EInsatz in Afghanistan:"Wir gehen unsere Patienten schießen"

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Sanitätssoldaten sind zur Neutralität verpflichtet. Christiane Ernst-Zettl aber hat das in Afghanistan anders erlebt

Karl-Wilhelm Götte

Soldaten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Befehl und Gewissen. Doch die Reihenfolge ist vorgegeben: Erst muss ein Soldat einen Befehl ausführen, danach kann er sich beschweren. Das gilt offenbar bei der Bundeswehr auch dann, wenn der Befehl rechtswidrig ist. Mit diesem Thema beschäftigten sich die rund 50 Gäste am Freitagabend beim Neujahrsempfang der Puchheimer SPD in der Aula der Schule Süd. Die Sanitätsunteroffizierin Christiane Ernst-Zettl berichtete von ihren Erfahrungen bei Einsätzen in Afghanistan und von einem Disziplinarverfahren, das die Bundeswehr gegen sie angestrengt hatte.

Christiane Ernst-Zettl im Gespräch mit Moderator Herbert Kränzlein. (Foto: Günther Reger)

Ihren ersten Afghanistan-Einsatz hatte Ernst-Zettl 2004 absolviert. Im Gespräch mit dem ehemaligen Puchheimer Bürgermeister Herbert Kränzlein (SPD) schilderte die gelernte Arzthelferin ihre Erfahrungen als Einsatzführerin einer medizinischen Operationsgruppe im deutschen Camp. Die inzwischen 42-Jährige ist seit 1991 Berufssoldatin. Als für den Sicherungsdienst des Camps die Soldaten knapp wurden, habe der Sicherungszugführer Sanitätssoldaten ans Maschinengewehr zur Feindbekämpfung abkommandiert. Ernst-Zettl wusste jedoch, dass ihr Vorgesetzter diesen Befehl so nicht ausführen durfte und stellt ihm folgende Frage: "Was sagen sie den Eltern oder der Ehefrau, wenn dieser Mann erschossen wird?" Sanitäter seien keine kämpfenden Soldaten, sondern müssten ihren humanitären Auftrag erfüllen. "Wir sind laut Völkerrecht zur Neutralität verpflichtet", so Ernst-Zettl. "Wie Militärpfarrer tragen auch Sanitäter eine Waffe, aber die ist ausschließlich zum Selbstschutz oder zum Schutz zu behandelnder verletzter Soldaten einzusetzen." Normalerweise behandelte der Sanitätsdienst im Camp kranke oder verletzte Soldaten, aber auch afghanische Zivilisten.

Allein die Frage an den Vorgesetzten, ob er sicher sei, den Befehl so ausführen zu dürfen, brachte der Frau aus dem sächsischen Löbau ein Verfahren beim Truppendienstgericht ein. "Ich hätte meinen Vorgesetzten mit der Frage verunsichert, war der Vorwurf", sagte Ernst-Zettl. Das Militärgericht prüfte sogar, ob Gehorsamsverweigerung vorgelegen hätte. "Das konnte man mir dann doch nicht nachweisen", erzählte Ernst-Zettl, die zurzeit im Sanitätsamt der Bundeswehrverwaltung in München Dienst tut. Vom Truppendienstgericht wurde sie zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt. "Dazu wurde mir aufgrund meiner Frage ein 'bedenklicher Charakter' bescheinigt", ergänzte sie.

"Den Vorgesetzten hätte dieser Vorgang disqualifizieren müssen, nicht den Frager", kommentierte ein empörtes SPD-Mitglied das Gehörte. Andere Redebeiträge gingen in die gleiche Richtung. Christiane Ernst-Zettl, die zurzeit auch Bezirkspersonalrätin ist, fand sowohl beim Bundesverwaltungsgericht als auch bei Politikern kein Gehör. "Das ist die traurige Wahrheit", gestand sie in Puchheim frustriert. Nur der Humanistischen Union sei ihr Eintreten für das Völkerrecht eine Auszeichnung wert gewesen. 2009 war Ernst-Zettl erneut in Afghanistan. Damals sei ihr und ihren Kameraden per mündlichem Befehl der "Infanteristenstatus verliehen" worden. "Wir gehen unsere Patienten schießen", erinnerte sie sich an die sarkastischen Äußerungen der Sanitätssoldaten, die an die Waffe abkommandiert wurden. Die Konsequenz sei gewesen, dass sich das Deutsche Rote Kreuz (DRK) von der Bundeswehr in Afghanistan distanziert habe. Puchheims Bürgermeister Norbert Seidl (SPD), der die Diskussion leitete, fand es gut, dass sich seine Partei mit diesem Thema beschäftigte. SPD-Landtagskandidat Kränzlein versprach, die Bundestagsabgeordnete Susanne Kastner (SPD), die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag ist, in dieser Sache anzusprechen. "Das ist ein handfester Skandal", stellte er unter dem Applaus der Zuhörer fest.

© SZ vom 21.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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