Flüchtlingsbetreuung im Landratsamt:Arbeiten am Anschlag

Asylbewerber

Zurzeit werden dem Landkreis jede Woche 24 zusätzliche Flüchtlinge zugeteilt. Welche Herausforderung das fürs Landratsamt ist, berichten vier leitenden Mitarbeiter.

(Foto: günther reger)

Bis zu dreihundert Überstunden, unbekannte Aufgaben wie die Übernahme von Vormundschaften und immer wieder Krisenmanagement. Vier leitende Mitarbeiter des Landratsamtes berichten wie die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ihren Job verändert

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

"Wir haben Land unter bei uns." So beschreibt Gerda Kistler, die stellvertretende Leiterin des Jugendamts, die angespannte Situation in ihrer Abteilung aufgrund der steigenden Asylbewerberzahlen. Insgesamt 90 unbegleitete jugendliche Flüchtlinge hat das Jugendamt seit vergangenem Oktober in Obhut genommen. Allein in diesem August müssen wohl weitere 40 aufgenommen werden. Diese Herausforderung konfrontiert die rund 100 Mitarbeiter mit bisher unbekannten Aufgaben. Die Flüchtlinge beeinflussen inzwischen indirekt alles, was im Jugendamt passiert. So betreibt das Landratsamt erstmals Jugendhilfeeinrichtungen selbst. Zudem bestimmte das Amtsgericht fünf der Kollegen von Kistler zum Vormund von jeweils mehr als zehn unbegleiteten Minderjährigen.

Die Betreuung der Minderjährigen steht unter der Heimaufsicht der Regierung von Oberbayern. Diese wacht darüber, dass die Jugendlichen ordentlich untergebracht werden. Hält der Flüchtlingszustrom an, kann sich deren Zahl bis Jahresende verdreifachen. Vor allem der Zuwachs bereitet Gerda Kistler Sorgen, weil das Jugendamt schon jetzt nicht mehr alle seine Aufgaben im erforderlichen Umfang erledigen kann. Der Arbeitsaufwand ist so groß, weil für diese Flüchtlinge das Jugendhilferecht gilt, wie etwa für Familien, in denen eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, und nicht das Asylbewerberleistungsgesetz.

Deshalb ist im Zweifelsfall der gesamte Alltag zu organisieren. Das beginnt mit dem Schriftverkehr und Terminen beim Amtsgericht, um das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen. Der Vormund hat wiederum die Duldung seines Mündels beim Ausländeramt zu beantragen. Außerdem ist für jeden Jugendlichen dessen spezielle Situation zu klären, die notwendige Hilfe zu organisieren und ein "Perspektivenplan" zu erstellen. Dieser beinhaltet die Therapie für Traumatisierte, die Klärung der Frage, ob nach oder parallel zu Sprachkursen eine Schule besucht oder eine Ausbildung begonnen wird. Geführt werden diese Gespräche meist mit einem Dolmetscher.

Hoch ist der Aufwand auch für die wirtschaftliche Jugendhilfe. Jedes Medikament und jeder Arztbesuch sind laut Kistler nach Einzelpersonen getrennt abzurechen. Das sei mühsam, weil für jede Ausgabe auch die Kostenerstattung zu verfolgen und zu prüfen ist. Dies alles erreicht Dimensionen, die sich vor einem Jahr niemand im Jugendamt vorstellen konnte. Dazu kommt, was Landrat Thomas Karmasin (CSU) anspricht: eine Kündigungswelle. Die Folgen bekommt die stellvertretende Jugendamtsleiterin zu spüren. Zehn ihrer sechzehn Mitarbeiter haben neu angefangen und müssen noch angelernt werden.

Thomas Epp übernahm im Februar die Leitung des Ausländeramts. Obwohl sich der Personalstand in seiner Abteilung von 25 auf 40 erhöhte und sich mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter nur um Asylbewerber kümmert, ist auch hier die Grenze der Überlastung erreicht, was sich in einer steigenden Zahl von Überstunden niederschlägt. So ist Epps Amt inzwischen für mehr als 60 Containersiedlungen und Wohnobjekte verantwortlich, in denen Flüchtlinge leben. Für jeden einzelnen wird akribisch eine eigene Akte mit Datensätzen angelegt und geführt. Hier tauchen neben Bescheiden und Unterlagen zum Asylbewerberverfahren jeder Arztbesuch, jede Arztabrechnung und jedes Rezept einer Apotheke auf.

Epp spricht angesichts der Papierflut von Missstimmung unter überlasteten Kollegen, die motiviert werden müssen. Doch trotz der Überlastung laufe es immer irgendwie, beteuert der Chef des Ausländeramts. "Der Service ist hoch", sagt er, für alles werde nach Lösungen gesucht. Sieben Leiter von Flüchtlingsunterkünften gehören inzwischen ebenso zur Abteilung von Epp wie drei Kollegen, die am Fliegerhorst Asylbewerbern Taschengeld auszahlen und sich unter anderem um Krankenscheine sowie um die Geldleistungen an diejenigen kümmern, die auf Basis von Ein-Euro-Jobs Hilfsdienste leisten. Seit die Regierung von Oberbayern auf dem Gelände der Brucker Kaserne eine Erstaufnahmeeinrichtung betreibt, ist das Ausländeramt laut dessen Chef im "dauerhaften Krisenmanagement".

