Applaus für das Comeback:Die Ein-Mann-Show

FDP

Ganz vorn: Christian Lindner spricht vom äußersten Bühnenrand aus zu den Besuchern in der Tenne. Das wollen so viele hören, dass viele von ihnen mit einem Stehplatz vorlieb nehmen müssen.

(Foto: Günther Reger)

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner lockt bei seinem Auftritt in Fürstenfeld mehr als 300 Zuhörer an. Das ist ein ganz neues Gefühl für die Partei, die vor vier Jahren aus dem Bundestag katapultiert wurde

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Bei der FDP sind sie ganz von den Socken. Keine Sitze im Parlament sei man gewöhnt, witzelt Christian Lindner, aber "keine Stühle vor der Wahl?". Dass Menschen stehen müssen bei einer FDP-Veranstaltung, das ist die Partei nicht gewohnt. "Ein ganz neues Gefühl für die FDP", freut sich Lindner. 220 Sitzgelegenheiten hatte der Kreisverband Fürstenfeldbruck am frühen Freitagabend in der pittoresken Tenne des Veranstaltungsforums Fürstenfeld bereit gestellt, mehr als 300 Besucher sind gekommen, um Christian Lindner reden zu hören. Der 38-jährige Bundesvorsitzende verkörpert die Wiedergeburt einer Partei, die vor vier Jahren tot gesagt wurde, als sie aus mehreren Landesparlamenten und aus dem Bundestag geflogen war. Mittlerweile sagen die Meinungsforscher den Freidemokraten ein Comeback voraus. "Wir sind relativ optimistisch", sagt Lindner in Fürstenfeld. Der Resonanz nach darf er das sein. Seine Rede wird häufig von Applaus unterbrochen, er scheint den Nerv zu treffen bei jenen Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die sich bisweilen unverstanden fühlen von den alten Volksparteien.

Pünktlich kommt Lindner in der Tenne an, wird noch schnell verkabelt, dann darf Peter Münster aus Eichenau, einziger FDP-Bürgermeister im Landkreis, den Abend eröffnen und einen "spürbaren Aufwind" für seine Partei diagnostizieren, ehe sich Wahlkreiskandidat Andreas Schwarzer dem Publikum vorstellt. Dann tritt Christian Lindner auf, schiebt die magenta-blau-gelben FDP-Würfel, die die Bühne zieren, zur Seite und positioniert sich ganz vorn am Bühnenrand. Den Stehtisch benötigt er nicht, er spricht frei. Es ist sein dritter Wahlkampftermin an diesem Tag, einer steht nach dem Brucker Auftritt noch an. In einer Dreiviertelstunde bringt er die Positionen der Freidemokraten unters interessierte Volk, zu dem an diesem Abend auch CSU-Stadtrat Herwig Bahner zählt.

Lindner beginnt damit, die bisherige Türkei-Politik der Bundesregierung "krachend gescheitert" zu nennen. Einen EU-Beitritt der Türkei könne es nicht geben. Und im Umgang mit Donald Trump dürften sich Fehler nicht wiederholen, "die wir bei Putin gemacht haben". Das Verhältnis zu den USA sei "weltpolitisch ohne Alternative", der Dialog deshalb unabdingbar. Zu den Krawallen beim G-20-Gipfel bekräftigt der FDP-Vorsitzende seine Haltung, wonach "Gewalt niemals Mittel der Politik" sein könne, auch nicht von linken autonomen Gruppen. Auf den liberalen Rechtsstaat müssten sich die Menschen "zu jeder Stunde an jedem Ort" verlassen können.

Lindners Rede erhält an vielen Stellen zustimmenden Beifall, etwa als er "Bildung vor Rüstung" fordert. Das Digitalste an den Schulen dürften nicht die Pausen sein und am Zustand der Schulgebäude müsse sich der Respekt gegenüber der jungen Generation ablesen lassen. Auch der Staat müsse sich verändern und "sich den Wünschen der Menschen anpassen, nicht umgekehrt". Lindner spricht sich für ein flexibles Rentenalter aus und kritisiert eine Mobilitätswende mit Elektroautos. "Wir wissen noch nicht, welcher Antrieb der beste für die Klimaziele sein wird", sagt er. Die Balance zwischen Staat und Privatem will er neu justieren. "Abgaben von 60 Prozent in der Mitte der Gesellschaft sind einfach zu viel" und "Wohneigentum darf kein Luxus werden". Deshalb fordert die FDP: Soli weg nach 2019 und einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer einführen. "Unser Land und unsere Menschen können Großartiges leisten, wir müssen sie machen lassen!"

Bei der Fluchtursachenbekämpfung müsse Hilfe für Afrika Priorität haben. Lindner fordert ein Einwanderungsgesetz, das qualifizierte Zuwanderung mittels eines Punktesystems ermöglicht. "Wir suchen aus", betont Lindner. Asyl sollte erhalten, wer individuell verfolgt ist, das aber seien nur wenige. "Dafür gibt es keine Obergrenze". Eine solche hält Lindner aber für möglich bei der Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und Naturkatastrophen fliehen und deshalb humanitären Schutz bekämen. Ziel müsse aber ihre Rückkehr in die alte Heimat sein, nicht ihr dauerhafter Aufenthalt in Deutschland. In die alte Heimat zurückgeführt werden müsse jedoch, wer sich illegal hier aufhalte: Für "Desperados und Glücksuchende" sei "die Tür zu".

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