Emmering:SPD-Kreisverband übt Selbstkritik

Emmering: Thomas Beyer, der Vorsitzende des AWO-Landesverbands, findet in seiner Rede deutliche Worte.

Thomas Beyer, der Vorsitzende des AWO-Landesverbands, findet in seiner Rede deutliche Worte.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Beim Unterbezirksparteitag werden Wege gesucht, Wähler zu gewinnen

Von Julia Bergmann, Emmering

Man hat ja gewusst, wen man sich mit Thomas Beyer zum SPD-Unterbezirkstag eingeladen hat. Das räumt der Kreisvorsitzende Michael Schrodi am Ende eines kritikreichen Abends im Emmeringer Bürgerhaus ein. Die Entscheidung für den Referenten sei aber gerade deshalb ganz bewusst gefallen. Der Vorsitzende des AWO-Landesverbands Bayern ist dafür bekannt, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Am Dienstagabend waren es vor allem diese: Die SPD habe ihre Kernkompetenz, die Sozialpolitik, aus den Augen verloren und die Wähler nach und nach ihr Vertrauen in die Volksvertreter. So begann Beyer seinen Vortrag, der eine Antwort geben sollte auf die Frage "Wie können wir unsere Gesellschaft wieder solidarischer und gerechter gestalten?"

Kritisch zeigt sich aber auch Schrodi selbst. Er zitiert die Ergebnisse der "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung und mahnt: "Wir müssen uns mit einer zunehmenden Polarisierung und Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft auseinandersetzen." Grund dafür sei, dass diejenigen, die sich abgehängt fühlten, ihr Heil in rechtspopulistischen Lösungen suchten. Vor diesem Hintergrund findet Schrodi, die SPD dürfe sich nicht darauf versteifen, nur vor der AfD zu warnen. Man müsse selbst etwas anbieten, sich etwa für eine "Renaissance der gesetzlichen Rente" einsetzen, der gerechteren Vermögens- und Einkommensverteilung widmen und sozialen Wohnungsbau fördern.

Ein Programm, das an der Lebensrealität der Bürger anknüpft, fordert auch Beyer: "Ich finde, die Zeiten, wo wir als Genossinnen und Genossen darum herumreden können, sind vorbei", sagt er und erntet dafür bei den rund 60 Anwesenden Applaus. "Wir müssen auch sehen, was daran unser eigener Anteil ist", mahnt er. Gemeint ist die steigende Unzufriedenheit der Wähler. Gerade vor dem Hintergrund, dass Rechtspopulisten in Europa erstarken, müsse die SPD überlegen, wie sie mit den Wählern umgehen wolle. "Wir brauchen eine Politik, die die ganz normalen Menschen mit ihren Alltagssorgen ernst nimmt und sie auch ernst nehmen will", fordert er.

Beyer prangert soziale Missstände an, spricht unter anderem von der steigenden Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, unbezahlbaren Mieten und von den 1,7 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Bayern. Es müsse wieder selbstverständlich werden, dass jeder, der den ganzen Tag arbeite, davon leben könne, sagt er und fordert, die SPD solle sich dafür einsetzen, dass das Rentenniveau nicht weiter sinke. Die Arbeitnehmer bräuchten wieder eine starke Interessensvertretung, meint er und wirft die Frage in die Runde: "Warum hat die SPD aufgehört, das zu sein?" Beyer versucht, auch darauf eine Antwort zu finden und erinnert an das Schröder-Blair-Papier, das er als "klare Absage an den vorherigen Weg der Sozialdemokraten" bezeichnet, und an die Folgen der Hartz-Gesetze.

Schließlich fordert Beyer auch: "Die Politik muss die Perspektive wechseln." Wie komme es wohl bei einer Alleinerziehenden an, wenn sie aus den Medien hört, dass das Kindergeld um zwei Euro erhöht wird? "Das ist ein Wahnsinn. Entschuldigung, dann lass ich's lieber", sagt Beyer, deutlich erregt. Freilich müsse die SPD solche Forderungen gegen harten Widerstand des Koalitionspartners durchsetzen und am Schluss Kompromisse eingehen. Doch in jenem Fall könne sich eine Alleinerziehende doch nur auf den Arm genommen fühlen.

Während der anschließenden Diskussionsrunde gibt es auch Mahnungen aus dem Publikum. So gibt etwa Klaus-Dieter Schiffauer aus dem Germeringer Ortsverein dem Kreisvorsitzenden eine Bitte mit auf dem Weg, sollte er nach Berlin gehen: "Keine Eloquenz und kein elitäres Verhalten." Das nämlich käme beim durchschnittlichen Wähler nicht mehr an.

Der Puchheimer Bürgermeister Norbert Seidel indes hat ganz andere Sorgen. Angesichts des aktuellen Erstarkens der AfD habe er immer größere Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit einigen seiner Bürgern: Ich merke, ich komme nicht mehr an sie ran", sagt er. Manche glaubten nur noch an Lügen, weil sie sich eine einfache Lösung ersehnten. "Wie kriege ich die wieder?", will Seidel wissen. Ein Patentlösung, räumt Beyer ein, könne auch er nicht bieten. Doch er findet, dass viele, die zuvor lange nicht mehr an die Wahlurnen gekommen sind, jetzt zumindest wieder über Politik sprechen. Das sei auch eine Chance, sie zu erreichen. "Die größte Gefahr ist jetzt, dass wir Menschen, die sich politisch wieder öffnen, beiseite schieben, weil sie sich für die falsche Partei entschieden haben", sagt er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: