Bürgerbeteiligung:Mitmachpolitik

Die Kommunen und der Freistaat bieten den Bürgern bei viele Gelegenheiten an, ihre Sicht der Dinge und Ideen einzubringen. Doch allzu oft bleiben als praktikabel erscheinende Vorschläge unberücksichtigt oder gehen bis zur Entscheidung unter

Von Heike Batzer, Peter Bierl, Florian Haamann, Ariane Lindenbach, Stefan Salger und Erich  C. Setzwein

Sie reden gern mit, sie haben viele Ideen, sie wollen mitentscheiden. Die Bürger im Landkreis sind am politischen Geschehen interessiert und halten nach der Wahl ihres Gemeinde- oder Stadtrates nicht sechs Jahre die Füße still. Das drückt sich nicht nur in den 33 Bürgerentscheiden aus, die es seit der Einführung dieses Demokratieinstruments 1995 gegeben hat. Immer häufiger wollen die Kommunalpolitiker möglichst transparente Planungen und laden die Bürger zur Diskussion ein. Raus kommen dabei mehr oder weniger gut besuchte Workshops, auch werden Umfragen gestartet, und all diese Meinungsbilder sollen in die Abstimmung einfließen. Die Bayerische Staatsregierung tut das bis zu diesem Wochenende auch noch. Zum zweiten Mal seit 2008 lädt sie die Bürger zu einem digitalen Dialog ein, dieses Mal unter dem Motto "Bürgergutachten 2030 - Unser Bayern. Chancen für alle" ein. Inwieweit diese "Bürgerkonferenzen" die Regierungsarbeit in den kommenden zwölf Jahren beeinflussen kann, ist nicht absehbar. Auch im Landkreis Fürstenfeldbruck sind die Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger vielfältig. Wenn sie nicht von sich aus in einem Begehren oder einer Petition ihre Meinung sagen, werden sie von den Kommunen geradezu ermuntert, es zu tun.

Eichenau: Sondersitzung Gemeinderat / Bebauung ALTES Feuerwehr-Gelaende

Dass Bürger bei Planungen gerne mitreden, zeigte sich auch in Eichenau.

(Foto: Johannes Simon)

Radwegekonzept

Der Landkreis ruft seine Bürger momentan dazu auf, sich bei der Optimierung des Radwegenetzes aktiv einzubringen, vier Wochen lang läuft vom kommenden Montag an die Bürgerbeteiligung. Die Bürger können dabei Informationen zur Befahrbarkeit der Strecken geben, auf Mängel und Gefahrenstellen hinweisen und Wünsche äußer. Die Informationen sollen in das Konzept einfließen. Als sich der Landkreis an die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention machte und einen Aktions- und Teilhabeplan auf den Weg brachte, hatte er vor anderthalb Jahren die Bürger über eine Internet-Umfrage zum Thema Inklusion einzubinden versucht. Auch für seine Struktur- und Potenzialanalyse hatte er Workshops für die Bürger eingerichtet.

Neue Straßennamen

Die BBV kniff. Statt eine Entscheidung über Straßen mit braunen Namensgebern zu treffen, verwies OB Klaus Pleil (BBV) im Sommer 2015 auf die Anwohner. Sie sollten in eigens einberufenen Versammlungen über die belasteten Straßenpatrone informiert werden und ihre Meinung äußern. Die meisten lehnten eine Umbenennung ab, einige wegen des Aufwands und der Kosten, manche, weil sie lieber mit Zusatztafeln auf deren Taten hingewiesen haben möchte, allzu viele, weil sie nichts dabei finden, etwa einen antisemitischen Fanatiker zu ehren. Im Sommer 2017 beschloss der Kultur- und Werkausschuss, die Bürger nach neuen Namen für acht Straßen zu fragen. Etwa 800 Rückmeldungen mit Vorschlägen trafen bis zum Herbst im Rathaus ein. Jetzt verwies der Arbeitskreis Straßennamen des Kulturausschusses das heikle Thema wieder an den Stadtrat: Das Plenum soll entscheiden, ob die Schilder verschwinden oder Zusatztafeln angebracht werden.

