Älter werden - Alt sein, Folge 5:Ein Geben und Nehmen

Jahrelang haben sich die Richters um ihre Enkelkinder gekümmert. Als diese erwachsen waren, haben die Jungen wiederum nach den Großeltern gesehen. Spannungen bleiben bei einer solchen Hausgemeinschaft zwar nie ganz aus, unterm Strich aber ist sie ein Gewinn für alle

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Gemeinsam um diesen Tisch zu sitzen, ist für die Familie Haunert/Richter ganz und gar nichts Ungewöhnliches. Denn dieser Tisch, der vor vielen Jahren mal für einen Adeligen angefertigt worden war (der ihn dann aber doch nicht mehr haben wollte), ist perfekt auf die Bedürfnisse dieser Familie zugeschnitten. Er wächst mit der Zahl der Mitglieder, lässt sich vierfach ausziehen und mit Extrabeinen versehen, so dass sich die Tafelrunde auf bis zu 18 Personen erweitern lässt. An Sonntagen waren es früher schon bis zu 15. Am vergangenen Mittwochabend muss der Tisch nicht wachsen - drei Generationen sind ausnahmsweise nur mit vier Personen vertreten.

Beatrix Haunert, 55, ist gemeinsam mit ihrem Mann Karl Heinz, 73, aus dem zweiten Stock heruntergekommen zu ihrer im Erdgeschoss wohnenden Mutter Hannelore Richter, 78. Tanja Haunert, 28, die vor drei Jahren nach Olching gezogen ist, vertritt ihre hier lebenden Geschwister Carolin, 19, und Philipp, 26, die sich an diesem Tag auf Fortbildung beziehungsweise im Urlaub befinden. Philipp ist ohnehin gerade auf dem Sprung und wird ebenfalls ausziehen aus dem besonderen Mehrgenerationenhaus.

Bruck: HAUS-PORTRÄT - Familie Haunert / 3 Generationen

Eine musikalische Familie (v. li.): Beatrix Haunert mit ihrer Mutter Hannelore Richter, ihrem Mann Karl Heinz und der Tochter Tanja.

(Foto: Johannes Simon)

Die Bewohner zu finden, die in diesem wunderbaren, grün gestrichenen Altbau leben, der mit einem Erker in den Spitz zwischen Stockmeierweg und Luitpoldstraße hineinragt und durch dessen Fenster man die Erlöserkirche gegenüber sieht, war nicht einfach. Dass die Großelterngeneration mit den Kindern unter einem Dach lebt, ist gerade in der Stadt die große Ausnahme geworden - bestenfalls werden Oma oder Opa im Fall großer Pflegebedürftigkeit aufgenommen. Lange verlief die Suche der SZ, die sich zunächst freilich auch mit einem Vier-Generationenhaus ein sehr hohes Ziel gesteckt hatte, ergebnislos. Da mussten Caritas, VdK und Arbeiterwohlfahrt passen. Der im Landkreis sehr gut vernetzte stellvertretende Kreisobmann des Bauernverbands, Josef Wörle, machte dann doch eine Familie in einem kleinen Weiler bei Dünzelbach ausfindig, die mit vier Generationen gemeinsam auf einem Hof leben - von den Urgroßeltern bis zum kleinen Enkelkind. Allerdings leben die Familienmitglieder in zwei separaten Gebäuden. Vier Generationen lebten bis vor zehn Jahren auch noch im Haus des langjährigen Vorsitzenden des historischen Vereins in Fürstenfeldbruck, Robert Weinzierl. Damals lebte auch noch die Mutter des 82-jährigen Vaters dreier längst erwachsener Kinder und siebenfachen Großvaters im Haus. Dort, wo heute noch zwei der Enkel leben. Sogar Ulrich Schmetz, 70, Vorstandsmitglied der Arbeiterwohlfahrt, SPD-Stadtrat, Landrats-Vize und Mitglied zahlreicher Vereine, muss lange nachdenken, bevor ihm eine Familie mit drei Generationen unter einem Dach einfällt. Jetzt, wo er darüber nachdenke, werde ihm sehr bewusst, wie selten so etwas geworden und welcher Wandel sich da in der Gesellschaft vollzogen habe.

Für die Haunerts und Richters aber war und ist das seit 1999 Realität, damals zogen die Haunerts von der Feuerhausstraße mit den zwei Zehn- und Achtjährigen und dem nicht einmal ein Jahr alten Kleinkind hier ein. Zunächst kümmerte sich Hannelore gemeinsam mit ihrem damals noch lebenden Mann, dem evangelischen Pfarrer Eugen Richter, um die Enkel. Natürlich auch um die vier des zweiten Sohns Alexander, intensiver aber natürlich um die im Haus lebenden. Irgendwann aber drehte sich das Verhältnis, vor allem dann, als der vor sieben Jahren verstorbene Eugen Richter in seinen letzten Lebensjahren zu einem schweren Pflegefall wurde. Da gaben ihm die Enkel vieles zurück.

Bruck: HAUS-PORTRÄT - Familie Haunert / 3 Generationen

Hannelore Richter wohnt im Erdgeschoss, die Haunerts im zweiten Stock des stattlichen Altbaus.

