SZ-Serie "Dauerbrenner":Die Jahre vergehen, der Verkehr bleibt

Die Bundesstraße 2 spaltet Fürstenfeldbruck und seine Bewohner. Bislang ist noch jedes Konzept grandios gescheitert, mit dem die Ortsdurchfahrt entlastet werden sollte

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Könnte man sagen: Widewidewitt, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt", dann wäre klar: Die Hauptstraße wäre eine Fußgängerzone. Und die Gäste draußen vor dem Restaurant Myra, vor dem edlen Ristorante Nabucco oder all den Cafés und Imbissen könnten die Ruhe genießen, die saubere Luft, den Blick auf die herrschaftlichen Fassaden der Bürgerhäuser. Aber Aytac Cömert ist nicht Pippi Langstrumpf, sondern der Wirt des Myra. Und die Gäste sitzen auf Augenhöhe mit Reifen und Motorhauben und einer endlosen Blechschlange. Diese Straße ist ein Stachel im Fleisch der Urbanität. Die Bundesstraße 2 trennt Bruck wie ein Skalpell in eine westliche und östliche Hälfte. Damit nicht genug: Sie spaltet auch die Fürstenfeldbrucker in zwei Lager. Aber dazu später mehr. Einig sind sich alle immerhin, dass die B 2 eine schwärende Wunde im Herzen der Stadt ist. Einer Stadt, die so gerne ihre Lebensqualität herausstreicht, so gerne wirbt mit kleinstädtischem Flair, mit Fürstenfeld, mit Beschaulichkeit, Weltoffenheit und Lebensqualität. Wie aber geht das zusammen? Lebensqualität und dieser Euphemismus: Die Hauptstraße ist gleichzeitig der Marktplatz. Ein Marktplatz, der nur zweimal im Jahr für Marktstände freigeräumt wird und ansonsten nur fürs Altstadtfest gesperrt wird - und für die Autoschau, was ja wiederum gut zu einer Hauptstraße passt. Der zwar in der Tat gesäumt ist von herrschaftlichen Häusern - oben das prächtige Rathaus, an der Seite das Geburtshaus des Erzgießers Ferdinand von Miller, unten, im Schatten der Sankt-Leonhardskirche die altehrwürdige Amperbrücke. Aber mittendrin: Stau. Stau. Stau. Dass die Brucker die B 2 losbekommen, ist freilich etwa so wahrscheinlich wie die Läuterung Pippi Langstrumpfs zur guten Fee.

Verkehr Hauptstraße

Ein Blick aus dem Fenster des Brucker OB-Büros offenbart die Probleme in der Innenstadt.

(Foto: Günther Reger)

Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, wie das Problem in den Griff zu bekommen wäre. Aber was ist passiert? Nichts. Man tritt auf der Stelle. "Dabei wären bestimmt die meisten Geschäftsleute und Gastronomen hier am Marktplatz für eine Fußgängerzone, einen verkehrsberuhigten Bereich oder eine Tempo-30-Zone", sagt Cömert, der von regelmäßigen Beschwerden der Gäste, die draußen auf dem Trottoir sitzen, berichtet. "Wirklich extrem ist es nachmittags so ab 16 Uhr."

Demo

Gegen die Deichenstegtrasse protestierten Brucker Bürger im Jahr 2008.

(Foto: Günther Reger)