Dialog in Puchheim

Die Puchheimer Groko wollte ein ganz neues Rat- und Bürgerhaus bauen und dafür das alte Schulhaus abreißen. Dagegen formierte sich eine Bürgerinitiative, die es im Kreuz gehabt hätte, ihr Anliegen per Plebiszit durchzusetzen. Nach einiger Zeit rückte Bürgermeister Herbert Kränzlein (SPD) aus finanziellen Gründen von dem Projekt ab. Der Stadtrat beschloss eine große Bürgerwerkstatt für das Frühjahr 2011 ein. An vier Tagen wurden Pläne, Vorschläge und Ideen für das künftige Ortszentrum vorgestellt und diskutiert. Im Sommer beschloss eine deutliche Mehrheit der Stadträte eine Kehrtwende: Die alte Schule soll erhalten bleiben und in die Neugestaltung des Zentrums einbezogen werden. Bürgermeister Norbert Seidl (SPD) lud 2017 zu einem ausgedehnten Stadtmitte-Dialog ein, mit Veranstaltungen und Online-Befragungen zu Details. Was davon umgesetzt wird, muss man sehen.

Der Brucker Viehmarktplatz

Bürgerbeteiligung: Ginge es nach den Bürgerwünschen, wäre der "Loop" die erste Wahl für die Neugestaltung des Viehmarktplatzes in Fürstenfeldbruck.

Ginge es nach den Bürgerwünschen, wäre der "Loop" die erste Wahl für die Neugestaltung des Viehmarktplatzes in Fürstenfeldbruck.

(Foto: Haack+Höpfner.Architekten/Planstatt Senner)

2012 waren alle Pläne Makulatur. Da wurde per Bürgerentscheid das bereits weit fortgeschrittene Konzept für die Gestaltung des Viehmarktplatzes kassiert. Ein ordentlicher Dämpfer für den damaligen OB Sepp Kellerer und eine Stadtratsmehrheit, die sich zur Belebung und zur Steigerung der Innenstadtattraktivität ein Wohn- und Geschäftshaus gewünscht hatten. Im März 2012 verschwanden die Computersimulationen des Investors in der Schublade. Zu mächtig war das Haus den Bürgern. Die Stadtspitze machte das Einzige, was in dieser verfahrenen Lage Erfolg versprach: Sie fragte den Bürger, was er haben will. Externe Städteplanerinnen leiteten Workshops, führten Teilnehmer über den Platz, sammelten Anregungen. Etliche Monate später legten sie ihre Zusammenfassung in Form eines Grobkonzepts vor. Viele hatten für eine Markthalle plädiert, die Kellerers Nachfolger Klaus Pleil dann auch zur Chefsache erklärte. Mehr als fünf Jahre und viele Informations- und Diskussionsveranstaltungen später ist der Viehmarktplatz auch unter Pleils Nachfolger Erich Raff das, was er unter Kellerer war: ein Parkplatz, der beizeiten für den Grünen Markt genutzt wird. Inzwischen gibt es zwar drei architektonische Alternativentwürfe für Markthallen. Nun aber wird darüber gestritten, ob die Stadt sich das von den Bürgern bevorzugte Konzept leisten kann und ob sich die Halle rentabel betreiben lässt oder ob das ein Millionengrab wird. In die langfristige Finanzvorschau wurde der Viehmarktplatz abgesehen von Planungskosten gar nicht erst aufgenommen. Fortsetzung folgt.

