Frühlingsfest:One, two, three, four, vierundachtzig

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Als Paul Würges geboren wurde, war an Rock 'n' Roll noch nicht zu denken. Dann wurde er einer der größten Popmusiker Münchens, aber das hat die Stadt nicht gemerkt. Noch immer tritt er am ersten Montag jedes Frühlingsfestes auf: "Seid ihr alle ready?"

Von Franz Kotteder

Wenn man Walter Kilger so zuschaut, wie elegant er über die Holzbohlen der Festhalle Bayernland fetzt, muss man neidisch werden. Schon weil man sich denkt: "Das würde ich nie so hinkriegen", und schlimmer noch: "Wenn ich 80 bin, erst recht nicht!" Kilger ist 80 und ein richtiger Feger auf Tanzflächen, wo Rock 'n' Roll getanzt wird. Er sagt: "Kein Problem, wenn man eine Tanzpartnerin hat, die unter 70 ist!" In diesem Fall handelt es sich um Karin Görling, 67, die Kilger auf der Tanzfläche in nichts nachsteht.

Die beiden haben sich vor drei Jahren in der Max-Emanuel-Brauerei in Schwabing kennengelernt, "als dort noch Boogie getanzt wurde". Görling lebt zeitweise in Bad Reichenhall und macht dort gerne lange Fahrradtouren, sagt sie. Da ist man dann doch froh, dass sie wenigstens heute Abend nicht mit dem Radl aufs Frühlingsfest gekommen ist. Der erste Montag in der Festhalle Bayernland gehört traditionell der Paul Würges Band. Würges ist mittlerweile 84 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen, im vergangenen Jahr konnte er deshalb gar nicht auftreten. "Ich hoff', dass es wenigstens wieder so wird, dass ich im Sitzen spielen kann", sagte er damals, "ich werde ja wahnsinnig, ohne Musik!"

An diesem Montagabend ist es wieder soweit, es war ein Herzenswunsch von ihm, noch einmal hier auf der Bühne zu stehen. Man spürt die Freude bei seinen Fans, sie sind teilweise nicht viel jünger als ihr Idol. Aber sie wissen noch, wer Paul Würges mal gewesen ist: Einer der ersten deutschen Rock 'n' Roller und einer der besten Gitarristen dieser Musikrichtung. Man kann sogar sagen: Er gehört zu den größten Popmusikern, die diese Stadt hervorgebracht hat. Nur hat die Stadt das nie so richtig gewürdigt, leider.

"Wir kennen den Pauli noch aus der Rumba Bar, aus den Fünfzigerjahren", sagen Manfred und Walter, die rechts von der Bühne in der Box sitzen und zuschauen. Jahrgang 44 sind die beiden Giesinger, und Freunde seit Kindertagen. Demzufolge waren sie aber früh im Nachtleben unterwegs? "Scho!", sagt Manfred und grinst: "Mei, ma hat hoit geschaut, dass ma einen Hasen kennenlernt." "Aber nicht in der Rumba Bar!", grätscht Walter dazwischen. "Da nicht", sagt Manfred, "da haben die Damen alle was gekostet."

Die Rumba Bar in der Goethestraße war einer der Orte, wo Paul Würges damals mit seinen Bavarian Playboys, später dann mit der Moonglow Combo und den Rocking Allstars auftrat. Es waren die Clubs und Bars der GIs, der amerikanischen Besatzungssoldaten, die erst Hillbilly- und Countrynummern hören wollten und später dann Rock 'n' Roll. Paul Würges, der Malerlehrling aus Berg am Laim, hatte das alles drauf, und so wurde die Musik bald zum Hauptberuf. Er ging mit seinen Musikern auf Tournee nach England und in die USA, spielte in der Schweiz, in Österreich und Polen. Die Plattenfirma Ariola nahm ihn 1959 unter Vertrag, er spielte in Unterhaltungsfilmen mit und als Begleitmusiker von Paul Anka, Tony Sheridan und Chubby Checker. "Der deutsche Bill Haley" wurde er damals genannt.

Erstaunlich, wie viele hier im Zelt ihn noch aus der Rumba Bar kennen. Gaggi Ostertag etwa, der mit seinen 77 Jahren, dem Käppi und der getönten Brille immer noch als Rockabilly durchgehen könnte. Im Jahr 1960 war er Bayerischer Meister im Rock-'n'-Roll-Tanzen, 1974 gar Deutscher Meister, "und den Pauli kenne ich noch aus der Goethestraße". Seit er 16 ist, sind sie befreundet, seitdem ist Ostertag als Rock-'n'-Roll- und Boogie-DJ unterwegs, immer wieder freitags und samstags im Wirtshaus zum Isartal, beispielsweise.

"Seid ihr alle ready?", ruft Würges in das Zelt, und dann geht es los. Als die alten Kracher kommen - "Hello Josephine", "All Shook Up", "Great Balls of Fire" - ist kein Halten mehr bei den alten Damen und Herren (und auch bei ein paar Jüngeren). Einer schnürt wie ein Duracell-Häschen übers Parkett, ein anderer schiebt mit stoischer Gelassenheit und großer Präzision seine Partnerin durch die freien Gassen vor der Box. Ein bisschen ist das schon auch eine Leistungsschau der ersten Rock-'n'-Roll-Generation: Schaut her, was wir noch alles drauf haben! Und das ist in der Tat beeindruckend.

Paul Würges hält das erste Set durch, aber man sieht ihm schon an, wie er müde wird. Die Anstrengung ist doch zu groß. In der Pause gibt er noch Autogramme, dann helfen ihm seine Frau Walli und ein Sanitäter von der Bühne. Es begleitet ihn der Applaus seiner Fans. Die Band, verstärkt durch Freunde vom Pony Express und den Cagey Strings, muss ohne ihn weiterspielen. "Hoffentlich ist dem Pauli nichts Ernstes passiert", hört man an den Tischen.

Am nächsten Tag ist klar: Es war ein Schwächeanfall, nichts wirklich Ernstes. Aber die große Zeit des Rock 'n' Roll, sie ist wohl jetzt auch auf dem Frühlingsfest vorbei.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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