Brauchtum:Leuchtendes Flehen

Seit 67 Jahren ist es Brauch, dass Kinder aus Grafrath und der Umgebung selbst gebastelte Häuschen auf der Amper schwimmen lassen. Die heilige Lucia soll dadurch aufgefordert werden, Gott zu bitten, die Häuser an der Amper vor Überflutung zu schützen

Von Manfred Amann, Grafrath

Wenn die Amper Hochwasser führt, dann sind nicht nur in Fürstenfeldbruck die Häuser am Ufer gefährdet, sondern auch in Grafrath. Dieser Gedanke hat im Jahre 1950 Lehrer Bergmann aus Wildenroth dazu bewogen, auch in seinem Heimatdorf am Gedenktag der Heiligen Lucia, am 13. Dezember, ein Lucienfest zu organisieren. Ähnlich wie in Bruck, wo seit dem Jahr 1785 von Kindern gebastelte und von Kerzen hell beleuchtete kleine Häuschen auf die Amper gesetzt werden. Damit soll Lucia gebeten werden, sie möge bei Gott den Schutz ihrer Häuser vor Überflutungen erflehen.

Grafrath: LUZIENHÄUSCHEN / Luzienhäuschenschwimmen

Sie sollen das Licht in die Dunkelheit der Nacht und in die Welt bringen: Lucienhäuschen auf der Amper

(Foto: Johannes Simon)

Vor 67 Jahren sei das gewesen, erinnerte die Rektorin der Grundschule, Anna Kohlmeier, am Mittwoch in der Schulaula, nachdem Pater Florian die vielen bunten Häuschen gesegnet hatte. Seither wird in der Ampergemeinde das Brauchtum gepflegt. Gut 30 Gebäude aus Pappe mit schwimmenden Holzböden, Wohnhäuser mit Garten, andere mit vier und mehr Stockwerken, einen Bauernhof, einige Maschinenhallen, zwei Kirchen und einige Villen mit Pool hatten die Drittklässler bei Lehrerin Margarethe Schui im Unterrichtsfach "Werken und Gestalten" geschaffen.

Grafrath: LUZIENHÄUSCHEN / Luzienhäuschenschwimmen

Die Kinder bringen ihre selbst gebastelten Häuschen zum Ufer.

(Foto: Johannes Simon)

Je dunkler es am Frühabend wurde, desto mehr Kinder mit Häusern kamen hinzu. Mittlerweile hat es sich laut der technischen Leiterin der Wasserwacht, Angela Hackl, eingebürgert, dass auch Kinder aus der Region, die nicht die dritte Klasse in Grafrath besuchen, zu Hause Häuschen basteln und sie in Grafrath ins Wasser setzen. So wie Tobias und Katharina Liedgens aus Moorenweis, die die Grafrather Wasserwachtstation mit dem Rettungsreifen-Logo auf dem Dach nachempfunden hatten. "Einige Abende haben wir schon dagesessen, den schwimmfähigen Rahmen und die Wände zugeschnitten, alles zusammengeklebt und dann auch noch bemalt", verriet Katharina. Die größte Sorge bereitet den Kindern immer wieder, die Kerze so zu platzieren und festzumachen, dass sie auch im Wellengang nicht kippen und so das schwimmende Häuschen zum Kentern bringen.

Grafrath: LUZIENHÄUSCHEN / Luzienhäuschenschwimmen

Am Ufer werden die Häuschen von Mitgliedern der Wasserwacht Grafrath entgegengenommen und auf die Amper gesetzt. Später dann taucht aus den Fluten ein Neptun auf und verteilt Süßigkeiten.

(Foto: Johannes Simon)

Urban und seinem Freund ist genau das passiert, und beide ärgern sich ob der vermeintlichen Blamage. "Unser Haus ist einfach abgesoffen", schimpft er, lässt sich aber schnell von den Eltern besänftigen, als Häuschen für Häuschen wie auf einer Perlenkette aufgereiht die Amper hinabschwimmen und so "Licht in die Dunkelheit der Nacht und damit der Welt" bringen. Auch diese Botschaft soll laut Pater Florian mit dem Brauch des Lucienhäuschenschwimmens "symbolisch" vermittelt werden. Insgesamt etwa 50 Häuschen übergaben Annalena Ebner, Eva Sicheneder und Jonathan Seidl unterhalb der Brücke über die Bundesstraße 471 dem leicht welligen Wasser und sorgten dafür, dass keines am Ufer hängen bleibt. "Trotz Neoprenanzug" sei das eine eiskalte Angelegenheit, denn es dauere ja doch eine gute halbe Stunde, verrieten die Schwimmer der Wasserwacht, die das Lucienfest wieder organisiert hatte. Kaum war das letzte Häuschen von der Dunkelheit verschlungen, schlenderten Kinder und Eltern unter der Amperbrücke hindurch zur Wasserwachtstation, um bei Kinderpunsch, Glühwein und Bratwürsten der aufziehenden Kälte zu trotzen und auf den Neptun zu warten, dessen Auftauchen aus den Fluten der Amper laut Angela Hackl "von Anbeginn an" in Grafrath zum Lucienfest gehört. Kinder hielten vom Ufer aus Ausschau nach dem römischen Meeresgott, und als der Rettungstaucher Jörg Scheiblich, von einem Tarnnetz umschlungen, mit Taucherbrille auf der Nase und einem Dreizack in der Hand den Fluten entstieg, herrschte große Aufregung, denn Neptun verteilt von Alters her Süßigkeiten als Belohnung für die Häuschenbastler. Dabei half ihm Nora Leser von der Wasserwacht, die heuer in die Rolle der Heiligen Lucia geschlüpft war und in ihrem weißen Kleid einem Weihnachtsengel glich.

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