Ende der Achtzigerjahre war es, als ein paar schlaue Leute den Stein der Weisen gefunden zu haben meinten. Sie hatten sich den Stadtplan genommen und erkannt, dass man doch eigentlich nur eine Verbindung vom Landratsamt zur Dachauer Straße schaffen müsste. Eine Art Bypass. Der Verkehr würde dann die Innenstadt links liegen lassen. Da war er geboren, der Begriff der "Deichenstegtrasse", der die Brucker noch so spalten sollte. Denn der Bypass hätte eine Schneise durch die grüne Oase des Stadtparks geschlagen. Auf den Sturm der Entrüstung musste man nicht lange warten. Das war man beim Thema Zentrumsumfahrung freilich schon gewohnt, war zuvor doch bereits die "Hölzl-Trasse", die das Emmeringer Hölzl durchschnitten hätte, in einem Sturm der Entrüstung untergegangen. Im elektronischen Archiv der SZ, das bis 1995 zurückreicht, ist in eben jenem Jahr ein Bericht über das SPD-Wahlprogramm zu finden - unter dem Titel "Klare Absage an die Deichenstegtrasse". Als Alternative brachten die Genossen die Verlegung der Bundesstraße 2 auf eine Südumgehung vor, die über die Fürstenfelder Straße und einen Tunnel von der Rothschwaiger Straße bis zur Balduin-Helm-Straße den Anschluss zur Bundesstraße 471 herstellen sollte. Letztlich lief es aber doch auf die Deichenstegtrasse hinaus. Seit 1995 findet man im SZ-Archiv unter diesem Schlagwort 1207 Einträge. Die Meinungen wogten hin und her. CSU und Freie Wähler waren dafür, SPD und BBV dagegen. Die Geschäftsleute in der Innenstadt waren mal dafür und mal dagegen, weil sie sich vom Durchgangsverkehr ja auch Kunden erhofften. Der damalige OB Sepp Kellerer (CSU) hatte irgendwann die Faxen dicke. Weil er die Mehrheit der Brucker hinter sich glaubte, befürwortete er 2009 nach zwei Bürgerentscheiden ein ultimatives Ratsbegehren - und erlitt dabei überraschend klar Schiffbruch. Einer der gewichtigen Gegenspieler war das Verkehrsforum FFB, das damals wie heute alle Trassen ablehnte. Seither werden kleinere Brötchen gebacken. Man könnte auch sagen: Es herrscht Stillstand. Im Wahlprogramm des heutigen OB Klaus Pleil und seiner BBV tauchte später dennoch eine kühne Umfahrungsvariante auf: Zwischen Emmering und Eichenau sollte eine Verbindung von der B-2-Abfahrt Wagelsried zur Autobahn und B 471 bei Olching geschaffen werden. Weil das teils Naturschutzgebiet ist und die Nachbargemeinden protestierten, verschwand das Konzept nach der Wahl in der Schublade. Dort liegt es neben dem Tunnelprojekt der CSU. Die hatte eine unterirdische Verbindung östlich des Schulzentrums Tulpenfeld bis zur Dachauer Straße vorgeschlagen. Fraktionsvorsitzender Andreas Lohde hatte bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vorgefühlt und von diesem den Tipp bekommen, man möge das doch für den Bundesverkehrswegeplan anmelden. Weil OB Pleil die Kosten auf 150 Millionen Euro schätzte und die Stadt bereits mit dem Eigenanteil heillos überfordert wäre, empfahl er der CSU, sie solle sich doch lieber erst einmal "einen Scheich als Finanzier suchen".

Deichensteg ade

Hochfliegenden Plänen für eine Umgehungsstraße erteilt der Bund erst einmal eine Absage. Für den Entwurf des Verkehrswegeplans, der diese Woche vorgelegt worden ist, hat sich die Stadt mit einer "Durchfahrt der B 2 durch Fürstenfeldbruck", vulgo Deichensteg, nicht mehr beworben. Für die Geltungsdauer des Verkehrswegeplans - bis 2030 - ist die "verkehrliche Entlastung der Stadt" vom Tisch.slg

Seither ruhen die Hoffnungen auf einem kleinen Nenner. Der sieht so aus: Die Bundesstraße 2 wird offiziell auf die Autobahn A 8 verlegt. In der Folge sollen Münchner-, Haupt- und Augsburger Straße zur Gemeindestraße herabgestuft werden. Dann hätte es die Stadt endlich selbst in der Hand, den Marktplatz verkehrsberuhigter zu gestalten. An dieser Stelle kommt wieder jemand ins Spiel, der auch nicht Pippi Langstrumpf heißt, sondern Stefan Meier. Der arbeitet im Bauamt Freising. Ja, bestätigt dieser diplomatisch, Gespräche mit der Stadt habe es just vergangene Woche gegeben. Aber nein, so einfach sei das mit der B-2-Verlegung nicht. Mag der hausgemachte Verkehr auch wirklich bei den von Verkehrsreferent Axel Lämmle (SPD) genannten 85 Prozent liegen und damit der reine Durchgangsverkehr gering sein, so handele es sich dennoch um eine Verkehrsverbindung überörtlicher Bedeutung. Nun könnte die Stadt auf eine andere Karte setzen: Wird die marode Amperbrücke nicht neu gebaut, dann muss die Tonnagebeschränkung über kurz oder lang verschärft werden und zumindest der Schwerverkehr könnte nicht mehr durch dieses Nadelöhr ins Zentrum schlüpfen. Schon richtig, sagt Meier. Aber irgendwann dürfen dann auch die städtischen Busse nicht mehr drüber. So also geht's auch nicht.

Auf absehbare Zeit bleibt nur, hausgemachten Verkehr zu reduzieren - durch den Umstieg auf Bus und Rad, und die neuen Möglichkeiten auszuschöpfen, Tempo 30 für Innerortsstraßen einzuführen. Man könnte zudem das von Thomas Brückner vom Verkehrsforum FFB vorgelegte Konzept aus der Schublade holen, das rund um die Hauptstraße Einbahnstraßen und verkehrsberuhigte Bereiche vorsieht. Es bliebe noch eine Variante: Die Verkehrsführung über die Oskar-von-Miller-Straße. Doch die hätte möglicherweise ähnliche politische Sprengkraft wie die Deichenstegtrasse und wäre damit vielleicht eher etwas für den Werkzeugkoffer der rothaarigen, auf Krawall gebürsteten Romanfigur von Astrid Lindgren.

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