Frühjahrskonzert:Aus voller Kehle

Die vor 175 Jahren gegründete Bürger-Sänger-Zunft hat eine Vorliebe für Oratorien

Von Renate Frister

"Der Kirchenchor-Klang ist out", schimpft Dirigent Julio Mirón mit den Sängern, "es muss bombastisch klingen!" Der temperamentvolle Puerto-Ricaner spornt die Laienmusiker an, bis ihm der erwünschte, kraftvolle Klang von Dvořáks "Te Deum" entgegenschallt. Bei dem Probenwochenende der Bürger-Sänger-Zunft (BSZ) spielen der Chor und das hauseigene Orchester erstmals zusammen, um sich für das Frühjahrskonzert an diesem Sonntag abzustimmen. "In so einem Moment bekomme ich immer Gänsehaut", schwärmt die 32-jährige Berit Willenbockel, die seit vier Jahren in der BSZ singt. Auch die übrigen 44 Sänger im Alter von Anfang 20 bis 90 sind mit Freude dabei, singen aus voller Kehle und wippen im Takt mit.

Bei der Gründung des Münchner Chores im Jahr 1840 spielte jedoch nicht nur der Spaß am Singen eine Rolle, sondern auch eine politische Motivation. Die strenge Disziplin im Königreich Bayern hatte Unzufriedenheit geschürt. Aus Protest gegen die Obrigkeit wurde 1819 der Münchner Bürgerverein gegründet, um einen Kontrapunkt zu den sonst rein adeligen Gesellschaften zu setzen. Später schlossen sich, angeführt von Karl Stöhr, knapp drei Dutzend Vereinsmitglieder aus verschiedenen Handwerkszünften zu einem Männergesangverein zusammen - das erklärt auch den Namen der Bürger-Sänger-Zunft. Der Chor etablierte sich bald als bedeutende kulturelle Institution, die auch zu politischen Diskussionen anregte. Die Regierung sträubte sich lange dagegen, den Chor zu genehmigen. Doch angesichts des großen Zulaufs - die BSZ hatte bis zu 800 Mitglieder - ließ sie die Bürger 20 Jahre später schließlich offiziell gewähren.

Frühjahrskonzert: Beim Probenwochenende für das Frühjahrskonzert üben der Chor der Bürger-Sänger-Zunft und das Orchester ihr Zusammenspiel.

Beim Probenwochenende für das Frühjahrskonzert üben der Chor der Bürger-Sänger-Zunft und das Orchester ihr Zusammenspiel.

(Foto: Robert Haas)

Vorbild des Chores waren die Meistersinger, insbesondere der Nürnberger Sänger und Dichter Hans Sachs, der ebenso wie Karl Stöhr Schuhmachermeister war. Bis heute ist Sachs auf dem Logo der BSZ zu sehen. Mit seinen 175 Jahren ist der Chor neben der im gleichen Jahr gegründeten Münchener Liedertafel der älteste Chor Münchens. Im Laufe dieser langen Zeit gewann er einige bekannte Mitglieder. So wurde im Jahr 1855 Konrad Max Kunze Dirigent, später komponierte er die Melodie der Bayernhymne "Gott mit Dir, Du Land der Bayern". Berühmte Ehrenmitglieder waren etwa Felix Dahn und Richard Strauss.

Die BSZ hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. So kam 1920 ein Symphonieorchester hinzu. Außerdem stießen in neuester Zeit Sänger aus dem Ausland, etwa aus Spanien, Großbritannien und Russland hinzu. Seit 1994 sind auch Frauen dauerhaft im Chor dabei. Von den heutigen Mitgliedern sind viele schon über 60 Jahre alt, doch ein paar junge Frauen um die 30 sind auch dabei. Dennoch tut sich der Laienchor schwer, junge Sänger, vor allem männliche, anzuwerben. Norbert Bittl, der Vorsitzende mit dem klingenden Titel "Meister vom Stuhl", vermutet, dass das mit der Vorliebe des Chores für Oratorien und Opernchöre zusammenhängt; diese Musik sei bei jungen Menschen vielleicht weniger beliebt. Berit Willenbockel erzählt, bei ihren Altersgenossen gelte es als "nerdig", im Chor zu singen.

Frühjahrskonzert: Das Orchester der Bürger-Sänger-Zunft probt.

Das Orchester der Bürger-Sänger-Zunft probt.

(Foto: Robert Haas)

Den Begriff "Meister vom Stuhl" übernahmen die Gründer damals von dem Meistersingerbrauch, Lieder auf dem Singstuhl vorzutragen. Auch die Titel der übrigen Vorstände stammen aus dieser Zeit: Der Säckelmeister regelt die Finanzen, der Tafelmeister organisiert die Feiern. Alte Tradition leben außerdem im jährlichen Stiftungsfest weiter, etwa im Anstimmen der Bayernhymne und in der "Einzünftelung", bei der die neuen Mitglieder ein selbstverfasstes humorvolles Gedicht oder Lied vortragen. Einige Rituale seien jedoch nicht mehr zeitgemäß, erklärt Bittl, da die Texte christlich geprägt seien und der Chor aber auch für andere Religionen und Nationalitäten offen sein will.

Am Sonntag, 17. Mai, lädt die BSZ zum Frühjahrskonzert ins Künstlerhaus am Lenbachplatz. Auf dem Programm stehen Dvořáks "In der Natur" und "Te Deum". Beginn ist um 17 Uhr.

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