Fürstenfeldbruck:Blick in die Hölle

Theater FFB

Familiendrama: James (links) und Sohn Edmund sorgen sich um Mutter Mary. Sie spritzt wieder Morphin.

(Foto: Reger)

Verstörendes Gastspiel von "Eines langes Tages Reise in die Nacht"

Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Warum nur bleiben diese vier Menschen beieinander? Es ist wohl der klebrige Kitt aus Suff, Sucht und Schuldzuweisung, der die Familie Tyrone zusammenhält. Der Rausch betört und vernebelt, lässt hoffen, wo es längst nichts mehr zu hoffen gibt. Unerbittlich versuchen sie, die Illusion von der funktionierenden Familie bis zum Ende aufrechtzuerhalten. Lebenslügen sind nun einmal leichter zu ertragen, als sich seinen eigenen Verfall einzugestehen. Wenn denn die Lebenslüge wenigstens etwas Wärmendes und Verständnisvolles an sich hätte. Die Figuren in Eugene O'Neills "Eines langen Tages Reise in die Nacht" suchen einfach nur nach jemandem, der ihr Leid vermehrt und den sie dafür verantwortlich machen können. Die Hölle, das sind immer die anderen. Jedes zwischenmenschliche Bemühen ist zum Scheitern verurteilt.

Eine Innenansicht dieser Hölle, die nun als Gastspiel im Veranstaltungsforum zu sehen war, hat Roberto Ciulli, Altmeister und Theaterkosmopolit vom Theater an der Ruhr in Mühlheim, inszeniert, schlicht und ohne überbordenden Medieneinsatz. Bei O'Neills unübersehbar autobiografischem Text aus dem Jahr 1956 braucht es für eine Hölle auch nicht mehr viel. Die Bühne (Gralf-Edzard Habben) ist eine stilisierte Unterwelt. In zwei Wasserbecken dümpeln Schuhe, Bücher, Brillen, Gläser und sogar ein Teddybär. Plunder, der vielleicht mal eine Bedeutung für die Familie hatte. Jetzt saugt er sich voll mit der abgestandenen Brühe und verrottet. Ein stetiges Tropfgeräusch verhallt, die Kreise des Wassers spiegeln sich als Videoprojektionen in den Wänden. Auf dem Trockenen steht das, was es zum Leben noch braucht - der Schnaps.

Kerzen säumen den Weg hinauf zur Apsis. Am Ende werden sie angezündet sein. Nein, das hier ist kein Haus, das ist eine Gruft. Auf einen qualvollen Tod steuern alle vier Familienmitglieder unweigerlich zu. Wahrhaben will es natürlich keiner und schon gar nicht verantwortlich sein für das eigene Elend. Mutter Mary (Simone Thoma) könnte sich noch von der Morphinnadel losreißen, denn sie hat ja erst vor Kurzem wieder einen Rückfall erlitten. Süchtig ist sie geworden, weil sie Gott für die Geburt ihres Sohns Edmund (Marco Leibnitz) bestraft. In Gestalt eines pfuschenden Hotelarztes verabreichte er ihr die Droge gegen die Schmerzen. Wenn Vater James (Klaus Herzog), kommerziell erfolgreicher Schauspieler, zerfressen vom Alkohol und vom Geiz, seinen beiden Söhnen Jamie (Fabio Menéndez) und Edmund (Marco Leibnitz) nicht von klein auf Whiskey eingeflößt hätte, vielleicht wären Jamies Lebensinhalt nicht nur Nutten und Bars. Vielleicht würde Edmund nicht an der Schwindsucht sterben, wenn sein Vater bereit wäre, für ein privates Sanatorium zu zahlen. Immer nur vielleicht, wenn, dann, wäre, hätte. Echte Gespräche finden nicht statt. Meistens stehen die Figuren voneinander abgewandt oder unterbrechen die Klage des anderen mit Banalitäten wie "Ich hab Hunger" oder "Ich genehmige mir noch einen". Sie verkommen so nicht nur bei O'Neill zu grotesken Charaktermasken. Bei Ciulli ist das maskenhafte nicht nur innerlich, er hat seinen Figuren gleich weiße und rote Farbe ins Gesicht geschmiert. Sie sind elendige, geisterhafte Clowns.

Der Schluss ist ein Familienspiel. Eine Allegorie auf die naiv-infantilen Verdrängungsmechanismen. "Mutter, Mutter, wie weit dürfen wie reisen?", lautet immer die Frage. "Bis ans Ende der Welt", lautet die Antwort. In seiner Unschuldigkeit ist das zugleich quälend und perfide. Denn ans Ziel kommt keiner von ihnen. Ganz so, als müsse alles noch eine Weile so weitergehen.

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