Deutsch-Deutsche Geschichte:Das System DDR

Die Fernsehjournalistin Edda Schönherz berichtet beim Zeitzeugen-Gespräch von ihrem Kampf gegen den Unrechtsstaat. Weil sie ihre Flucht vorbereitet, verbringt sie drei Jahre im Stasi-Gefängnis und im Zuchthaus

Von Anna Landefeld-Haamann

Edda Schönherz erinnert sich noch genau an jenen Morgen: Es ist der 9. September 1974, ein Montag. Kurz vor 7 Uhr stehen zwölf Offiziere der Staatssicherheit in ihrem Schlafzimmer und fordern sie auf, "zur Klärung eines Sachverhalts" mitzukommen. "Dass es drei Jahre dauern würde, bis dieser Sachverhalt geklärt war, hätte ich nicht gedacht", fasst Schönherz trocken ihre Haftzeit im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen und im Frauenzuchthaus Hoheneck im Erzgebirge zusammen. Eindrucksvoll und bewegend schildert sie am Dienstagabend ihren Kampf gegen den "Unrechtsstaat DDR" den Besuchern des Zeitzeugen-Gesprächs in der Aula des Puchheimer Gymnasiums.

Freiheit, so sagt sie, sei eine ewige Aufgabe. Gerade die Jugend, die in einigen Jahren das Land regieren und führen müsste, sollte vom Leben in einer Diktatur erfahren. "So etwas darf kein drittes Mal passieren", mahnt die Fernsehjournalistin immer wieder während ihres zweistündigen Vortrages. Rund 1000 Einladungen hatte die Schule verschickt - gerade einmal 18 Besucher kamen. Doch den leeren Reihen der Aula zum Trotz: Schönherz' Appell büßt nichts von seiner Bedeutung ein.

Für sie stand nach einem Besuch Ende der Neunzigerjahre in der Gedenkstätte Hohenschönhausen fest, dass auch sie über ihr Leben als Moderatorin im DDR-Staatsfernsehen, ihre Inhaftierung, ihre Begegnungen mit den "grauen Herren" und ihre Ausreise berichten möchte. "Wer, wenn nicht wir, die dabei gewesen sind, können davon erzählen." Solche Gespräche seien viel lebendiger als gewöhnlicher Geschichtsunterricht.

Schönherz ist nie Parteimitglied gewesen, stand dem gesamten "System DDR" kritisch gegenüber. Jahrelang weigerte sie sich als Moderatorin beim Staatsfernsehen auch politische Sendungen zu übernehmen. "Ich fühle mich noch nicht reif dafür", habe sie immer wieder auf Anfragen erwidert. Zum Verhängnis wurde ihr aber schließlich ein Urlaub in Budapest: Im August 1974 erkundigte sie sich in den Botschaften der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten nach Möglichkeiten, die DDR zu verlassen. Eine Woche später standen die Stasimitarbeiter in ihrem Schlafzimmer.

Die Anklage lautete: "staatsfeindliche Verbindungsaufnahme", "Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in besonders schwerem Fall" und "Devisenbesitz". In manchen Fällen genügte bereits ein falsches Wort zur falschen Zeit. In einem blauen Barkas B 1000 mit der Aufschrift "VEB Brot" transportierte man sie ab. Unermüdlich verwies sie in den Verhören darauf, dass es rechtlich nicht verboten sei, die DDR zu verlassen. Verwies immer wieder auf die von Honecker unterzeichnete Schlussakte von Helsinki und auf die Genfer Konvention - vergeblich.

Bis zu sechs Stunden vernahm man Schönherz, sprach sie nur noch mit ihrer Häftlingsnummer "Nr. 2/104" an. Die Hände auf dem Stuhl, unter dem Gesäß. "Sie nahmen mir die Möglichkeit, meine Freiheit mit Händen und Füßen zu verteidigen", beschreibt sie es. "Mit wem haben Sie über Politik gesprochen und wann? Wollen Sie nicht wissen, wie es Ihren Kindern geht?" Die immer gleichen Fragen am Tag, die immer gleichen Geräusche in der Nacht - die trampelnden Wärter, die weinenden Häftlinge. Aller vier Minuten schaltete sich das Zellenlicht an, aller vier Minuten blickte ein Offizier durch den Türspion. "Sie folterten uns psychisch, versuchten uns zu brechen." Viele ehemalige politische Häftlinge litten bis heute an Traumata und Ängsten, so Schönherz. Auch nach ihrer Entlassung im September 1977 hielt sie an ihrem Ausreiseantrag fest. Im Dezember 1979 verließ sie die DDR.

Hass empfinde sie aber nicht. "Ich kann die Vergangenheit nicht mehr ändern. Ich kann nur das Beste aus meiner Gegenwart und Zukunft machen." Auf eine Entschuldigung von den Offizieren, die sie damals abführten, die sie verhört und malträtiert haben, wartet sie - wie so viele - bis heute.

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