2. Folge:Ambulant vor stationär

Fast drei Viertel der Senioren im Landkreis Fürstenfeldbruck leben bis zuletzt im eigenen Zuhause. Entsprechend entwickeln sich die klassischen Seniorenheime von Altersruhesitzen zu Pflegeeinrichtungen

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Die gesellschaftlichen Veränderungen samt demografischem Wandel wirken sich schon seit Längerem auf die Alten- und Pflegeheime im Landkreis aus. Das klassische Seniorenheim, das früher einmal noch relativ rüstige Rentner kurz nach dem Eintritt in den Ruhestand bezogen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen und sich ein neues Lebensumfeld aufzubauen, gibt es fast nicht mehr. Wer so etwas sucht, mietet sich inzwischen in einem Betreuten Wohnen ein oder er entscheidet sich für eine genossenschaftliche Wohnform oder eine Seniorenwohngemeinschaft.

Dafür wandeln sich Seniorenheime zu Pflegeeinrichtungen, in denen Menschen, die auf Betreuung oder Hilfe angewiesen und im Durchschnitt 85 Jahre alt oder älter sind, ihre letzte Lebensphase verbringen. "Der Fokus richtet sich immer mehr auf die palliative Versorgung und die Begleitung auf dem letzten Weg", sagt Dirk Spohd, der Leiter des evangelischen Pflegezentrums in Eichenau. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Entwicklung mit einem steigende Durchschnittsalter der Bewohner und der damit verbundenen Zunahme der schwierigen Fälle Seniorenheime nicht sonderlich attraktiv macht. Je betagter die Bewohner sind, umso häufiger müssen sich Heime auch um deren Angehörige kümmern.

Diesem Wandel der Heime entspricht ein gegenläufiger Trend, der lautet: "Bloß nicht ins Altenheim", der durchaus politisch gewollt ist und auf den man sich im Landkreis bereits seit Jahren einstellt. So werden kaum noch neue Heime gebaut. Das letzte der insgesamt acht vom Landkreis mitgeförderten Seniorenheime ist 2006 in Eichenau bezogen worden. Stattdessen sind vor allem ambulante Pflegedienste stark gefördert und ausgebaut worden. Der Markt, also das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, soll gewährleisten, dass es genügend Heimplätze gibt.

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Wer sich entschließt, in ein Seniorenheim im Landkreis zu ziehen, ist meist schon sehr alt und auf Pflege angewiesen.

(Foto: Günther Reger)

Zudem entstanden neue Formen von Seniorenwohnheimen wie die Häuser von Senivita in Gernlinden oder Emmering sowie Häuser, die "Betreutes Wohnen" anbieten. Im Unterschied zum klassischen Heim sind das Wohnanlagen, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Menschen ausgerichtet sind. Man wohnt individuell und selbständig wie daheim, kann aber bei Bedarf Dienst- und Serviceleistungen in Anspruch nehmen, die gesondert abgerechnet werden.

Dies entspricht einerseits dem Wandel der Seniorenheime. Der Trend kommt andererseits aber auch dem Wunsch der Mehrheit der älteren Landkreisbewohner entgegen, so lange als nur irgend möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Zudem liegen die Kosten der ambulanten Pflege deutlich unten dem, was für einen Heimplatz aufgewendet werden müsste. Es werden also auch die Sozialkassen entlastet.

Damit lautet einer der zentralen Fragen angesichts des steigenden Lebensalters: Wie viele Pflegeheimplätze benötigt der Landkreis in den nächsten Jahrzehnten, damit die stark steigende Zahl an Pflegebedürftigen adäquat versorgt werden kann. Das seniorenpolitische Gesamtkonzept für den Landkreis versucht auf diese Frage eine Antwort zu geben. Die Studie aus dem Jahr 2009 prognostiziert bis 2029 fast eine Verdoppelung der Zahl der Pflegebedürftigen. Waren es 2009 insgesamt 4435 wird bis 2029 mit einem Anwachsen auf etwa 7800 gerechnet. Allerdings soll dieser Anstieg nur mit einer geringfügigen Zunahme der Heim- und Pflegeplätzen bewältigt werden. Wobei betreute Wohnformen nicht als Heimplätze mitgezählt werden.

Die Kommunen, Sozialdienste und Nachbarschaftshilfen setzen also letztlich nur um, was diese Studie vorgibt. Sie stärken die ambulante Versorgung Pflegebedürftiger und betreute Wohnformen. Zudem gibt es Bemühungen, die Betreuung Pflegebedürftiger in Tageseinrichtungen auszubauen. Auch das ist ein Beitrag dazu, mit einer fast konstanten Zahl von Pflegeplätzen in Heimen den wachsenden Bedarf zu decken. Zur Pflegebedarfsplanung heißt es in dem Landkreiskonzept, "dass ein guter Teil der Zunahme der Zahl pflegebedürftiger Personen . . . durch eine konsequente Weiterentwicklung der Angebote im ambulanten Bereich, insbesondere auch von Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige, bewältigt werden kann".

2. Folge: 1987 wurde der Anfangs von den Jesenwangern skeptisch betrachtete Neubau eingeweiht, 2005 wurde der Komplex zuletzt modernisiert.

1987 wurde der Anfangs von den Jesenwangern skeptisch betrachtete Neubau eingeweiht, 2005 wurde der Komplex zuletzt modernisiert.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Nach Ansicht von Roland Völk, in dessen Aufgabegebiet im Landratsamt das seniorenpolitische Gesamtkonzept fällt, ist das nur möglich, wenn auch die Angehörigen unterstützt werden und wenn man Wohnbedingungen schaffen kann, die es ermöglichen, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können. Damit hängt die Zahl der benötigten Heimplätze auch davon ab, wie barrierefrei das private Lebensumfeld der Senioren und der öffentliche Raum sind, um weiterhin die Mobilität der älteren Menschen zu gewährleisten.

Laut Völk gilt inzwischen der Grundsatz "ambulant vor stationär". Nach seinen Angaben schaffen es immerhin etwa 70 Prozent der Landkreisbewohner, bis zuletzt in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben. Scheitern kann dieser Wunsch, wenn die eigene Wohnung und deren Umfeld nicht den geänderten Bedürfnissen entsprechen, wenn sie also nicht seniorengerecht sind. Wobei Völk einräumt, dass es leichter gesagt als getan sei, rechtzeitig für das Leben im Alter vorzusorgen. Viele der allein lebenden Hochbetagten bräuchten nämlich Hilfe, sind aber nicht dazu bereit, sich helfen zu lassen.

Trotzdem ist die Seniorenfachberaterin des Landratsamt, Kathi Probst, der Meinung, es gebe genügend Plätze in den 16 Alten- und Pflegeheimen im Landkreis. Zumindest theoretisch. Die Frage ist nur, ob sich diese freien Plätze auch in der Wunscheinrichtung und in der meist favorisierten Nähe zum Wohnort der Angehörigen finden lassen. Wer kurzfristig einen Platz braucht, hat keine große Auswahl. Er muss mit dem vorliebnehmen, was gerade frei ist. Die Beraterin weiß aber auch, dass die gefühlte Wahrnehmung eine andere ist. In der Bevölkerung überwiege das Gefühl, es gebe nicht genug Heimplätze. Dazu kommt, dass fast alle Heime Wartelisten haben und diejenigen, die einen besseren Ruf haben, immer voll belegt sind.

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Die Heimbetreiber versuchen, wie etwa in Olching den Bewohnern den Aufenthalt so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten.

(Foto: Florian Haamann)

Doch es gibt noch ein anderes Problem. Viele Senioren und deren Angehörige trifft die Suche nach einem Heimplatz meist unvorbereitet. Deshalb sind sie laut Probst verunsichert. Sie wüssten nicht wirklich, welches Heim zu ihrem Anforderungsprofil passe. Schließlich ist jeder Fall unterschiedlich. Zudem verfügt jedes Seniorenheim über spezielle Schwerpunkte oder Angebote. Deshalb hält Probst es für wichtig, sich vor einer Entscheidung gut zu informieren und beraten zu lassen. Nicht nur von Mitarbeitern des Wunschheimes, sondern auch von unabhängigen Seniorenfachstellen.

Probst ist seit 33 Jahren in der Seniorenberatung tätig. Sie weiß daher, dass der Umzug in ein Heim ein heikles Thema ist, mit dem man sich ohne Not nicht befassen will. Die Seniorenberaterin spricht von einem "Tabuthema". Mit der Folge, dass 99 Prozent der Heimbewohner von ihren Angehörigen angemeldet werden. Dass ein Betroffener dies selbst tut, bezeichnet Probst als absolute Ausnahme.

Dass der Landkreis zurzeit über genügend Pflegeplätze verfügt, bestätigt auch Annemarie Fischer. Sie führt im Landratsamt eine Statistik über die Auslastung der Alten- und Pflegeheime. Allerdings hält sie nicht fest, warum nicht alle Plätze belegt sind, was auch eine Folge des Mangels an Fachkräften sein könnte. Laut Fischers jüngster Statistik waren die 16 Heime im Landkreis zuletzt insgesamt zu etwa 90 Prozent belegt. Fischer berücksichtigt keine Seniorenwohnheime, sondern nur die 16 "echten Heime", wie sie sagt, die auch der Heimaufsicht des Landratsamts unterstellt sind.

Diese Häuser verfügen zurzeit über insgesamt 1888 Pflegeplätze. Von diesen entfallen 1521 auf die Langzeitpflege, 280 auf beschützende Plätze, wie sie beispielsweise für Demente benötigt werden. Etwa 30 sind Kurzeitpflegeplätze. Bis zum Jahr 2029 soll die Zahl der benötigten Pflegeplätze laut dem Seniorenkonzept in solchen Heimen auf 2120 ansteigen, das wären etwa 130 mehr als zurzeit. Da die Studie acht Jahre alt ist, könnte die anstehende Neufassung andere Zahlen bringen.

