Führungszeugnis für Jugendbetreuer:"Nicht jeder Pädophile ist schon straffällig geworden"

34. Deutscher Evangelischer Kirchentag

Auch Pfadfinder sorgen sich um die Zahl ihrer Ehrenamtlichen

(Foto: dpa)

Wer sich ehrenamtlich in der Jugendarbeit engagiert, muss künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das empört nicht nur Datenschützer, auch die Verbände äußern ihre Zweifel, ob mehr Transparenz wirklich Schutz bieten kann.

Von Christiane Lutz und Michael Haas

In einem sind sich alle Beteiligten einig: Zum Schutz von Kindern- und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen muss alles getan werden, was möglich ist. Und dennoch bereitet ein neues Gesetz Vereinen und Verbänden zunehmend Kopfzerbrechen. Es schreibt vor, dass nicht nur Hauptamtliche, sondern auch Ehrenamtliche in der Jugendarbeit künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. Der Kreisjugendring und viele Vereine fürchten, dass es nun noch schwieriger werden könnte, Jugendbetreuer zu finden.

Das bundesweit gültige Gesetz wurde bereits Anfang 2012 verabschiedet. Von der Einsicht ins erweiterte Führungszeugnis erhofft sich der Bund, potenzielle Straftäter rechtzeitig ausfindig zu machen und von der Jugendarbeit auszuschließen.

In Bayern beginnen Kreise und Kommunen erst nach einem Beschluss des Landesjugendausschusses vom März mit der Umsetzung. So hat etwa der Landkreis Ebersberg bereits beschlossen, dass das Jugendamt entsprechende Vereinbarungen mit den örtlichen Vereinen und Verbänden ausarbeitet. In der Stadt München berät ein Ausschuss aus Kreisjugendring (KJR), Stadtjugendamt und Vertretern der freien Träger in den kommenden Wochen darüber, wie man dem Gesetz gerecht werden kann, ohne dass es zu übermäßigem Verwaltungsaufwand kommt. Bis zum Sommer soll es eine Einigung geben.

Gerhard Wagner, Leiter der Abteilung Jugendarbeit des KJR, steht dem Gesetz kritisch gegenüber: "Ich halte eine Einsicht ins erweiterte Führungszeugnis unserer Ehrenamtlichen für das falsche Instrument", sagt er. In einem erweiterten Führungszeugnis sind, anders als im gewöhnlichen Führungszeugnis, sämtliche Straftaten aufgeführt, die in einem sexuellen Kontext stehen oder mit der Misshandlung von Kindern zu tun haben. Datenschützer hatten sich schon im vergangenen Jahr darüber empört, dass durch die Vorlage persönliche Informationen offengelegt würden, die in den meisten Fällen keine Relevanz hätten. Aufklärung, Sensibilisierung und eine gute Ausbildung der Ehrenamtlichen halten viele für die wirksamere Prävention.

Auch in Ebersberg, wo die Debatte schon einen Schritt weiter ist, ist man nicht überzeugt von der Zweckmäßigkeit des Gesetzes. "Es ist gut, dass man was tun will", sagt Bastian Ober, Bezirksvorstand der Pfadfinder, gibt aber zu bedenken: "Ich könnte da ja Dinge erfahren, die ich gar nicht wissen will." Deshalb wollen die Pfadfinder Ebersberg einen eigenen Weg gehen: Die Führungszeugnisse soll nicht der Stamm vor Ort, sondern der Diözesanverband einsehen und protokollieren.

Ratlos gegen über Misshandlungen

Gerhard Wagner vom KJR München sieht in dem Gesetz einen Ausdruck der Ratlosigkeit des Bundes gegenüber Misshandlungen jeder Art, die Kinder und Jugendliche in Sportvereinen oder kirchlichen Jugendgruppen immer wieder erleben. Der Bund müsse aber irgendetwas tun, "und letztlich ist es ja so: Wenn er durch das Gesetz auch nur einen potenziellen Straftäter aus dem Verkehr ziehen kann", sagt Wagner, "hat sich der Aufwand schon gelohnt."

Dennoch: Wagner sorgt sich, dass durch die wachsende Bürokratie das Engagement der Ehrenamtlichen eingebremst werden könnte. Ein Problem, mit dem sich ohnehin viele Vereine konfrontiert sehen. "Früher hat man beim Zeltlager einfach ein Zelt aufgestellt und eine Kochstelle eingerichtet - fertig", sagt er. "Heute kommt das Gesundheitsamt und macht Hygieneuntersuchungen. Alles muss genehmigt und versichert werden. Bei diesem Organisationsaufwand vergeht schon dem einen oder anderen Freiwilligen die Lust."

Und: Gerade in der Jugendarbeit sei es schwer, eine Grenze zwischen den Betreuern zu ziehen. Was ist beispielsweise mit dem Vater, der seinen Sohn jede Woche zusammen mit anderen Kindern zum Fußballturnier fährt? Oder dem Mädchen, das bei einer Jugendfreizeit spontan eine Wandergruppe anführt?

Von dem Gesetz betroffen sind alle öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe, sofern sie Leistungen vom Bund oder der Kommune beziehen, also auch kirchliche Gruppen und Sportvereine. Mit ihnen müssen Stadtjugendamt und Kreisjugendring München nun Vereinbarungen treffen, auf welche Personen sich das Gesetz konkret bezieht.

Einen, den das Gesetz schon getroffen hat, ist Martin Schedo, Jugendleiter der Fußballabteilung des TSV Ebersberg. Er hat keine Angst, sein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen: Es enthält keine Einträge. Aber auch er ist kritisch. Das Gesetz könne Hilfestellung sein, pädophile Übergriffe zu verhindern, gleichzeitig aber Ehrenamtliche von ihrem Engagement abhalten.

"Es wäre besser, wenn man sich eingehend mit potenziellen Übungsleitern beschäftigte", sagt Schedo. Auf Führungszeugnisse allein wird er sich auch weiterhin nicht verlassen: "Nicht jeder Pädophile ist schon straffällig geworden."

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