Fürstenfeldbruck:Die Herzkammer der Erdbebenforschung

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Das Geophysikalische Observatorium auf der Ludwigshöhe bei Fürstenfeldbruck informiert als elementarer Teil des Bayern-Netzes über Epizentren, Ursachen und Auswirkungen. Leiter Joachim Wassermann ist zudem mit mobilen Messgeräten auf der ganzen Welt unterwegs

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Wenn die Erde bebt, spielen die Kurven verrückt und malen atemberaubende Zickzacklinien auf die Bildschirme im Flur. Und bei Joachim Wassermann steigt der Puls. Der 52-jährige Seismologe leitet seit 2004 das Geophysikalische Observatorium auf der Ludwigshöhe zwischen Fürstenfeldbruck und Alling. Das jüngst sanierte, aber recht unscheinbare Gebäude ist so etwas wie die Herzkammer der Erdbebenforschung. Hier wird die aus ganz Bayern einlaufende Datenflut kanalisiert und interpretiert - und die Öffentlichkeit über Erdbeben informiert. Die ganz konkrete Frage "Wo hat es wie stark gebebt und warum?" wird beantwortet. Aufsehen erregte jüngst die Inbetriebnahme des großen, in 15 Meter Tiefe verbuddelten Ringlasers "Romy", von dem sich Experten bahnbrechende Forschungserkenntnisse erhoffen.

In der 1939 von Maisach nach Fürstenfeldbruck verlegten Einrichtung, die zum Department für Geo- und Umweltwissenschaften der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität gehört, sind bis zu zwölf Mitarbeiter beschäftigt - vom Akademischen Direktor Wassermann bis zum Doktoranden. Das Geomagnetische Observatorium widmet sich als zweitem Forschungsbereich am Standort dem Erdmagnetfeld und seinen Änderungen. Die langjährigen Messreihen können bei der Suche nach Erz- und Öl-Lagerstätten helfen sowie bei der Kartographie und Navigation.

Die Erdbebenwarte aber ist das Aushängeschild des Münchner Observatoriums. Gemeinsam mit der Station in Wettzell ist sie ein elementarer Bestandteil des Deutschen Regionalen Seismischen Netzes, das der Beobachtung der weltweiten Erdbebenaktivität dient und mit weiteren 21 Stationen des Bayern-Netzes die Erdbebenherde Bayerns und angrenzender Gebiete überwacht. Daten wie die von Seismographen aufgezeichneten Amplituden und die daraus abgeleiteten Magnituden als Maßeinheit für die Stärke von Erdbeben werden an internationale Dienste wie das Weltdatenzentrum in Denver/USA oder das Europäische Zentrum im französischen Bruyères le Châtel weitergeleitet.

Die Pendeluhren im Gang und der Horizontalseismograf, der beim verheerenden Beben von San Francisco 1906 einen atemberaubenden Zickzack ins Thermopapier gravierte, sind Belege für die wissenschaftliche Tradition der Erdbebenforschung in Bayern. Die Geräte sind im Lauf der Jahre kleiner und sensibler geworden. In den Regalen, die den Horizontalseismografen flankieren, stehen nicht nur Aktenordner Spalier. Dort warten kleine schwarze Kästen mit hochsensiblem Innenleben auf den Einsatz, die zum täglichen Handwerkszeug der Seismologen gehören. Ist Wassermann mal wieder irgendwo in fernen Ländern unterwegs, so wie letztes Jahr in der Region rund um den Stromboli ("da geht einem das Forscherherz auf"), dann reist praktisch immer ein Inertial Motion Unit - kurz Imu - mit. Es ist so etwas wie die Westentaschenvariante von Romy. Ein ähnliches Gerät ist im Airbus A 380 eingebaut, der Pilot kann sich mit dessen Hilfe am künstlichen Horizont orientieren und die genaue Lage und Position des Flugzeugs ablesen. Wassermann setzt die Imus, die er selbst mitentwickelt, meist gemeinsam mit einem Seismometer ein. So ausgerüstet, lassen sich Erdbebenherde ziemlich präzise lokalisieren - aber auch statische Mängel von Häusern offenlegen, deren Geschosse oder tragenden Elemente sich bei Erdbeben unterschiedlich bewegen und durch Konstruktionsfehler bedingt einstürzen können. Dass das Erdbeben auf der italienischen Vulkaninsel Ischia am 21. August so enorme Schäden verursacht sowie Todesopfer gefordert hat, kann sich Joachim Wassermann nur mit der "flachen Herdtiefe", vor allem aber mit der unzureichenden "Bausubstanz" erklären. In Fürstenfeldbruck war das Beben mit Magnitude vier freilich kaum noch messbar.

