Fürstenfeldbruck:Aushalten bis zum bitteren Ende

Brucker NSDAP-Funktionäre forderten noch Anfang April 1945 von der Bevölkerung, bis zum "Endsieg" durchzuhalten. Dabei häuften sich Luftangriffe, die Lebensmittelrationen schrumpften und immer mehr Flüchtlinge erreichten den Landkreis

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

"Mit Entschlossenheit und Zuversicht ins neue Jahr", lautete der Wunsch der Fürstenfeldbrucker Zeitung zum Jahreswechsel 1945. Den meisten Einwohnern dürfte um diese Zeit gedämmert haben, dass der rassistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg, den Deutschland vom Zaun gebrochen hatte, nicht mehr zu gewinnen war. Der Krieg hatte den Landkreis erreicht, wie sich an Luftangriffen auf Flugabwehr- und Scheinwerferstellungen, das Wifo-Tanklager bei Germering und den Fliegerhorst mit Dutzenden von Toten und Verletzten zeigte sowie in den Tausenden von Flüchtlingen, die in den Gemeinden und der Kreisstadt strandeten. Lokale NS-Funktionäre organisierten den Volkssturm als letztes Aufgebot und gaben Durchhalteparolen aus.

Auch gegen Kriegsende musste im agrarisch geprägten Fürstenfeldbruck kein Deutscher hungern, obwohl die Rationen schrumpften. Im Landkreis standen Normalverbrauchern im April noch 1700 Gramm Brot, 250 Gramm Fleisch, je 125 Gramm Fett und Zucker sowie 250 Gramm Grundnahrungsmittel zu. Im Winter war die Kohle knapp geworden, Landrat Karl Sepp stritt mit der Kommandantur des Fliegerhorstes, wo immer noch das Schwimmbad beheizt wurde, was in der Bevölkerung für Verdruss sorgte.

Im März 1945 lebten etwa 8500 Flüchtlinge in Bruck. Die meisten kamen aus München, wo ihre Häuser zerbombt waren, dazu Flüchtlinge aus Osteuropa. Diese Volksdeutschen fühlten sich als "Gäste des Führers", auswärtige Arbeiter würden betteln und hamstern und dabei Bauern bedrohen, klagte Sepp.

Immer öfter gab es Luftangriffe. Am 7. Januar fielen Brandbomben auf Gröbenzell, Olching, und Puchheim. In Unterpfaffenhofen wurden 20 Häuser zerstört, als ein britischer Bomber abstürzte, am 12. April kamen 24 Menschen bei einem Angriff auf das Wifo-Tanklager bei Germering ums Leben, etwa 800 000 Liter Flugbenzin liefen aus. Am 23. April attackierte ein Tiefflieger einen Zug in Bruck, der Arbeiter nach München transportieren sollte. Zwei Tage später traf es einen Lazarettzug in Haspelmoor. Dabei wurden mehrere Häuser zerstört und viele beschädigt, drei Soldaten und zwei Zivilisten, darunter ein Kind, starben. Mehrfach ins Visier genommen wurde eine Luftnachrichtenstelle bei Stephansberg mit vier Sendetürmen und anderen hohen Masten, zuletzt Mitte April, wobei zwei Menschen umkamen. Dort waren zeitweise bis zu 150 Frauen im Einsatz, die überwiegend aus Wien, Sachsen und Norddeutschland stammten. Im Kreiskrankenhaus wurden immer wieder Verletzte von Tieffliegerangriffen behandelt, von denen etliche starben. Am 27. April stürzte noch ein deutsches Flugzeug ab, wobei die vierköpfige Mannschaft ums Leben kam.

Seit Mitte Januar zogen Gruppen der NSDAP durch Bruck und warben für das "Volksopfer" eine weitere Spende. Ortsgruppenleiter Heinrich Böck mobilisierte die Hausfrauen für den Einsatz in der Landwirtschaft. "Wir haben kein Verständnis, für Nichtstuer und Müßiggänger den Tisch zu decken", verkündete er am 13. Februar. Drei Versammlungen wurden im Februar einberufen, als Redner traten im Bierbichler-Saal Kreisleiter Franz Emmer und die Kreisfrauenführerin Franziska Heitmeyr auf. Böck versprach sich davon "ein Bekenntnis unserer Frauen und Mädchen zum totalen Durchhalten und zum zähen Durchhalten bis zum Siege". Bei einer Übertrittsfeier von 14-jährigen "Pimpfen", ermahnte Emmer die Jugendlichen, den "Grundsätzen der nationalsozialistischen Lebensführung treu zu sein".

