Eltern-Kind-Gruppe:Kontaktbörse für Neuankömmlinge

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In der deutsch-arabischen Eltern-Kind-Gruppe wird geredet, gespielt und gefrühstückt. Mütter können so Anschluss finden und rasch Deutsch lernen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

In Fürstenfeldbruck gibt es eine deutsch-arabische Eltern-Kind-Gruppe. Deren Besucher sollen vor allem die Gelegenheit erhalten, rasch die deutsche Sprache zu erlernen

Von Anna Landefeld-Haamann, Fürstenfeldbruck

Sorgsam faltet Rike Sindbert die zerfledderte Weltkarte auseinander. Das Letzte, was das abgegriffene, klebebandgeflickte Stück Papier jetzt noch gebrauchen kann, sind patschende Kinderhände. "Unsere Weltkarte", sagt die Sozialpädagogin mit ungewollt feierlichem Unterton. Aber immerhin ist die Karte auch Teil eines Rituals: Zeige den anderen, woher du kommst. Jeder muss das tun, der zum ersten Mal die deutsch-arabische Eltern-Kind-Gruppe "Let's play" in der Brucker Elternschule besucht. Syrien, Tunesien, Ägypten, Deutschland - diese Länder sind bereits mit einem Punkt markiert. Nancy M. (sie möchte ihren Namen nicht nennen) ist neu dabei und etwas schüchtern. Auf ihrem Schoß strampelt Sohn Demian, sieben Monate alt. "Ich komme ursprünglich aus Sachsen. Ich finde es schön, mal eine andere Kultur kennen zu lernen", sagt sie und schaut unsicher. Die anderen Eltern im Sitzkreis nicken ihr freundlich zu. Währenddessen interessieren sich die krabbelnden und rennenden Kinder nur wenig dafür, woher ihre Spielkameraden genau kommen.

Seit Februar treffen sich Deutsch und Arabisch sprechende Eltern und Kinder. Regelmäßig kommen bis zu fünf Erwachsene, meist Mütter. Die Kinder sind zwischen null und drei Jahren alt. Bei Tee und Frühstück sollen sich die Eltern austauchen: über Kindererziehung, über das neue Leben in Deutschland. Die Kinder dürfen singen, spielen und werden so mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut gemacht. Erfahrung damit haben die Mitarbeiter der Elternschule allemal: "Unsere Treffs, von der Schreibabyberatung bis zur Bastelgruppe, sind schon immer sehr bunt gemischt", sagt Rike Sindbert.

30 verschiedene Nationalitäten hat sie einmal in einem der anderen offenen Treffs gezählt. Für Sindbert kein Problem. Sie ist in einem multikulturellen Viertel in Nürnberg aufgewachsen und war dort bei der Stadtmission tätig. "Für mich ist die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen nie belastend. Im Gegenteil: Sie bereichert mich", sagt Sindbert. Seit November koordiniert sie alle Gruppen in der Elternschule West und entwickelte auch das Konzept für den deutsch-arabischen Frühstückstreff, bei dem die deutsche Sprache im Mittelpunkt steht.

Still sitzt Eman S. am gedeckten Frühstückstisch. Ihre Finger sind mit goldenen Ringen besetzt. Für heute hat sie Falafel und Schokoladenrührkuchen mitgebracht und eine Kanne "arabischen Tee", Schwarztee mit Minze. "Ich hatte Angst, dass mein Deutsch zu schlecht ist", erzählt Eman S., die vor über vier Jahren aus Ägypten nach Bruck kam. Eine Freundin überredete die Mutter von drei Kindern schließlich, auch mal vorbeizuschauen.

Frauen wie Eman S. gibt es einige im Brucker Westen. Sie sollen durch das Angebot erreicht werden - aber auch Männer: "Diejenigen die schon länger hier leben genauso wie die, die gerade erst hier angekommen sind", sagt Sindbert. Dafür plakatierte man gezielt an den Orten in Bruck, an denen sich arabisches Leben abspielt: Moscheen und der türkische Supermarkt im Neubaugebiet um den Sulzbogen. Dort wohnen die meisten Familien, dort hat auch die Elternschule West ihren Sitz. Das Wichtigste sei, sagt Sindbert: Begegnung mit anderen.

Nour Nabhani aus Syrien ist eine, die aus ihrer Wohnung rauskommen will. 16 Monaten ist sie in Deutschland und besucht auch andere Treffs der Elternschule. Irgendwann fragte Rike Sindbert sie, ob sie nicht mithelfen wolle beim Dolmetschen, beim Raussuchen von arabischen Liedern und Geschichten. "Ich wäre sonst nur in der Wohnung. Ich brauche den Kontakt mit anderen", erzählt die 27-jährige Mutter auf Deutsch. In Syrien hat sie Wirtschaft studiert, hat einen Master in Steuerrecht. Ob sie wieder in ihrem alten Beruf arbeiten wird, weiß sie nicht. Noch nicht einmal, ob ihre Ausbildung in Deutschland überhaupt anerkannt wird. Momentan könne sie ohnehin nicht Vollzeit arbeiten. Ihr Sohn geht erst ab Herbst in den Kindergarten. Die zwei Stunden am Dienstagvormittag in der Elternschule, die Arbeit hier machen ihr Freude. "Auf jeden Fall wollen wir Nour intern weiterbilden", sagt Sindbert und wirft ihrer Kollegin mit dem Kopftuch und den rotgeschminkten Lippen einen anerkennenden Blick zu.

Über kulturelle Unterschiede redet man hier offen. Wenn der pädagogische Teil für die Kinder mit Buchvorlesen, Liedersingen und Schwungtuchspielen vorbei ist, beginnt die Erwachsenenzeit. Dafür bereitet Sindbert immer ein paar Themen vor, über die sich die Gruppe unterhalten kann. Wie feiert man Ostern in Deutschland? Und was hat es mit dem Fasching auf sich? Warum fasten Muslime im Ramadan? Aber auch über Impfungen oder Stillen haben sie schon geredet. "Manchmal entwickelt sich das Gespräch auch in eine vollkommen andere Richtung", sagt Rike Sindbert. Ganz schnell sei man in Religions- und Moralfragen drin. Unter anderem ist das Thema Partnerfindung angeregt diskutiert worden. Nur auf diese Weise aber baue man eben Vorurteile ab, verstehe den anderen dann vielleicht ein bisschen besser, sagt Sindbert.

"Mir ist es wurscht, woher jemand kommt und woran jemand glaubt", sagt der 41-jährige Bernd L. Der selbsternannte "Hahn im Korb" aus Jesenwang - er ist an diesem Tag der einzige Mann - kümmert sich an seinen freien Vormittagen um Tochter Johanna und hat keine Lust, zu Hause zu hocken. "Mein österreichischer Vater hat ja quasi auch einen Migrationshintergrund", sagt er und schlürft weiter seinen Kaffee.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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