Das war 2004 anders. Joachim Wassermann erinnert sich schaudernd an den zweiten Weihnachtsfeiertag, an dem er Dienst hatte. Am Monitor konnte er nachts die starken Ausschläge beobachten, die einen Vorgeschmack gaben auf die furchtbaren Verwüstungen, die das Erdbeben mit Magnitude 9,1 und der folgende Tsunami auf der anderen Seite der Welt, rund um den Indischen Ozean, anrichtete. "Frustrierend" sei es gewesen, so Wassermann, tatenlos zusehen zu müssen, wie die Stadt Bandah Aceh im Norden Sumatras, die er von eigenen Reisen gut kennt, zerstört wurde und etwa 100 000 Menschen starben. Vor allem die Kommunikation stellte sich damals als große Schwachstelle heraus: "Die Meldungen waren da, aber es gab keinen Gegenpart" - also keine rund um die Uhr besetzte Stelle in Südostasien, die auf die Meldungen der Erdbebenwarten wie jener in Fürstenfeldbruck schnell reagieren und die Menschen rechtzeitig hätte warnen können. Zwischenzeitlich wurde so etwas zwar eingerichtet. Weil aber bereits aus dem Beben 2006 im indonesischen Yogjakarta, das 3000 Todesopfer gefordert hatte, offenbar kaum Schlüsse gezogen worden waren, macht sich Wassermann keine Illusionen. Die Einwohner und Politiker Indonesiens litten erfahrungsgemäß "an schnellem Vergessen" - was sich verheerend auswirken könnte, falls sich das Beben in 50 oder 60 Jahren wiederholt.

Mit mobilen Geräten und dem nötigen Fachwissen lässt sich nicht nur Erdbebenforschung betreiben. Es lässt sich in vielen Fällen auch feststellen, welche Gebiete für Geothermie, also für die Energiegewinnung durch die Erschließung heißen Wassers tief im Untergrund, geeignet sind. Vor allem das Wiedereinpressen der abgekühlten Flüssigkeit in den Untergrund kann lokale Erdbeben auslösen. Seismologen können zudem einschätzen, ob Risse an Gebäuden wirklich auf eine nahe Geothermieanlage zurückzuführen ist, Schadenersatzansprüche also gerechtfertigt sind oder es sich um Altschäden handelt.

Manchmal werden Schadenersatzansprüche auch bei den Forschern geltend gemacht. So wie von jenem recht dreisten Landwirt auf den Azoren. Dort hatte Wassermann gemeinsam mit Kollegen seismologische Stationen installiert. Irgendwann stand dann der Bauer vor ihnen und erzählte eine wilde Geschichte. Seine Kuh habe eines der grünen Kabel für Gras gehalten, gefressen und sei dann verendet. Ein solches Kabel fehlte in der Tat, die tote Kuh freilich war weit und breit nicht zu sehen. Aber der Klügere gibt nach, und Seismologen hinterlassen manchmal wertvolle Gerätschaften und wollen sich keine Feinde machen. Der Bauer bekam also eine Waschmaschine als Kompensation.

In Fürstenfeldbruck kann so etwas nicht passieren. Kühe halten sich bestenfalls außerhalb des umzäunten Areals auf, und nicht einmal Schafen möchte Wassermann die anspruchsvolle Aufgabe des Rasenmähens übertragen - obwohl kein einziges grünes Kabel zum größten Schatz des Observatoriums führt. Der Schatz in Form des neuen Ringlasers ist etwa 50 Meter vom Observatorium entfernt in der Erde vergraben: Mehrere Ringlaser formen ein Tetraeder mit einer Kantenlänge von zwölf Metern. Der Ringlaser sei "ein Zuckerl für uns", sagt Wassermann, als er auf der Kiesfläche über der Anlage steht. Der Ringlaser arbeitet mit einer unvorstellbaren Präzision und kann sich konstruktionsbedingt selbst kalibrieren. Durch diese Eigenschaft konnte auf die Montage einer tonnenschweren und millionenteuren Spezialplatte wie jener der Schwesteranlage in Wettzell verzichtet werden. Ergebnis: Genauere Messungen, aber nur 2,5 statt 13 Millionen Euro Kosten. Romy verzeichnet nicht nur minimalste Bewegungen in alle Richtungen, sondern darüber hinaus auch Rotationen. Von ihr erhofft sich vor allem der wissenschaftliche Leiter, Professor Heiner Igel, 53, neue Erkenntnisse. Um mehr über die Ursachen und Wirkungen von Erdbeben zu lernen, aber noch viel mehr. Wenn die Anlage in Kürze vollständig justiert ist, dann erst wird sich wohl zeigen, in welchen Forschungsbereichen sie eingesetzt werden könnte. Sogar Laserphysiker haben schon großes Interesse bekundet.

Für den Laien ist Romy ein großes Mysterium. Und das war es zunächst auch für die Bauarbeiter, die hier mit glasfaserverstärkten Kunststoffen und Beton auf den Millimeter genau zu arbeiten hatten. Um die nahe Station, in der seit 1939 das Erdmagnetfeld gemessen wird, nicht zu stark zu stören, mussten die Baumaschinen und Silos abends in sicherer Entfernung geparkt werden. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Sogar das renommierte Wissenschaftsmagazin Science hat die vor den Toren Fürstenfeldbrucks ruhende Romy mit ihrem rot leuchtenden Helium-Neon-Laser-Herz und ihren mikrometergenau montierten Spiegeln als "weltweit einzigartig" gewürdigt.

Informationen über Erdbeben in Bayern gibt es unter www.erdbeben-in-bayern.de/aktuelle-beben

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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