Fürstenfeldbruck:Der Dualismus des Daseins

Tanztheater

In den drei Teilen des Programms "Conceal/Reveal" geht es um die großen Fragen des Lebens, um Hell und Dunkel, Leben und Tod.

(Foto: Günther Reger)

Begeisterndes Gastspiel der Russell Maliphant Company

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Ein Schreibwerkzeug und eine Projektionsfläche - das gehört zur Ausstattung eines jeden Künstlers. Egal, ob die Kunst sich in Tönen, Worten oder etwas Greifbarem ausdrückt. Russell Maliphant wird oft als physischer Poet bezeichnet. Das trifft das, was der Tänzer und Choreograf macht, sehr gut. Menschliche Körper, sein eigener und die seiner Kompanie-Mitglieder, sind sein Ausdrucksmedium, sein Notizblock zuzusagen. Und er schreibt mit den Bewegungen, die er erdenkt. Und er zeigt wieder, wie Tanz auch jenseits großer Ballett-Erzählungen eine narrative Kunstform sein kann.

So geschehen im Fürstenfeldbrucker Stadtsaal, wo die Russell Maliphant Company ihr Programm "Conceal/Reveal" präsentiert hat. Die dreiteilige Performance, die in dieser Form erstmals 2015 am Londoner "Sadler's Wells Theatre" präsentiert wurde, scheint nicht weniger zu erzählen, als die essenziellen Dualismen des irdischen Daseins: hell und dunkel, oben und unten, Leben und Tod. Im Eröffnungsstück "Piece No. 43", so betitelt wegen der 43. Zusammenarbeit von Maliphant und dem Lichtdesigner Michael Hulls, manifestiert sich eine Variante der Evolutionsgeschichte. Die Tänzer recken sich in ihren Lichtkegeln wie Pflanzen aus der Erde. Es ist ein langsames Ankommen, ein Wechselspiel aus vorwagen und zurückziehen, zu einer Musik, die auf die geschmeidigen Windungen tröpfelt wie das spärliche Licht.

Der organische Eindruck wird durch schlängelnde Bewegungen verstärkt, die besonders in den synchronen Passagen ihre ganze Ausdruckskraft entfalten. Das Duett der männlichen Tänzer, einer von ihnen ist der Choreograf Maliphant selbst, ist filigran bis hin zu den sich rhythmisch hebenden und senkenden Brustkörben choreografiert - ein Sinnbild für den Atem als Metonymie für das Leben. Die bodennahen Sequenzen der Tänzer im Vordergrund werden dabei durch die Gesten der Tänzerinnen ausbalanciert. Dort hinten findet ein ständiges Ranken und Streben nach oben statt, wie es alles Irdische in Richtung Sonne tut. Vielleicht sogar sind in dieser Interpretation die bedrohlichen Techno-artigen Beats am Ende des ersten Teils als das Ende selbst, als Apokalypse, zu verstehen.

Die Beleuchtung oder eher, der großflächige Verzicht darauf, hat mindestens ebenso viel Anteil an der Wirkung der Darbietung. In "Piece No. 43" begleiten zum Beispiel exakt getaktete Lichtkacheln am Boden die Schritte der Solistin. Im zweiten Stück "Both and", ein Solo für Maliphants Ehefrau Dana Fouras - wie ihr Mann ehemalige Tänzerin an der Royal Ballet School, die nach zehn Jahren wieder zur Kompanie gestoßen ist -, ist die Rolle des Lichts noch bedeutsamer. Fouras tanzt als ihr Schatten, der, überlebensgroß auf eine Leinwand projiziert, abschnittsweise verdoppelt und verdreifacht wird. Ihr Tanz schwankt zwischen Assoziationen mit dem Primitiv-Ursprünglichen und einem Göttlich-Übermenschlichen. Und diese prominente Lichtquelle, die die Schattenspiele ermöglicht, ist sie das Licht am Ende des Tunnels, der Tod also? Oder das Licht des Lebens, wodurch alles erst existieren kann?

Körperästhetisch besonders ansprechend ist der dritte und letzte Teil. "Broken Fall" stammt aus dem Jahr 2003 und brachte Maliphant einen seiner Olivier-Awards ein. Den weiblichen Part tanzte damals die französische Star-Ballerina Sylvie Guillem. Ihre Nachfolge tritt in "Conceal/Reveal" Lucia Lacarra an, die im vergangenen Jahr zum Nachteil des Bayerischen Staatsballetts mit ihrem Mann Marlon Dino an das Theater Dortmund wechselte. Von der Einheit, die das Tänzerpaar jenseits der Bühne bildet, merkt man in der Perfomance nur die Hälfte. Denn Dinos Part steht im Wettstreit mit dem von Erik Murzagaliyev.

Es wirkt so, als vereine die Dreiecksbeziehung die beiden großen Sünden des Alten Testaments: die Verführung Adams durch Eva und den Brudermord Kains an Abel.

Zwischen Dreier-Passagen, in denen sich die Körper der Tänzer zu einer kontraststark ausgeleuchteten Einheit aus Muskeln und Gliedmaßen verbinden, reihen sich Sequenzen, in denen die Eva in diesem Gedankenspiel vom einen zum anderen Bruder wechselt, während der Zurückgelassene lauernd abwartet. Als wollten sie sich gegenseitig übertrumpfen, wird die stählerne Körperbeherrschung der Tänzer durch eine Serie aus Hebe- und Haltefiguren unterstrichen. Einen Sieger gibt es nicht. Eva bleibt ohne Männer im Mittelpunkt der Bühne zurück. Dort tanzt sie das Finale, mit animalischen Bewegungen, gleich einer Schwarzen Witwe, die ihre Gespielen nach der Paarung verschlungen hat. Selten liegen Leben und Tod so nah beieinander.

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