlich auch der Termin von Herwig Findeis. Aber eines lässt sich nicht von der Hand weisen: Ärzte verdienen an Privatpatienten schlichtweg mehr. Das räumt auch Nies ein. "Der Privatpatient finanziert den Luxus in der Praxis", sagt er. "Er bezahlt für die Leistung, die bei ihm erbracht wird, mehr als der Kassenpatient, dessen Behandlung zum Teil katastrophal honoriert wird", so Nies. Doch sobald die Behandlung durch einen Facharzt dringend ist, sei es zumindest im Landkreis so, dass der Hausarzt zum Hörer greife, den gefragten Kollegen anrufe und teilweise sogar noch am selben Tag einen Termin für seinen Patienten vereinbaren könne - ungeachtet dessen, wie der Patient versichert ist. Der direkte Kontakt zwischen Haus- und Fachärzten sei gängige Praxis. Und gerade weil das so ist, hält Nies auch nichts von den neu eingerichteten Termin-Servicestellen der KVB.

Seit Ende Januar sollen die Stellen in dringenden Fällen Kassenpatienten dabei helfen, einen Facharzt-Termin innerhalb von vier Wochen zu bekommen. Die Servicestellen wurden auf Grundlage des Versorgungsstärkungsgesetzes auf Initiative des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) eingerichtet. Kritik an den Stellen übten vor deren Einführung auch die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder selbst. So betont die Sprecherin der KVB: "Vom Gesetz her waren wir verpflichtet, sie einzuführen." In der Praxis habe sich allerdings gezeigt, dass die Nachfrage von Patienten bisher gering war. Das sei darauf zurückzuführen, dass die Versorgung von Akutpatienten ohnehin schon sehr gut funktioniert habe. Auch sie bestätigt Nies' Aussage: In wirklich dringenden Fällen, funktioniert der direkte Kontakt zwischen den Hausärzten und den Fachärzten am besten. Und die Frist von vier Wochen sei in wirklich dringenden Fällen ohnehin viel zu lang.

Kassenpatienten werden also in Akutfällen nicht benachteiligt, bei planbaren, vorhersehbaren Untersuchungen kann es aber für sie durchaus zu längeren Wartezeiten kommen, als dies für Privatpatienten gilt. Daran ändert wohl auch die Terminvergabestelle der KVB in Zukunft nichts. Nies fällt zu der Stelle nur eines ein: "Überflüssig wie ein Kropf".

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