Es verfügt mittlerweile auch über einen Mitarbeiter, der nur für die Anmietung von Grundstücken oder Unterkünften für Flüchtlinge zuständig ist. "Wir schauen in die Zukunft und entwickeln Unterkunftskonzepte", sagt Epp. Landratsamtssprecherin Ines Roellecke ergänzt: "Die Flüchtlinge, die noch nicht da sind, machen mindestens so viel Arbeit wie die, die schon da sind."

Völlig neu organisieren musste Kreisbaudirektorin Reinlinde Leitz ihr Amt, das Unterkunftskonzepte für weitere rund 1500 Flüchtlinge, die bis zum Jahresende erwartet werden, umsetzen muss. So bearbeiten zwei ihrer Mitarbeiter ausschließlich Genehmigungsverfahren für neue Unterkünfte sowie die baurechtliche Prüfung der dem Landratsamt angebotenen Quartiere. Sollte ein Platz für eine Traglufthalle gefunden werden, was Karmasin hofft, wäre Leitz auch dafür zuständig. Die vier Mitarbeiter der sogenannten Gewerbegruppe, die bisher größere öffentliche Bauten und Gewerbebauten im Landkreis betreuten, bekamen einen neuen Arbeitsschwerpunkt: Sie sind nun ausschließlich in die Planung neuer Flüchtlingsunterkünfte eingebunden. Zusätzlich befassen sich mit jedem der Projekte noch die Bauamtsleiterin, die Juristin und die Kreisbranddirektion. Wie beim Landrat wird auch die Arbeitskraft von Leitz zu 80 bis 85 Prozent von dieser einen Aufgabe absorbiert.

"Die Sicherheit der Leute ist das Allerwichtigste", sagt die Kreisbaudirektorin. So ist der Brandschutz oft das Hauptproblem größerer Bauten. In frühere Bürogebäude können Flüchtlinge in der Regel nur nach einem Umbau einziehen. "Kein Gebäude passt, wie man es sich wünscht", stellt Leitz fest. Und die Zusammenarbeit mit den Bauherrn gestalte sich oft schwierig. Läuft etwas schief, habe immer das Ladratsamt die Schuld. Stolz ist die Bauabteilung darauf, dass die Containerwohnanlage in der Hasenheide in vier Monaten bezugsfertig war. In die alte Landwirtschaftsschule des Landkreises in Fürstenfeldbruck konnten unbegleitete Minderjährige nach einer Umbauzeit von nur vier Monaten einziehen.

Zurzeit betreut das Bauamt in Zusammenarbeit mit dem kreiseigenen Hoch- und Tiefbau parallel 20 neue Objekte für Asylbewerber. Dazu kommt noch das Turnhallen-Notprogramm. In Zusammenarbeit mit Schulamt, Rotem Kreuz und THW müssen erst alle 14 Turnhallen des Landkreises und danach die Hallen der Städte und Gemeinden auf ihre Eignung als Unterkunft geprüft werden. Fällt die Prüfung positiv aus, sind Belegungspläne zu erstellen. Vor dem Bezug einer Halle ist der Kreisbauhof gefordert. Dessen Mitarbeiter verlegen einen neuen Boden, bevor sie Betten und Schänke aufstellen. Hapert es mit der Elektroinstallation, wird auf den Bauhofelektriker zurückgegriffen. Axel Schuhn, Referatsleiter vom Hoch- und Tiefbau, begutachtet alle dem Landkreis angebotenen Grundstücke aus baufachlicher Sicht. Er erstellt einen Aufgabenkatalog und eine Kostenkalkulation, die die Regierung von Oberbayern prüft, bevor sie zustimmt. Bis fest steht, dass aus einem Angebot nichts wird, was auf 50 Prozent der Objekte zutrifft, ist der Aufwand enorm. Ohne Überstunden, Schuhn hat zurzeit 300 angesammelt, geht das nicht.

Seit Flüchtlingsunterkünfte im Bauamt Vorrang haben, müssen private Bauvorhaben zurückstehen. Mit der Folge, dass sich deren Beschwerden über lange Wartezeiten häufen.

Egal, welche Abteilung des Landratsamts sich um Flüchtlinge kümmert, es gibt immer noch weitere Abteilungen, die zusätzlich befasst sind. Das sind auf jeden Fall die Kämmerei und die Personalabteilung. Aber auch das Gesundheitsamt und das Sozialamt sind häufig eingebunden. Laut Karmasin hat inzwischen der Hälfte der rund 600 Mitarbeiter des Amtes direkt oder indirekt mit Flüchtlingsangelegenheiten befasst. Der Landrat würde, wie er beteuert, gerne neue Stellen schaffen, nur sei das entsprechende Verwaltungspersonal nicht zu finden.

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