Alkoholprävention:Nur wer reist, darf trinken

Seit fünf Wochen gelten neue Ladenöffnungszeiten in Fürstenfeldbruck. Kontrollieren lassen sie sich schwer.

Johanna Leisgang

Ein türkisfarbener Citroen fährt vor. Tankdeckel auf, Zapfhahn rein. Während Liter um Liter durch den dicken, schwarzen Gummischlauch gepumpt wird, verliert sich der Blick der jungen Frau im dunklen Nachthimmel. Unter dem grellen Licht der Zapfsäule jedoch glitzert der Autolack. Sie passiert einen silbernen Opel, als sie zum Zahlen den hell erleuchteten Shop betritt. Es ist 21.08 Uhr. Gleich am Eingang stapeln sich Kisten, die mit Ice-Beer-Flaschen gefüllt sind - das passt zur Jahreszeit. Die brünette Frau könnte sich ein kühles Bier kaufen, schließlich ist sie eine "Reisende", ein mit dem Auto vorgefahrener Kunde. Diesen darf unter der Woche auch nach 20 Uhr noch Alkohol verkauft werden, so steht es im Ladenschlussgesetz geschrieben, das seit dem 25. November auch für alle Fürstenfeldbrucker Tankstellen gilt. Doch sie begleicht lediglich ihre Spritrechnung und eilt wieder hinaus in die Nacht.

Drinnen im Geschäft ertönt ein kurzes, aufdringliches "Kling": Der Backofen ist vorgeheizt. Doch Admir Hasanovic hat keine Zeit. So viele Kunden wie Autos draußen wollen bezahlen - oder sind es noch mehr? Um auszuschließen, dass er nicht doch vielleicht einem "Nicht-Reisenden" etwas Alkoholisches verkauft, müsste Hasanovic jeden nach seinem Fortbewegungsmittel befragen. Doch der Ofen ruft, ganz zu schweigen von der wartenden Kundschaft.

Das ist das erste Problem der neuen Tankstellenregelung: die Kontrolle. Selbst Oberbürgermeister Sepp Kellerer, der das Ladenschlussgesetz in Bruck durchgesetzt hat, gibt zu: "Die Kontrolle ist sehr schwierig. Man kann nicht überall jemanden hinstellen, aber das Gesetz soll einfach eine größere Sorgfalt fördern." Von "schwierig" ist bei den Pächtern schon lange nicht mehr die Rede. In einem Brief des Tankstellenverbandes an den Oberbürgermeister heißt es: "Die Pflicht (...), bei jedem Verkauf von Reisebedarf explizit zu prüfen, ob der Kunde auch tatsächlich Reisender ist (...), ist in der Praxis kaum durchführbar".

Als der letzte Kunde bezahlt hat, schiebt Hasanovic das Blech mit den Semmeln in den Ofen, der damit endlich Ruhe gibt. Als einziger Verkäufer im Shop kann er eben nicht überall gleichzeitig sein. Trotz zusätzlicher Verantwortung und Stress, scheint er dennoch zufrieden: "Ich bin sehr froh über das Gesetz! Die ganze Woche schon waren weniger Jugendliche im Laden."

Mit der Regelung wollte die Stadt es den Jugendlichen ja erschweren, "an den Alkohol ran zukommen, um die sinnlose Sauferei in den Griff zu kriegen". Diejenigen, um die es bei der ganzen Sache geht - nämlich die Jugendlichen selbst - halten jedoch nicht viel von solchen Maßnahmen. "Dann kauft man das Zeug halt früher oder bunkert es", meint Daniel Sollinger achselzuckend und drückt auf dem Parkplatz vor der Tankstelle seine Zigarette mit der Fußspitze aus. "Gesetze bringen da nichts", pflichtet ihm sein Freund Sebastian Müller bei. Wieso das? "Weil Jugendliche einfach Jugendliche sind!"