Folge des Hotelturms

Die Bürgerbeteiligung an der Entwicklung der Innenstadt in Germering ist die Folge eines Bürgerentscheids. An dessen eindeutigem Urteil scheiterten im Jahr 2008 die Planungen für einen Hotelturm und die Stadtmitte, die sich Stadträte und Fachleute gemacht hatten. Vor allem der Hotelturm, der mehr als 50 Meter hoch werden sollte, stieß auf die Ablehnung der Germeringer Bürger. Die Kommunalpolitiker mussten sich also etwas Neues einfallen lassen, um dem Stadtzentrum ein Gesicht zu geben. Die Stadtbewohner wurden aufgefordert, ihre Anregungen und Ideen für ein urbanes Zentrum rund um Bibliothek und Stadthalle, für die Bahnhofsgegend und den Kleinen Stachus einzubringen. In mehreren Workshops, geleitet von zwei Stadtplanerinnen, erarbeiteten Germeringer Einwohner Grundlagen für die Stadtentwicklung. Der Diskussionsprozess dauerte mehrere Jahre. Seine Ergebnisse flossen in einen Masterplan ein, der die Entwicklung von vier Quartieren in der Stadtmitte zum Inhalt hat. Umstritten ist nach wie vor der Standort für ein mögliches Hotel. Es könnte im Zentrum stehen, aber ebenso im Quartier nördlich des Bahnhofs. Umgesetzt wurden bislang nur die Planungen für den Kleinen Stachus. Dieser bietet nun mehr Platz für Radler und Fußgänger, ein Brunnen und ein Café beleben das Areal am Südende der Unteren Bahnhofstraße.

Streitbare Kunst

Bruck: STADTKUNSTLAND - Bildhauer-Symposium

Bei der Entscheidung über ein Kunstwerk in Bruck waren die Bürger stimmberechtigt.

(Foto: Johannes Simon)

Im Nachhinein betrachtet war die Idee wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Im Juli 2016 haben lokale Künstler in Fürstenfeldbruck zehn Skulpturen aufgestellt. Zu diesem von den Stadt geförderten Skulpturenpfad gehörte von Anfang an auch die Idee, dass die Kommune nach der Ausstellungszeit eines der Werke ankaufen will. Das Problem: Stimmberechtigt waren bei der Entscheidung sowohl die Bürger als auch eine Jury. Und es beteiligten sich auch einige Brucker an dem Votum. Als dann im Kulturausschuss über den Ankauf diskutiert wurde, kam die erwartbare Überraschung - Jury und Publikum hatten unterschiedliche Favoriten. Während erste ein riesiges Herz aus Knollenkalk, Maria Ruckers "Condition humaine" auf dem ersten Platz sahen, war es bei den Bürgern Hilde Seyboths hölzernes Labyrinth, das am Eingang des Klosterparkplatzes steht. Im Kulturausschuss wurde hitzig diskutiert und nach Lösungen gesucht. Am Ende stimmten die Politiker bei drei Gegenstimmen dafür, das Ergebnis der Bürgerbeteiligung zu ignorieren und nur die "Condition humaine" zu erwerben.

Gröbenzeller Bürgerwerkstatt

Unter dem vielversprechenden Namen "Bürgerwerkstatt" ist vor neun Jahren eine Vielzahl von Gröbenzellern mit einer Menge Ideen für die Neugestaltung der Bahnhofstraße zusammengekommen. Die insgesamt vier Treffen unter fachlicher Anleitung waren das Ergebnis des ersten Bürgerentscheides in der Gemeindegeschichte im Jahr 2008. Eine der Forderungen, die darin zum Ausdruck kam und bis heute besteht: Die Verkaufsfläche eines Supermarktes soll höchstens 400 Quadratmeter groß sein. Nach den Bürgerwerkstätten gab es einen Architektenwettbewerb, in den die Anregungen der Bürger einflossen, darunter die Forderung nach einem Jugendcafé, einer Kita sowie barrierefreiem Wohnraum für Familien und Senioren sowie eine Marktstudie. Doch die Ergebnisse des Architektenwettbewerbs wurden damals nicht weiterverfolgt. Letztlich wählten die Gröbenzeller einen neuen Bürgermeister. Martin Schäfer (UWG) versucht nun seit 2016, die Umgestaltung der Bahnhofstraße voranzutreiben. Doch sein Vorstoß, d as Konzept des Architektenwettbewerbs für die westliche Bahnhofstraße aus dem Jahr 2010 doch noch umzusetzen, scheiterte. Im Vorjahr beauftragte der Gemeinderat einen anderen Planer. Die Dragomir Stadtplanung GmbH bearbeitet nun den Bebauungsplan. Die Vorschläge aus der Bürgerwerkstatt werden nach Auskunft aus dem Rathaus als Stellungnahmen abgewogen und gegebenenfalls eingearbeitet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: