Besuch in München:Das unbekannte Parlament

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Gruppenfoto vor dem Sitzungssaal: Bezirksrätin Gabriele Off-Nesselhauf (im pinkfarbenen Kleid) und Bezirkstagspräsident Josef Mederer (neben Off-Nesselhauf) mit den Besuchern aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck. (Foto: Claas Gieselmann/ Bezirk Oberbayern)

Die Germeringer CSU-Kommunalpolitikerin Gabriele Off-Nesselhauf stellt einer Besuchergruppe aus dem Landkreis den Bezirkstag in München vor. Der kümmert sich vor allem um die Hilfe für behinderte und psychisch kranke Menschen

Von Andreas Ostermeier, Germering

Die CSU-Kommunalpolitikerin Gabriele Off-Nesselhauf aus Germering bezeichnet sich selbst als "leidenschaftliche Bezirksrätin". Wann immer es möglich ist, wirbt sie für den Bezirkstag. Anders als die Stadt- oder Gemeinderäte hat dieses Gremium aber auch jede Werbung nötig, denn es ist das unbekannteste "Kommunalparlament" in Bayern. Dabei steht die mangelnde Bekanntheit im Gegensatz zur Bedeutung der Aufgaben, die der Bezirk Oberbayern hat und über die von seinen Mitgliedern diskutiert und entschieden wird. Vor allem sind das soziale Aufgaben, etwa die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und mit Pflegebedarf. Etwa 1,8 Milliarden Euro wendete der Bezirk im vergangenen Jahr für diese und andere soziale Hilfen auf.

Josef Mederer, Parteifreund von Off-Nesselhauf und Präsident des oberbayerischen Bezirkstags, erklärt einer Besuchergruppe aus dem Landkreis die Aufgaben so: Was allgemeine Bedürfnisse angeht, wie Ernährung, Wohnen oder Arbeit, sind Gemeinden und Landkreise zuständig, wenn jemand Unterstützung benötigt. Um besondere Notlagen kümmert sich hingegen der Bezirk. Dazu gehören beispielsweise die Betreuung psychisch Kranker oder die finanzielle Unterstützung von Arbeitsplätzen für Behinderte. In Fürstenfeldbruck gibt es für diesen Personenkreis die von der Caritas getragene Werkstatt in der Maisacher Straße.

Die Gruppe, die den Bezirkstag besucht, besteht aus etwa 30 Personen. Unter ihnen befinden sich Mitglieder der Frauen- und der Seniorenunion sowie des Frauennotrufs und des Heimatpflegevereins aus Germering. Off-Nesselhauf hat sie in den Bezirkstag eingeladen, um ihnen die sanierten Räume in dem Haus an der Prinzregentenstraße - gegenüber vom Haus der Kunst - zu zeigen. Die Germeringer Stadträtin will über das unbekannte Gremium informieren, auf die Bezirkstagswahl im Oktober aufmerksam machen und die Besucher als Multiplikatoren gewinnen, die anderen von der Bedeutung des Bezirkstags berichten können. Bei dieser Wahl möchte die Germeringerin auch wieder ein Mandat erringen. 67 Kommunalpolitiker aus ganz Oberbayern sitzen momentan im Bezirkstag. Sie werden alle fünf Jahre von der Bevölkerung gewählt - nach den gleichen Regeln wie die Abgeordneten des Landtags.

Der Bezirkstag ist nicht nur ein Entscheidungsgremium, sondern auch ein bedeutender kommunaler Arbeitgeber. Etwa 850 Mitarbeiter sind dort beschäftigt, Tendenz steigend, wie Mederer sagt, weil vor allem die sozialen Aufgaben mehr werden. So rechnet der Präsident, dass allein die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes eine Menge neuer Stellen nötig macht. Zuständig ist der Bezirkstag Oberbayern für sämtliche Landkreise des Regierungsbezirks. Außerdem gibt es in Bayern sechs weitere Bezirkstage, allesamt aber kleiner als der von Oberbayern. Denn in dem Landesteil südlich der Donau sowie östlich von Augsburg und westlich von Landshut wohnt ein Drittel der Bürger Bayerns. Damit hat der Bezirk mehr Einwohner als Bundesländer wie Rheinland-Pfalz oder Thüringen. Zu den Aufgaben des Bezirks gehört auch die Kulturförderung. Ausdruck dafür ist eine Galerie, die sich im Eingangsbereich des Hauses befindet und nun barrierefrei zu erreichen ist. Ein Beispiel für Kulturförderung im Landkreis ist die Krippe in der Germeringer Don-Bosco-Kirche. Deren Ankauf wurde vom Bezirk bezahlt. Zudem betreibt der Bezirk mehrere Museen, darunter das Freilichtmuseum Glentleiten oder das Kelten-Römer-Museum in Manching. Außerdem verleiht er jährlich mehrere Kulturpreise.

Finanziert wird der Bezirk aus den kommunalen Steuern. Von allem, was eine Gemeinde einnimmt, also vor allem Gewerbe- und Anteile an der Einkommensteuer, muss sie einen Teil an Landkreis und Bezirk abgeben. Unter Gemeinde- und Stadträten gibt es immer wieder Unmut über die Höhe dieser Abgaben. So auch in Fürstenfeldbruck. Doch Off-Nesselhauf hat für die Besucher aus dem Brucker Land eine interessante Information. Danach ist der Landkreis Fürstenfeldbruck, wie die Mehrheit der Landkreise, ein Netto-Empfänger, denn in ihn fließt mehr Geld aus dem Bezirk, als er selbst an diesen abgibt. Etwa acht Millionen Euro betrug dieser Überschuss laut der Germeringer Kommunalpolitikerin im vergangenen Jahr. So finanziert der Bezirk beispielsweise in der Kreisstadt eine psychiatrische Klinik.

Der Bezirk ist auch Urheber einer bayernweiten Hotline für Menschen mit psychischen Problemen. Dieser Krisendienst ist unter Telefon 0180/655 30 00 zu erreichen. Ausgebildete Helfer nehmen die Gespräche an. Im Schnitt sind das etwa 60 Anrufe (in der Zeit von 9 bis 24 Uhr). Bei den Anrufern handelt es sich nach den Worten von Mederer oft um Personen, die allein sind und mit niemandem über ihre Probleme sprechen können. Bei fast jedem dritten von ihnen sei die Gefahr einer Selbsttötung gegeben, sagt der Bezirkstagspräsident. Reicht der Telefonkontakt nicht, um die Situation des Anrufers zu verbessern, werden weitere Hilfen veranlasst.

Die Bedeutung der Bezirke bleibt aber nicht auf die Landkreise beschränkt. Auch in der Landespolitik wirken sie mit. So wurde das von der Staatsregierung zurückgezogene Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auch mithilfe der Expertise aus den Bezirkstagen so geändert, dass es nun nicht nur bei der CSU, sondern auch bei der SPD Zustimmung findet. Vor allem, dass das Gesetz nun die Heilung zum Ziel hat und nicht die Gefahrenabwehr, ist der Intervention der bayerischen Bezirke zu verdanken. Diese sind als Träger der psychiatrischen Kliniken von dem Gesetz betroffen.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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