Betreutes Wohnen

Ein Aufenthalt in einem Senioren- oder Pflegeheim ist nicht mit dem in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen gleichzusetzen, wie es beispielsweise Sozialdienste, das BRK oder private Träger im Landkreis anbieten. Während Heime älteren Menschen eine umfassende Pflege und Versorgung zu festen Kostensätzen anbieten, liegt beim Betreuten Wohnen ein anderes Konzept vor. In erster Linie handelt es sich um Seniorenwohnanlagen, die den Bewohnern Privatsphäre und eine selbständige Lebensführung in einem eigenen Bereich gewährleisten und zudem zusätzlich Betreuungsleistungen anbieten. In einer solchen Anlage kaufen oder mieten sich ältere Menschen eine Wohnung in unterschiedlichen Preiskategorien. Neben der Miete oder dem Kaufpreis sind noch eine Betreuungspauschale für Grundleistungen sowie die Kosten für vereinbarte Wahlleistungen zu bezahlen. Die Grundleistungen können eine Rufbereitschaft, Sprechstunden, Beratung, Hilfe bei Behördengängen, die Vermittlung von Dienst- und Pflegeleistungen sowie ein Unterhaltungs- und Sportprogramm beinhalten. Als Wahlleistungen können die Versorgung mit Essen, die ambulante Pflege, hauswirtschaftliche Hilfen sowie Besorgungen und andere zusätzliche Serviceleistungen abgerechnet werden. Je nach dem Pflegegrad finanziert die Pflegekasse die Leistungen, wie sie für die häusliche Pflege auch vorgesehen sind. Für Pflegeheime gelten andere Sätze. Im Landkreis bieten zurzeit zehn Einrichtungen Betreutes Wohnen an. Weil der Begriff gesetzlich nicht geschützt ist und es im Gegensatz zu Altenheimen keine Heimaufsicht gibt, die Anlagen für Bereutes Wohnen kontrolliert, können Angebot und Qualität sehr unterschiedlich sein. eis

Der Leiter des Eichenauer Pflegeheims, Dirk Spohd, meint, dass die Rechnung nicht aufgehe, durch Stärkung der ambulanten Pflege die Zahl der Heimplätze auf Dauer niedrig zu halten. Er spricht von einem falschen Weg, einseitig die ambulante Pflege zu fördern und zu hoffen, sich auf Dauer Investitionen in die stationäre Pflege zu sparen. Weil die Menschen immer älter werden, gehe diese Rechnung nicht auf. Deshalb müsse man die ambulante und stationäre Pflege zusammen denken.

Aber selbst wenn es politisch erwünscht wäre, lässt sich laut Spohd die Zahl der Pflegeheimplätze nicht beliebig vermehren. Häuser wie das der Diakonie in Eichenau streben einen Personalschlüssel von einer Fachkraft für 2,4 Bewohner an. Zum Vergleich: In Wohnheimen für Senioren soll sich ein Pfleger um bis zu 24 Bewohner, also um zehnmal so viel Menschen kümmern, von denen auch viele von Zeit zu Zeit auf Hilfe angewiesen sind. Da es schon jetzt schwierig ist, überhaupt noch Fachkräfte zu bekommen und sich deren Zahl nicht beliebig vermehren lässt, geht Spohd davon aus, dass irgendwann die Fachkraftquote ganz abgeschafft werden wird. Da der Anteil der Migranten am Pflegepersonal sehr hoch ist, wird in den Heimen immer weniger deutsch gesprochen werden. Wird das Pflegepersonal nicht besser bezahlt und deren Beruf attraktiver, könnte langfristig die Qualität der Pflege sinken. Als Wirtschaftsbetriebe stehen Heime unter einem enormen Kostendruck, was eine hohe Auslastung erfordert.

In einem Punkt werden die älteren Häuser in den nächsten Jahren besser. Das bayerische Pflegewohn- und Qualitätsgesetz gibt Mindestgrößen für Wohnflächen in Heimen und andere Standards vor, die Seniorenheimbewohnern mehr Platz, mehr Komfort und eine bessere Ausstattung der Zimmer bieten. Diese Vorgaben können Heimbetreiber wegen Investitionen in Millionenhöhe jedoch in den Ruin treiben. So wird zurzeit in Puchheim darüber diskutiert, wie im städtischen Seniorenheim Haus Elisabeth die vorgegebene Zahl von Einzelzimmern geschaffen werden kann. Eine der Alternativen ist ein Teilabriss mit Neubau.

Kathi Probst, die Seniorenfachberaterin des Landkreises, berät Senioren und deren Angehörige in allen Fragen, aber auch bei der Suche nach einem Heimplatz. Telefonisch zu erreichen ist sie unter 08141/51 94 27 oder per E-Mail an seniorenfachberatung@lra-ffb.de. Im Internet gibt es unter www.heimplatzboerse-ffb.de einen Überblick über freie Heimplätze.

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