Fürstenfeldbruck:Applaus für "Distriktspräsident" Schmetz

Fürstenfeldbruck: Spätestens beim Aufritt der Diappo-Trommelgruppe geht so richtig die Post ab im Gemeinschaftsraum der Asylunterkunft.

Spätestens beim Aufritt der Diappo-Trommelgruppe geht so richtig die Post ab im Gemeinschaftsraum der Asylunterkunft.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Bei der Weihnachtsparty bereiten 500 Bewohner der Asyl-Erstaufnahmestelle Brucker Politikern einen warmen Empfang

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Es ist keine Seltenheit, dass im Stadtrat aneinander vorbei geredet wird, dass man sich nicht versteht und sich vielleicht auch gar nicht verständigen will. Aber das ist neu: Nach jedem Satz muss Zweiter Bürgermeister Erich Raff (CSU) am Montagabend eine lange Pause einlegen. Dann wird der deutsche Satz ins Arabische übersetzt. Dann ins afghanische Farsi. Dann ins Französische. Raff steht freilich auch nicht vorne im Brucker Rathaussaal, sondern im Gemeinschaftsraum der Asylbewerber-Erstaufnahmestelle am Fliegerhorst. Und er begrüßt die wohl an die 500 erschienenen Gäste zu der von der Stadt ausgerichteten Weihnachtsfeier.

Naja, Weihnachtsfeier. Eigentlich ist das alles eher eine große, laute, bunte Party. Denn die meisten der Bewohner sind Muslime und haben Weihnachten in ihrer Heimat gar nicht gefeiert. Weil sie aber nach der meist langen und entbehrungsreiche Reise nun mal ins vorweihnachtlich gestimmte Bruck gelangt sind, will ihnen die Stadt ein deutliches Zeichen geben, dass sie hier willkommen sind. So ähnlich sagt das auch Raff und wünscht "alles Gute auf Ihrem weiteren Weg". Niemand versteht ihn, dennoch gibt es noch vor der Übersetzung einen donnernden Applaus. Na also, Botschaft angekommen. Für die vielen Stadträte, die mal eben in die Rolle des Türstehers und Parkwächters (Andreas Ströhle, Piraten) oder der Bedienung (Beate Hollenbach, CSU) geschlüpft sind, ist es ein kaum kalkulierbarer Besuch. Ebenso wie viele Mitglieder des Brucker Jugendrats stehen sie den gut 50 an diesem Abend vertretenen Asylhelfern und Caritas-Mitarbeitern zur Seite. In der Unterkunft, in der nach einigen Abverlegungen derzeit statt der geplanten 1600 lediglich 700 Flüchtlinge wohnen, gelten andere Regeln als in dem streng nach Fraktionen sortierten Stadtrat. Wo überdurchschnittlich viele junge Männer aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen auf engem Raum zusammenleben müssen, bleiben Konflikte nicht aus. Das wird auch an diesem Abend deutlich, als einer der Bewohner in bester Absicht ein mit Bechern voller Wasser, Schorle, Cola und Kinderpunsch gefülltes Tablett über die Köpfe der Umstehenden balancieren will und dabei alles herunterpurzeln. Einen Moment lang sieht es aus, als werde die Stimmung kippen und alles in eine handgreifliche Auseinandersetzung münden. Letztlich beruhigen sich die Gemüter aber wieder, die Sicherheitsleute brauchen nicht einzugreifen. Und so drängen sich bald schon wieder die Bewohner in ausgelassener Stimmung ganz dicht um die auftretenden Musikgruppen, die Politiker sowie weitere Gäste, darunter der evangelische Dekan Stefan Reimers, TuS-Präsident Herbert Thoma und Mediziner Werner Kainzinger.

Dass die ersten Reihen alles mit ihren dutzendfach gezückten Smartphones dokumentieren, verhilft auch den hinteren Reihen zu einer willkommenen "Liveübertragung" auf den Displays. Ulrich Schmetz (SPD), der in seiner Funktion als Stellvertretender Landrat da ist und mit Anzug und Krawatte aus der bunt gekleideten Schar heraussticht, wird von Organisator und Integrationsreferent Willi Dräxler (BBV) der Einfachheit halber gleich als "our President from the District" vorgestellt. Als Distriktspräsident "einer Weltstadt" - denn wer so international aufgestellt ist, der hat dieses Prädikat verdient. Dafür sprechen auch die Dolmetscher Jeanne-Marie Sindani (früher Kongo) , Jamal Farani (früher Afghanistan) und Alaa Shahen (früher Syrien), die alle teils seit vielen Jahren in Bruck zu Hause sind. International ist auch das Musikprogramm, das vom Hattenhofer Blechbläserquartett über die Sängerin Lisa Rubin und die Dreadful Greats bis hin zu den Trommlern von Diappo und den Tänzerinnen der Grupo de Dancas Cusiraymi reicht. Die Nachfrage nach den 1400 vom AEZ gespendeten Lebkuchen bleibt hinter den Erwartungen zurück. Vielleicht weil die in arabischen Ländern so bekannt sind wie Weihnachten. Vergangenes Jahr habe man ähnliche Erfahrungen mit Stollen gemacht, so Dräxler, der aber ausdrücklich die Sponsoren lobt, zu denen auch Sparkasse, Stadtwerke und BBV zählen.

Lange bevor die Sause gegen 23 Uhr ausklingt, blickt ein Mann staunend auf die musikalische Landschaft aus Trompeten, Posaune und Tuba. Er kommt aus Uganda. "Solche Instrumente habe ich noch nie gesehen." Macht nichts - trotzdem schön! Aber was heißt "O du Fröhliche?" Da wird deutlich: Der Weltstadt Bruck fehlt noch ein Swahili-Übersetzer.

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