Erinnerungen an das Olympia-Attentat 1972:Als die Medaille nur noch ein Stück Blech war

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Der Judoka Paul Barth gewann bei den Olympischen Spielen 1972 eine Bronzemedaille. Nach der Geiselnahme der elf israelischen Sportler sitzt der damals 26-Jährige nur wenige Hundert Meter weiter mit seinen Mannschafts­kollegen schockiert in der Unterkunft fest

Von Florian J. Haamann, Gröbenzell

Für Paul Barth waren die Olympischen Spiele 1972 eigentlich schon vorbei, als am 5. September acht palästinensischen Attentäter elf israelische Sportler als Geiseln nahmen. Und doch hat er die Ereignisse in der Connollystraße im olympischen Dorf miterlebt. Der inzwischen 71-Jährige nahm als Judoka aktiv an den Spielen teil und gewann eine Bronze-Medaille. Seinen letzten Kampf hatte er allerdings bereits am 1. September. Von da an, so erzählt er, habe er nicht mehr im olympischen Dorf geschlafen. "Aber wir hatten ausgemacht, dass ich trotzdem jeden Morgen um sieben Uhr zum Frühstück zum Team stoße. Uns war dieser Zusammenhalt wichtig." Denn außer dem Gröbenzeller Barth hatten fast alle Judokas ihre Wettkämpfe noch vor sich.

Und so machte sich Paul Barth auch am frühen Morgen des 5. September wieder auf den Weg ins olympische Dorf. "Am Haupteingang bin ich schon nicht mehr reingekommen. Das hat mich schon ein bisschen verwundert, aber ich bin dann ein Stück weiter gegangen, und dort hat man mich mit meinem Ausweis durchgelassen. Ich bin dann in die Unterkunft, und da saßen die anderen schon alle vorm Fernseher. Als ich realisiert habe, was da läuft und was direkt bei uns im Dorf passiert ist, war das natürlich ein Schock", erinnert sich der damals 26-Jährige.

Der Münchner Paul Barth gewann bei den Olympischen Spielen 1972 die Bronzemedaille in der Sportart Judo. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Gemeinsam mit dem Rest der Mannschaft habe er dann den kompletten Tag in der Unterkunft verbracht. Auch am Abend habe er das Haus nicht verlassen dürfen,ist die ganze Nacht dort geblieben. "Die Unterkunft der israelischen Sportler war zwar in Sichtweite von uns, aber doch ein paar Hundert Meter weg. Von unserem Zimmer aus haben wir also kaum etwas erkannt. Was wir mitbekommen haben, haben wir eigentlich alles nur im Fernsehen gesehen", so Barth. Nach draußen habe sich freilich auch niemand getraut, das ganze Gelände sei geräumt gewesen. "Wir haben viel miteinander geredet, etwa darüber, was die Polizei nun tun könnte und wie es wohl mit den Spielen weiter geht. Wir waren uns eigentlich sicher, dass nur dann weiter gemacht wird, wenn es glimpflich ausgeht."

Als dann die ersten dunklen und verwackelten Bilder aus Fürstenfeldbruck im Fernsehen zu sehen waren, hätten einige gar nicht glauben wollen, dass es stimmt und alle Geiseln tot sind. "Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass die vielleicht weg fliegen und dann verhandelt man. Und irgendwann gibt es doch noch einen Austausch, vielleicht gegen Geld". Aber so ein Drama, nein, das habe man sich einfach nicht vorstellen können. "Wir Sportler hätten vorher auch nie damit gerechnet, dass jemand so skrupellos ist und die Olympischen Spiele angreift, dieses friedliche, fröhliche Fest. Heute wissen wir natürlich, dass Terroristen vor gar nichts zurückschrecken".

Paul Barth mit Bronzemedaille 2017 in seinem Garten in Gröbenzell. (Foto: Carmen Voxbrunner/Archiv)

Schon sehr früh habe er das Gefühl gehabt, dass seine Medaille überhaupt keinen Wert mehr habe. "Was hat so ein Stück Blech schon für eine Bedeutung, wenn gerade Menschen gestorben sind", sagt Barth. Heute ist er dennoch stolz auf das, was er damals geleistet hat. Die Medaille hängt in einem kleinen Glasregel in seinem Haus in Gröbenzell, gemeinsam mit denen seiner anderen nationalen und internationalen Erfolge. 1969 und 1971 belegte er einen fünften Platz bei der Weltmeisterschaft. Eine Medaille in München war also durchaus zu erwarten.

Daran, dass die Sportler nach dem Anschlag eine spezielle psychologische Betreuung erhalten haben, kann sich Barth nicht erinnern. "Ich glaube, so was gab es damals nicht. Man hat mit den Trainern geredet, die einem gesagt haben, dass man die Ereignisse erst mal wegdrängen soll. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich weiß nicht, ob ich das damals geschafft hätte." Und auch wenn anfangs einige Mannschaftskollegen skeptisch gewesen seien, so sei man sich doch schnell relativ einig geworden, dass es richtig ist, die Spiele zu Ende zu bringen und sich dem Terror nicht zu beugen.

Zu den Schätzen gehören Filmrollen vom DDR-Fernsehen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Und auch wenn mit den Anschlägen das Schöne und der Spaß schlagartig zerstört waren, die Spiele haben Barth bis heute nicht losgelassen. Direkt danach haben einige Sportler einen Olympia-Stammtisch gegründet, den es bis heute gibt. Regelmäßig treffen sich ehemalige Teilnehmer und manchmal auch andere Sportler, nicht nur die von 1972, zu gemeinsamen Aktivitäten. Bei einem dieser Abende sei die Idee entstehen, für die sich Barth seit einigen Monaten intensiv einsetzt: In München ein Museum für die Spiele von 1972 zu errichten. Emsig sucht er nach Exponaten, mittlerweile melden sich auch Sammler bei ihm und bieten ihm etwas an. Seine neuste Errungenschaft ist ein Rennrad. Nun will er versuchen herauszufinden, wer damit gefahren ist. Einer seine Schätze sind mehrere originale Filmrollen des DDR-Fernsehens, die er von Dietmar Hötger geschickt bekommen hat. Denn der hat einmal seine eigene Bronzemedaille verliehen und nie wieder bekommen. Als Barth davon hörte, ließ er seine Medaille in einer Prägeanstalt nachmachen und schenkte Hötger die Kopie. Die Filmrollen sind der Dank dafür. Barths Hoffnung ist es, dass bis zum 50. Jubiläum der Olympischen Spiele 2022 das Museum steht.

Noch etwas habe es damals gegeben, fällt Barth plötzlich ein, was sich durch den Anschlag für ihn persönlich geändert habe. Nach seinem Erfolg habe Franz Josef Strauß ihn und seine Frau zu einem Essen auf dem Olympiaturm eingeladen. "Nach der Tragödie war daran natürlich nicht mehr zu denken." Nachgeholt habe man das Essen nicht. Dafür habe Strauß ein Paket geschickt - mit einer Kiste Krimsekt.

© SZ vom 07.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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