Fürstenfeldbruck:Der Musterschüler

Fürstenfeldbruck: Moustafa Abdo (rechts, stehend) aus Syrien erläutert Flüchtlingen in der Integrationsklasse der Berufsschule seinen Weg aufs Gymnasium.

Moustafa Abdo (rechts, stehend) aus Syrien erläutert Flüchtlingen in der Integrationsklasse der Berufsschule seinen Weg aufs Gymnasium.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Moustafa Abdo hat vor drei Jahren noch kein einziges Wort Deutsch gesprochen. Vor einem Jahr hat der heute 20-Jährige den Quali gemacht, seither geht er aufs Gymnasium. Nun will er andere Flüchtlinge vom Wert der Bildung überzeugen

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Moustafa Abdo ist das, was man gemeinhin einen Musterschüler nennt. Wissbegierig, motiviert, mit Engagement und guten Noten. Moustafa Abdo ist aus Syrien geflohen und nach Deutschland gekommen. Er sprach kein Wort Deutsch. Nun, nur drei Jahre später, kann er sich fließend auf Deutsch unterhalten. Vor einem Jahr machte er seinen Qualifizierenden Abschluss an der Berufsschule Fürstenfeldbruck, mittlerweile besucht er das Gymnasium. Für ein paar Stunden kehrte er jetzt an die Berufsschule zurück, um dort über seine Erfahrungen am Gymnasium zu berichten und um damit andere junge Flüchtlinge zu motivieren, es ihm gleich zu tun.

"Man muss es einfach versuchen", sagt er zu den 13 jungen Männern in einem der Container-Klassenzimmer, die während des schrittweisen Abrisses und Neubaus der Berufsschule als Unterrichtsräume dienen. Abdo hat es versucht. Für den heute 20-Jährigen stand fest, dass er einmal studieren möchte, "und ich weiß, dass man dafür das Gymnasium braucht", sagt er. Er besuchte zwei Jahre lang die Berufsintegrationsklasse an der Berufsschule, ein staatlich gefördertes Programm, das jungen Flüchtlingen im Berufsschulalter im ersten Jahr vorwiegend die deutsche Sprache beibringt und im zweiten Schuljahr um Aspekte der Berufsorientierung ergänzt. Am Ende sollen die Absolventen das Sprachniveau B 2 beherrschen, das als Voraussetzung gilt für die Aufnahme einer Ausbildung. Das Programm gilt als ehrgeizig, zwei Jahre dafür sind knapp bemessen. "Die Mehrheit von ihnen braucht eigentlich länger", hatte Berufsschulleiterin Andrea Reuß kürzlich gesagt.

Nicht jemand wie Moustafa Abdo. Er ist ehrgeizig. Zu seiner Berufsschulzeit hatte er zusammen mit einem Mitschüler ein "Flüchtlingsquiz" entwickelt, mit dem die Schule einen ersten Preis beim Prämienprogramm des Landkreises gewann. Am Ende der beiden Berufsschuljahre bestand er seinen Quali mit der Note 1,6. Weil er gerne studieren möchte und "weiß, dass man dafür aufs Gymnasium muss", hat er versucht, dort unterzukommen, wurde eigenen Aussagen zufolge aber von Gymnasien im Landkreis Fürstenfeldbruck abgelehnt. Das Christoph-Probst-Gymnasium in Gilching im Nachbarlandkreis Starnberg nahm den jungen Mann, der in Germering bei einer Familie wohnt, auf.

"Ich hatte einen ausgesprochen positiven Eindruck von ihm", sagt Alexander Schröder, der stellvertretende Schulleiter. Sein Benehmen sei ausgesprochen höflich und die Art, sich auszudrücken und die eigene Motivation zu beschreiben, beeindruckend gewesen. Zusammen mit dem Ministerialbeauftragten für die Gymnasien fand man eine Lösung, Abdo als Gastschüler aufzunehmen. Denn eigentlich hätte der 20-Jährige mit Quali-Abschluss zunächst eine Realschule besuchen müssen, um dann mit der Mittleren Reife auf ein Gymnasium wechseln zu können.

Moustafa Abdo hat die Probezeit bestanden und die zehnte Klasse hinter sich. Von Herbst an geht es in die Qualifizierungsphase der Oberstufe, in deren zwei Jahren sämtliche Noten bereits zum Abitur zählen. Weil er sich nicht ganz sicher war, ob seine Gymnasiumspläne klappen, hatte er sich auch eine Ausbildungsstelle gesucht. Die Möglichkeit, Industrieelektriker zu werden, "war mein Plan B", sagt er. Er erinnert sich daran, dass ihm der Anfang am Gymnasium schwer fiel: viele neue Fächer, hohes Niveau, die deutsche Sprache plötzlich mit Anforderungen wie Gedichtanalyse und dem Gebrauch von Stilmitteln. Sein Fazit: "Man muss von Anfang an Gas geben.". Er wurde ins Stipendienprogramm "Talent im Land" aufgenommen, das laut Selbstbeschreibung begabte junge Menschen, "die aufgrund ihrer sozialen Herkunft Hürden zu überwinden haben", auf dem Weg zum Abitur unterstützt.

Unter den Schülern, denen sich Moustafa Abdo der Berufsschule vorstellt, sind einige, die nach Ansicht von Klassleiterin und Mathelehrerin Ellen Kießling-Kretz ebenfalls das Zeug fürs Gymnasium hätten. "Man hat gemerkt: Die wollen", sagt sie. Deshalb habe sie intensiv mit den jungen Flüchtlingen geübt. Zehn Quali-Prüfungen der vergangenen Jahre sei sie mit ihnen zur Vorbereitung durchgegangen. Acht Schüler haben den Quali geschafft, dazu zwei weitere, die ihn nach nur einem einzigen Jahr Berufsintegration absolvierten.

Die Schule möchte die besten Absolventen unter den Flüchtlingen überzeugen, ebenfalls eine weitere Schullaufbahn einzuschlagen. "Moustafa hat ein Loch in die Mauer geschlagen. Er hat vor drei Jahren bei Null angefangen", sagt Firengiz Degler zu ihnen. Sie ist Daz-Lehrerin, unterrichtet Deutsch als Zweitsprache. Die jungen Flüchtlinge wollen von Abdo wissen, ob er jetzt mit dem Bestehen der zehnten Klasse die Mittlere Reife habe (ja) und wie das mit dem Zuspätkommen sei. "Man muss immer pünktlich sein", antwortet Abdo. "Bei drei Mal zu spät kommen, muss man am Freitag nacharbeiten." Und er warnt die Schüler auch: "Wenn man immer Quatsch macht, bekommt man einen Verweis. Denn es gibt Regeln."

Degler versucht, die potenziellen Kandidaten zu motivieren: "Ihr drei könnt es auch schaffen." Einer von ihnen, ein junger Afghane, möchte nach dem Quali lieber eine Ausbildung machen, weil er glaubt, sie könne ihn besser vor Abschiebung schützen als ein Schulbesuch. Moustafa Abdo gelingt es dennoch, den dreien die Zusage abzuringen, sich am Gymnasium zu bewerben. Er verspricht, sie dabei zu unterstützen. Wie schnell er selbst sich in den bayerischen Schulalltag integriert hat, daran erinnert sich stellvertretender Schulleiter Schröder. Bereits am zweiten Tag habe ihn Abdo mit "Servus" begrüßt.

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