Ehrung:Sonette im Kopf

Breuer-Abend

Irmgard Köhler-Langewiesche (links) und Ingeborg Keil unter dem Bild von Herbert Bräuning in der Blackbox.

(Foto: Günther Reger)

Germering erinnert an den Schriftsteller Herbert Bräuning

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Was hält ein Leben aus? Kriegsteilnahme mit 18 Jahren, Nachkriegsentbehrungen, drei Jahre im Zuchthaus und am Ende des Lebens völlig blind. Herbert Bräuning starb 2014 mit 93 Jahren in Germering. "Er war Schriftsteller, Journalist und Lyriker", ordnete die Germeringer Chronistin Irmgard Langewiesche-Köhler ihn bei einer Veranstaltung des Germeringer Stadtmuseums vor 30 Besuchern in der "Blackbox" der Stadthalle ein.

400 Gedichte hat der in Kassel geborene Bräuning in der Zeit von 1938 bis 1958 verfasst. Neben seinem lyrischen Werk schrieb er auch zehn Romane, darunter einen Krimi, ein Jugendbuch und "Der Charme des Zufalls", in dem er sich als Büchner-Fan outete. Er hatte Theaterwissenschaften, Deutsch und Romanistik studiert und betätigte sich als Verlagslektor und literarischer Übersetzer englischer und französischer Texte. Verhaftet wurde er Bräuning in Ostberlin zusammen mit seiner Frau 1956. Vorgeworfen wurde ihnen sogenannte "Boykotthetze" und Kontakte zur SPD in Westberlin. "Wir hätten mit dem Staatsfeind Kontakt aufgenommen", schilderte Bräuning den Hauptanklagepunkt der DDR-Justiz gegen ihn und seine Frau in einem Video des Münchner Film- und Videoklubs (MFVC). Aufgenommen wurde das Interview mit Bräuning, das Barbara Schönfelder, die Leiterin des Stadt- und Regionalmuseums Eberswalde führte, im Jahre 2012. "Die hatten in der DDR einen Komplex", sagte Bräuning im Film, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns."

Herbert Bräuning musste drei Jahre Haft im berüchtigten Ostberliner Stasigefängnis Hohenschönhausen und im Zuchthaus Brandenburg absitzen. Seine Frau war zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Beide wussten während der Haftzeit wenig voneinander. Persönlicher Kontakt war nicht erlaubt, nur jedes Vierteljahr war ein Brief möglich. Die letzten Monate sperrte man ihn in Einzel- und Dunkelhaft ein. "Die haben mich drei Monate im Keller schmoren lassen." Da hatte er schon 28 Sonette im Kopf "geschrieben". Papier und Stift bekam er nicht, so lernte er seine 28 Gedichte à 14 Zeilen auswendig. In Zuchthaus Brandenburg hat er dann die Gedichte ständig rekapituliert und vor sich hin gemurmelt, um sie nicht zu vergessen. "Mitgefangene haben gedacht, ich hätte einen Klaps, aber ich war in meiner eigenen Welt", sagt Bräuning. Der Germeringer, der er seit 1972 war, erzählte im Video die schlimmen Erlebnisse, die 54 Jahre zurücklagen, nicht mit Verbitterung; eher unterstützt ein ständiges Lächeln seine Worte.

"Ihn interessierten die Menschen am Abgrund", erläuterte Langewiesche-Köhler, "in politischer und psychischer Hinsicht." Als Bräuning aus der DDR-Haft nach Hause kam, schrieb er die 28 Gedichte umgehend auf. "Da war wie eine Erlösung", sagte er, "das war ja auch ein Ballast für mich." Die Gedichte in der Haftzeit erzählen vom Eingesperrtsein, dem verpassten Maienblühen draußen, der Sehnsucht nach Freiheit und der Anklage der damals Mächtigen. "Tag für Tag sollte euch unser Schweigen im Ohr des Vergessens gellen", heißt es in einer Strophe. Ingeborg Keil trug eine Gedichtauswahl Bräunings vor. Während des Krieges konnte Bräuning 1941 eher unverfängliche Gedichte veröffentlichen. Als Soldat in Rouen in Frankreich klagte er später auch an: "Immer wieder sprühen Flammengarben, wenn Haus um Haus zusammenfällt, das Gesicht der Stadt grausam entstellt."

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