Und so beginnen die beiden 18-Jährigen, die unterschiedlichsten Möglichkeiten aufzuzählen, Vorschriften und Verbote zu umgehen. Im Internet findet man zum Beispiel einen Lieferservice, der vorwiegend junge Leute nachts mit alkoholischen Getränken versorgt. Der Pizzaservice der "Vorglüh-Generation" sozusagen. Die beiden jungen Männer grinsen: "Die Jugendlichen sind einfach zu schlau." Gegen sie muss Sepp Kellerer offensichtlich schwerere Geschütze auffahren. Denn wenn sich die Jugend nun im Supermarkt sechs, statt zwei Jackie Cola leisten kann, wäre seine Maßnahme kontraproduktiv. In diesem Punkt sind sich alle einig.

Deshalb ist die neue Ladenschlussregelung auch nur ein kleiner Baustein des langfristig und breit angelegten Programms "Halt!". Zu diesem Projekt gehören unter anderem auch die Einschränkungen des Schnapsverkaufs auf dem Brucker Frühlingsfest und Präventionsvorträge über Drogen und Alkohol an Schulen. "Die Aussage muss in die Köpfe rein", bekräftigt der Oberbürgermeister. Ihm ist also durchaus bewusst, dass die Aktion-Reaktion-Taktik beim Thema Alkoholmissbrauch nicht funktioniert. "Ich hoffe, dass man sich durch das größere Verantwortungsgefühl in die richtige Richtung bewegt", so Kellerer. Das gehe allerdings nicht auf einen Schlag, sondern sei ein langer Prozess. Er hoffe auf sensiblere und vorsichtigere Kassierer. Wenn man jedoch mit diesen über das Jugendschutzgesetz spricht, bekommt man das Gefühl, dass es kaum "sensibler und vorsichtiger" geht.

Vor allem die Tankstellen direkt im Ort erlebten in den ersten Wochen der Regelung eine im wahrsten Sinne des Wortes stade Zeit: Sonntags wurden Umsatzverluste von 50 Prozent verzeichnet. Für die Pächter eine mittlere Katastrophe. "Wir hatten hier vor allem Erwachsene, die nach der Arbeit ihr Feierabendbier geholt haben oder eine Flasche Wein. Die Kunden sind total sauer, rennen aus dem Laden und kommen nie wieder", beschwert sich eine Angestellte. Nur diejenigen, die keinen Alkohol trinken, bleiben.

Nach Löchern im Ladenschlussgesetz dürften nun die Tankstellenbetreiber suchen, denn für sie bedeutet strikte Einhaltung womöglich den Strick. Insbesondere, da das neue Gesetz bis jetzt nur in Bruck vollzogen wurde, so dass man für nächtlichen Alkoholnachschub lediglich in die nächste Ortschaft gehen muss. "Uns laufen die Kunden davon und die anderen profitieren", seufzt eine Pächterin, während sie ihrem einzig verbliebenen Stammkunden den Teller wegräumt. "Mich wundert es ja, dass die "Vorzeigestadt" München nicht mitmacht. Aber um den Schaden wenigstens zu begrenzen, müsste die Regelung eigentlich bayernweit in Kraft treten", fügt die blonde, junge Frau mit einem sarkastischen Unterton hinzu. Sie wirkt tough, aber die leichten Augenringe verraten, wie sehr das Thema an ihren Nerven zehrt.

In Fürstenfeldbruck bleibt den Tankstellenpächtern im Moment nichts anderes übrig, als auf die Antwort des Oberbürgermeisters auf den Brief des Tankstellenverbandes zu warten, in dem die Probleme der Pächter dargelegt wurden. Der Brief endet mit der dringlichen Bitte, "die vorgetragenen Argumente (...) zu prüfen und gegebenenfalls im Stadtrat zur Diskussion zu stellen."

Bleibt alles wie gehabt, werden die Pächter wohl das Sortiment abspecken und die Öffnungszeiten ihrer Läden drastisch reduzieren müssen. Groteske Konsequenzen, wenn man bedenkt, dass die Tankstellen einst die beste Möglichkeit darstellten, den Ladenschluss der Supermärkte zu umgehen.

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