In Kooperation mit dem Fliegerhorst mobilisierte die NSDAP seit Januar den Volkssturm, fünf Bataillone zu je vier bis fünf Kompanien, die in Bruck, Unterpfaffenhofen, Olching, Nannhofen und Türkenfeld stationiert waren. Jugendliche und alte Männer wurden in der Panzernahbekämpfung und dem Bau von Straßensperren unterwiesen. In der Bevölkerung galt der Volkssturm vor allem als Schutz vor Zwangsarbeitern. Bei Fliegeralarm gingen die Volkssturm-Männer auf Patrouille.

Am 1. April veröffentlichte die Parteizeitung eine Proklamation des Werwolf: Diese "Bewegung der nationalsozialistischen Freiheitskämpfer" organisiere den Guerillakrieg hinter der Front im Rücken der Alliierten. "Hass ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei", schrieb die Fürstenfeldbruck Zeitung. Den Bruckern wurde anhand von Zeichnungen nahegebracht, wie man Panzerfäuste einsetzte. Eine Woche später ließ Emmer alle Kreisamts- und Ortsgruppenleiter antreten zur letzten Durchhalteveranstaltung. Gegen die "Vernichtungspläne der mit dem Bolschewismus verbündeten Plutokratien des Westens" helfe nur eins: "Aushalten und immer wieder aushalten."

Bezeichnend ist, dass die Verantwortlichen trotz des nahen Endes so etwas wie Normalität vorspiegeln wollten. Die Zeitung veröffentlichte heitere Anekdoten und Liebesgeschichten, die sich im Kontext der nächtlichen Verdunklungen abspielten. Das Lichtspielhaus an der Amper in Bruck zeigte den Film "Die lustigen Vagabunden" mit Johannes Heesters, die Polizei kontrollierte Besucher eines anderen Streifens wegen angeblich nicht jugendfreier Szenen. Die Propaganda zog nicht mehr so recht, wie aus den Monatsberichten zu entnehmen ist, die der Landrat für die Vorgesetzten in München verfasste.

Kaum jemand glaube mehr an den "Endsieg", notierte Sepp bereits Ende 1944. Die Bauern weigerten sich, in ausreichender Menge Milch abzuliefern. Viele hätten Angst vor den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die angesichts der nahen Befreiung aufmüpfig wurden. Die Germeringer Gendarmerie meldete im Februar sieben Festnahmen wegen Arbeitsverweigerung und Verstößen gegen die Lagerordnung. Zwei Zwangsarbeiter wurden ins KZ Dachau verschleppt. Auf dem Fliegerhorst stahlen Kriegsgefangene mit Duldung der Wachen Holz und fertigten daraus Spielzeug, das sie gegen Lebensmittelmarken tauschten. Nach der Bombardierung des Flugplatzes am 9. April flüchteten drei amerikanische Kriegsgefangene und 13 russische Zwangsarbeiter.

In der Polizeischule vergifteten sich am 21. März drei ukrainische Hilfspolizisten. Alle drei waren 21 Jahre alt. Sowjetische Staatsangehörige, die mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten, konnten angesichts der Massenmorde und Verwüstungen in ihrer Heimat nach Kriegsende nicht mit Pardon rechnen.

Aber auch Brucker Nazis bekamen kalte Füße. Bürgermeister Adolf Schorer entfernte in der Nacht ein Gemälde von seinem Haus, das er 1940 im Überschwang des Sieges an die Mauer hatte pinseln lassen. Es zeigte einen deutschen Gebirgsjäger, der einen britischen Admiral ins Wasser wirft, zur Erinnerung an die Besetzung von Narvik, wo "Churchill in Norwegen um einen Tag zu spät kam", wie die Inschrift lautete. Kreisleiter Emmer deutete am 26. April an, dass der Volkssturm kaum antreten werde. Am gleichen Tag hielt der Gröbenzeller Ortsgruppenleiter Martin Steger einen Dienstabend ab, auf dem er den Männern der örtlichen Kompanie befahl, die Siedlung gegen die Amerikaner zu verteidigen, wie der Historiker Kurt Lehnstedt recherchiert hat.

Einerseits traten in den letzten Kriegsmonaten noch zwei Brucker in die NSDAP ein, der insgesamt rund 1300 Einwohner der Stadt, ein Fünftel der Bevölkerung angehört hatten. Drei andere waren so schlau und verließen die Partei im letzten Moment, eine Frau am 7. Mai 1945, einen Tag vor dem Ende des Krieges als die US-Armee die Stadt bereits seit neun Tagen kontrollierte. Nicht überliefert ist, wem sie ihre Austrittserklärung überreichte.

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