(Foto: Johannes Simon)

Beatrix, die in der ambulanten Kinderkrankenpflege tätig ist und Karl Heinz, früher in der Grafikbranche tätig, arbeiteten beide im Schichtbetrieb. Kein Problem: Die Kinder gingen einfach die Treppe runter zu Oma und Opa. Da gab's in der Früh um sieben frischen Kakao und ein Butterbrot und mittags schon mal Geschnetzeltes. Oder die im Riesengebirge geborene Oma kochte ihre legendäre schlesische Schwemmknödelsuppe. Der Opa erzählte den Kindern Geschichten, rechnete bei den Mathehausaufgaben mit oder fragte Vokabeln ab. Außerdem nahm Eugen Richter die kleine Carolin eine Zeit lang jeden Tag um zehn bei der Hand und holte mit ihr gemeinsam bei der Bäckerei Bücherl die obligatorische Kinderbreze mit den beiden Gummibärchen. Richter, der 1971 den Posaunenchor der Erlöserkirche gegründet hatte, freute sich, wie ausnahmslos alle Mitglieder dieses Mehrgenerationenhauses Blasinstrumente lernten - sogar sein Schwiegersohn Karl Heinz fand Gefallen an der Tuba. Und Hannelore Richter fuhr die Kinder auch noch jahrelang zum Geigenunterricht. Manchmal war die Sache auch ganz einfach: "Immer wenn oben dicke Luft war, sind die Kinder halt runtergegangen. Oder auch umgekehrt. Das war schon ganz praktisch für sie", erinnert sich Karl Heinz Haunert und lacht verschmitzt. "Auf Mama und Papa konnte man sich jedenfalls einfach verlassen", ergänzt Beatrix Haunert. So konnten sie auch auf die nicht eben günstigen Kinderkrippen oder Tagesmütter verzichten. Natürlich musste man den Kindern manchmal auch erklären, dass das, was bei den Großeltern geduldet wird, im zweiten Stock nicht so läuft: Beim Essen um den Tisch herum laufen, wie Philipp das gerne bei den Großeltern tat? Geht nicht! Im Gegenzug wurde es oben nicht ganz so genau genommen mit der absoluten Pünktlichkeit wie unten. Oben. Unten. Wer soll da nicht durcheinander geraten? "Einmal habe ich die Mama sogar versehentlich mit Oma angeredet", erinnert sich Tanja Haunert.

Als Eugen Richter dann zum Pflegefall wird, da wendete sich das Blatt - ganz ohne dass da viel Aufhebens darum gemacht wird. Für alle ist klar: Der Opa kommt nicht ins Pflegeheim! Auf gar keinen Fall. Wir kümmern uns! Philipp ist 16 und besucht die Puchheimer Realschule, als er immer mehr gefordert ist. Drei Jahre, fast jeden Abend, bringt er den Opa ins Bett, Carolin bringt oft Essen und kocht Kaffee, Karl Heinz übernimmt das Gassigehen mit dem Hund und alle Arbeiten rund um den Garten und das Haus. Wenn Hannelore Richter ihren Mann mal partout nicht überzeugen kann, seine Tabletten zu nehmen, dann kommen Carolin oder Philipp oder Tanja runter. Dann klappt es mit den Tabletten. Es geht so weit, dass Philipps Freunde irgendwann völlig selbstverständlich "den Opa" und die Verpflichtungen des Enkels bei Planungen für Partys oder abendliche Streifzüge berücksichtigen.

Bruck: HAUS-PORTRÄT - Familie Haunert / 3 Generationen

Im Flur der Großmutter hängen zahllose Fotos - vor allem die der Kinder.

(Foto: Johannes Simon)

Natürlich gibt es nie nur Sonnenseiten. Generationenkonflikte hat es auch im Hause Richter/Haunert gegeben. Beatrix Haunert denkt kurz nach. Schon wahr, die Mutter im Erdgeschoss hat ihr gegenüber nie so richtig die Mutterrolle abgelegt, da kann man sich manchmal schon ein bisschen beobachtet vorkommen. Und Karl Heinz, selbst Einzelkind, hatte anfangs Probleme, in diese große Familie hineinzuwachsen. Vor allem auch wegen der Rolle, die die Religion spielte. Der Schwiegervater Pfarrer, die Schwiegermutter Religionslehrerin - da habe er sich anfangs schon etwas eingeengt gefühlt. Doch die Reibereien wurden immer ausgeräumt. Es gibt ja diesen großen Tisch, an den man sich setzen und reden kann. "Und der Tisch war immer voll", sagt Karl Heinz Haunert - auch wenn er bis heute eher "der Tischflüchter" sei, wenn es an Sonntagen oder an Ostern und Weihnachten sehr voll wird im Wohn- und Esszimmer der Schwiegermutter. "Ich genieße das", sagt die. Und doch ist es ihr wichtig, dass sie immer auch die Tür zumachen kann, dass sie ihren eigenen Bereich hat. Gemeinsam mit den jüngeren Generationen in einer Wohnung leben - das wäre dann doch des Guten etwas zu viel.

Sie in der Nähe zu haben, ist aber wunderbar. Manchmal aus ganz praktischen Gründen. So wie am Donnerstag vor einer Woche. Da prallte Hannelore Richter mit einer falsch fahrenden anderen Radfahrerin zusammen und riss sich das Schienbein auf. "Praktisch, wenn man da eine Krankenschwester im Haus hat, die einen gleich fachgerecht verbindet." Bevor sie ihre Wohnung wieder für sich hat, bleiben alle noch kurz im Gang stehen und lassen den Blick über die Familienchronik in Farbe und Schwarz-weiß schweifen, die da Rahmen an Rahmen an der Wand hängt. Schöne Erinnerungen. "Kochen tue ich heute aber nicht mehr für meine Familie", sagt Hannelore Richter augenzwinkernd, als sie den Reporter verabschiedet.

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